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Buchrezension – Ludwig Watzal

4. September 2003

Feinde des Friedens

Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern

Aufbau Taschenbuchverlag Berlin 2001

FEINDE DES FRIEDENS ist eine detailreiche Auseinandersetzung mit der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts beginnend im 19. Jahrhundert bis zur Zeit der al-Aqsa Intifada im Jahre 2001.
In den Ausführungen zur Geschichte Palästinas und Israels, zur Umsetzung der zionistischen Idee in diesem Raum, wird deutlich, warum der Autor von einem seit damals „endlosen Konflikt“ spricht. Die Zionisten waren entschlossen, ihre Ideologie in Palästina auf Kosten der arabischen Bevölkerung durchzusetzen. Die Aussage David Ben Gurions, des ersten Ministerpräsidenten Israels, aus dem Jahre 1937, zieht sich mehr oder weniger deutlich als roter Faden durch die Geschichte: „Das Land ist in unseren Augen nicht das Land seiner jetzigen Bewohner … Wenn man sagt, dass Eretz Israel das Land zweier Nationen sei, so verfälscht man die zionistische Wahrheit doppelt … Palästina muss und soll nicht die Fragen beider Völker lösen, sondern nur die Frage eines Volkes, des jüdischen Volkes in der Welt.“ (S.14,15) Ergänzend dazu der Schriftsteller Hans Kohn im Jahre 1929: „Wir sind zwölf Jahre in Palästina, ohne auch nur einmal ernstlich den Versuch gemacht zu haben, uns um die Zustimmung des Volkes zu kümmern, mit dem Volk zu verhandeln, das im Land wohnt. Wir haben uns ausschließlich auf die Militärmacht Großbritanniens verlassen. Wir haben Ziele aufgestellt, die notwendigerweise und in sich selbst zu Konflikten mit den Arabern führen mussten und von denen wir uns sagen müssten, dass sie Anlass, und zwar berechtigter Anlass zu einem nationalen Aufstand gegen uns sind.“ (S.22)
Der Grundgedanke – gezielte, brutale Unterdrückung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und ihre Folgen – wird durch die zahlreichen Fakten und für sich sprechenden Zitate der folgenden Kapitel bis zur Gegenwart 2001 inhaltlich belegt.
Die Kriege Israels werden in ihrem expansