Was bedeutet die Kategorie „links“ denn in heutigen Zeiten? Ist es ein Begriff zur Beschreibung einer glaubhaften Alternative gegen Kapitalismus, Imprialismus und Krieg, oder ist es eine Zuschreibung, die man sich selbst verleiht und mit der jede Unterwerfung unter die herrschende Ideologie sich fortschrittlich nennen darf?
Am 3. Juli fand im NIG der Universität Wien eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Demokratie statt Ba´thismus? Über die Zukunft des Iraq nach Saddam Hussein“ und der Moderation von Thomas Schmidinger statt, die im Standard vom 1. Juli angekündigt wurde und zu der alle Interessierten geladen waren. Alle Interessierten? Nein, denn einige Genossinnen von der AIK, darunter eine bekannte österreichische Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime, die sich aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit solchen Fragen zu Recht berufen fühlten, sich anzuhören, wie die Vertreter „der Betroffenen des ba´thistischen Regimes“ den militärischen „Sturz von Saddam Hussein durch die USA und ihre Vorstellungen über einen zukünftigen Iraq“ (Ankündigung im Standard vom 1. Juli 2003) einschätzen und darlegen, wurden erst gar nicht eingelassen. Als Begründung wurde ihnen von der Freundin des Moderators höchstpersönlich serviert, dass „sich bei Faschisten die Demokratie aufhört!“ Eine Widerstandskämpferin als Faschistin? Wie ist das möglich?
Wie kann ein solcher Vorwurf von Leuten mit der größten Selbstvertsändlichkeit vorgebracht werden, die sich selbst „Linke“ nennen? Und schließlich ist der Fall dieser Veranstaltung nicht die einzige Gelegenheit, zu der solche unerhörten Aussagen zu vernehmen sind.
In diesem Zusammenhang sei ein Ausflug in die Vergangenheit erlaubt, als im Jahr 1979 der Beitrag eines gewissen Karl Dietrich Bracher im Sammelband „Wörter als Waffen“ veröffentlicht wurde, und zwar im vielsagenden Verlag „Bonn Aktuell“. Es ist ein sprachwissenschaftlicher Beitrag oder zumindest einer, der sich als solcher ausgibt. In jenen Jahren standen das Vietnam-Trauma, die Befreiungsbewegungen der Palästinenser und die noch präsente Stärke antiimperialistischer Bewegungen im Westen auf der Tagesordnung, gegen die die „freiheitlich-rechtsstaatliche“ BRD (auch ideologisch) einzuschreiten gedachte, besonders da die Linke nach einem Jahrzehnt der Auseinandersetzungen ein bestimmten Einfluss auf die politischen „Schlüsselwörter“, damit aber auch ideologisch gewonnen hatte. Das geeignete Vehikel hierzu erschien die Sprachwissenschaft zu sein, eine Methode, die schon öfter angewendet wurde. Noch einmal zurückblickend ins Jahr 1950 finden wir z.B. eine Schrift Josef Stalins „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ vor, ein kurzer Scheindisput, dessen Hauptintention die Verabschiedung von tragenden Prinzipien des Marxismus und Leninismus zu sein scheint, nämlich hinsichtlich der gesellschaftlichen Unterworfenheit alles menschlichen Handelns. Stalin möchte nun die Sprache, konkret die russische, von diesem Prinzip ausnehmen und die „Sprache“ als „den Herrschenden und den Beherrschten“ von gleichem Nutzen darstellen. Durch die Anerkenntnis „nationaler Eigenarten“ wäre es möglich geworden, Unterscheidungen im chauvinistischen Sinne festzuschreiben. Allerdings wurden diese Versuche unmittelbar nach seinem Tod auf dem XX.Parteitag durch die KPdSU zusammen mit der Schrift verworfen.
In der Bundesrepublik des Jahres 1979 wird nun über eine Verteidigung der „Sprache der Mitte“ etwas Ähnliches und mit mehr Erfolg unternommen. Zunächst bedauert Bracher die „von interessierter Seite durchgesetzte Zurückdrängung des Totalitarismus-Begriffes und seinen Ersatz durch den Faschismus-Begriff“, da diese Veränderung „die elementaren Gemeinsamkeiten von totalitären Systemen wie Nationalsozialismus und Kommunismus ausblendet“ und es „den Kommunisten erlaubt, sich positiv von den Nationalsozialisten abzusetzen“. Solcherart stellt er nicht nur die Vergleichbarkeit von Kommunismus und Nationalsozialismus fest, sondern beklagt ebensosehr die Verwendung des „Faschismus“-Begriffs als linken Extremismus. In dieser Frage hat er sich bekanntlich nicht unbedingt durchgesetzt, die Linke spricht immer noch von Faschismus lieber als von Totalitarismus, doch hätte er wenig Grund, heute darüber Beschwerde zu führen, werden doch gegenwärtig gerade jene von den Antinationalen „Faschisten“ genannt, die in Opposition zum Kapitalismus als dem eigentlichem Schöpfer des Faschismus stehen: Kommunisten und Antiimperialisten.
Wenn wir nun diesen Ausführungen des Dr. Bracher, seines Namens Politologe an der Universität Bonn, weiter folgen, so erleben wir zum Einen den Versuch, die „freie“ Sprache eines „westlichen, demokratischen, zivilisierten,… Kulturraumes“ zu konstruieren oder anzunehmen, die sich in Abgrenzung und Anklage gegen ihre „Verdreher“ und „Missbraucher“ definieren will: Diese sind vor allem die Linken, die er auch als wesentliche Bedrohung begreift und gerade aus diesen Gründen so gerne diskreditiert durch die Gleichsetzung mit den Nationalsozialisten.
Doch es geht noch weiter. In diesem Zusammenhang kommt denn auch das so gerne benutzte Argument vom „linken Antisemitismus, der sich nicht so nenne“, bzw. vom sogenannten „Antisemitismus im linken Gewand“ zum Handkuss:
„Gewiss bleiben wichtige Unterschiede zwischen dem rassistischen Stereotyp des Juden mit der letzten Konsequenz des Völkermords und dem sozial-antikapitalistischen Argument eines linken Antisemitismus, der das Wort vermeidet. Doch die Virulenz des Antikapitalismus spielt ja auch in der nationalsozialistischen Kultur- und Sozialideologie eine bestimmende Rolle, und eine antisemitsiche Latenz bleibt auch im sozialistischen Schrifttum unverkennbar, so daß die Behauptung, ein linker Antisemitismus sei seiner Natur nach nicht möglich, ebenso dogmatisch erscheint wie die emphatische Behauptung unserer Tage, Terrorismus könne nie links sein […] [Z]eigt die Aktualität jenes Problems auch in einer Nach-Auschwitz-Generation, die gerne aus der Geschichte ausstiege. Verbindet sich das mit dem linken Engagement für revolutionäre Palästinenser, so gewinnt die Antizionismusparole eine durchaus einschlägige, weil irrationale Intensität, erweist sich der antisemitische Komplex als weiterhin aktuell. Als Stereotyp wie als Minderheit bleibt der Jude im Negativ-Wortschatz all jener Veränderer, die westliche Demokratie als kapitalistisch und reaktionär verteufeln, auch nachdem nationalsozialistische Vernichtungspolitik und dann noch sowjet-sozialistische Diskriminierung die jüdischen Minderheiten in Europa so weitgehend beseitigt haben.“ [Karl Dietrich Bracher: „Sprache und Ideologie“. In: Wolfgang Bergsdorf (Hg.): Wörter als Waffen. Sprache als Mittel der Politik. Stuttgart 1979, S.90]
Wenn wir nicht wüssten, es mit einem Universitätsprofessor und wissenschaftlichen Vertreter des herrschenden deutschen Establishments zu tun zu haben, könnten wir vermeinen, in seinen Hasstriaden gegen die „Veränderer, die westliche Demokratie als kapitalistisch und reaktionär verteufeln“, einen waschechten Antinationalen vor uns zu haben.
In sich selbst ist es ein zutiefst demagogischer Text, in dem genau jene antiimperialistischen Grundhaltungen mit Nationalsozialismus und Antisemitismus identifiziert werden, die sich a.) gegen westliche Vorherrschaft, kapitalistische Produktionsform und Reaktion aussprechen, b.) mit dem palästinensischen Volk gegen den Zionismus und Israel solidarisch erklären. Dafür ist Bracher kein demagogischer Kunstgriff zu schmutzig, kein rhetorischer Trick zu gering. Hauptsächliche Botschaft bleibt seine unversöhnliche Haltung gegen die „extremistische“ (also mit dem Anspruch der Gesellschaftsveränderung auftretende) Linke und seine eigene „unverbrüchliche Treue“ zum kapitalistischen und „freiheitlich“ geschmückten Kapitalismus des Westens. Wir sehen also nicht nur die Ideologie der Herrschenden hier niedergeschrieben, sondern auch den in allen gesellschaftlichen Bereichen offenbar werdenden Fanatismus ihrer Vertreter, wie wir ihn von den notorischen Kampagnen der Antinationalen ja auch kennen, die sich unabhängig vom Gegenstand ihrer Tiraden stets mit demselben blinden Eifer in diesen verbeißen.
Neben solchen Gemeinsamkeiten und der gar nicht so neuen Argumentationsweise bleibt also noch eine Frage zu klären, wenn man die Äußerungen Karl Dietrich Brachers von 1979 neben die frappierend ähnlichen Äußerungen z.B. einer „Aktion gegen Antisemitismus“ oder eben eines Thomas Schmidinger stellt, die sich gerne in der Tradition der „Linken“ sehen und diese zu vertreten vorgeben.
War der Herrschaftsideologe von damals „links“ (im antinationalen Sinne) oder vertreten die „Linken“ von Heute Herrschaftsideologie? Ich tendiere dazu, Zweiteres als weitaus wahrscheinlicher anzunehmen. Wenn antifaschistische Widerstandskämpferinnen als „Faschistinnen“ denunziert, wenn AntiimperialistInnen undemokratisch an der Vertretung ihrer rechtmäßigen Anliegen gehindert werden, mit dem Argument „bei Faschisten hört sich die Demokratie auf“, wenn in derselben Veranstaltung das US-Regime im Irak als Vorbote der Demokratie gefeiert wird und anderslautende Stimmen niedergeschrieen, wenn Hetzartikel erscheinen und Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn ohne Ansehen der wirklichen Argumente, Organisationen und ihre Vertreter die schlimmsten Diffamierungen oder gar physische Verfolgung nur aufgrund dieser Zugehörigkeit zu gewärtigen haben, dann ist zuzustimmen, wenn die „Spartakist-Jugend“ schreibt: „Diese Gangster sind keine …‚fehlgeleiteten…‘ Antifa-Linken, sondern sie beziehen bewusst eine Seite mit […] dem US-Imperialismus.“ (Rauchbombe gegen Palästina-Veranstaltung von Spartakist-Jugend – 06.07.2003)
Dieses Übergehen zum Imperialismus in Bausch und Bogen, das so viele „Linke“ mitmachen, wird in den Übereinstimmungen zu den herrschaftsideologischen Schriften von 1979 manifest. Und selbst beschränkte man es auf die Sprache, so bleibt doch, dass diese Ansichten eines „freiheitlich-demokratischen“ Sprachgebrauchs als die Ideologie der westlich-kapitalistischen Propaganda zu betrachten ist, die stark und offensiv ihre sprachbestimmende Monopolstellung gegen alle Opponenten und die sprengende Kraft marxistischer Dialektik zu verteidigen sucht. In ihr offenbart sich, eben durch die Abgrenzung zu den sogenannten „extremistischen“ Kräften und ihrer Sprache, eine Form der perfiden Repression. Die Vollstrecker dieser Repression an uns Antiimperialisten sind die Schmidinger und Pfeifer und alle solchen, die jede israelkritische Äußerung auf ihre „antisemitische Substanz“ durchwühlen.
Nirgends zeigt sich dies deutlicher als im emphatischen und jubilierenden Bekenntnis Brachers zum Amerikanismus als gleichbedeutend mit dem Sieg über die „Linke“: „Es beginnt so etwas wie ein neues bürgerliches Zeitalter, in dem es zwar starke Linksparteien [bezeichnenderweise ist von den Rechten gar nicht mehr die Rede, denn das sind nur mehr sie selbst!!!!!!], aber zugleich ein größeres Maß an Kompromißfähigkeit als nach 1918 gibt: zugleich mit jener „Amerikanisierung“ der politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die nach 1945 zum umstrittenen Thema der Reformdiskussion in allen westlichen Demokratien wird.“
Damit griff Bracher dem Neuen Imperium der Gegenwart vor, das sich schon damals ankündigte und wen wunderts, wenn auch die Antinationalen jenen Schritt zur offenen Verherrlichung des US-Imperialismus schon längst vollzogen haben?
In diesen Zeiten zunehmender Begriffsentleerung, in denen so mancher Begriff wie „links“ und „faschistisch“ schon geradezu zum Inventar des Kapitalismus gehört, mag es nicht immer leicht sein, zu unterscheiden, was wo hingehört. Dass aber der im linken Gewand daherkommende Totalitarismus der Antinationalen, der Antiimperialisten „Faschisten“ nennt, zutiefst antidemokratisch ist und auf Seiten der Herrschenden steht, das ist nicht allzu schwer zu durchschauen, wenn man nur hinsieht.
Martin Weinberger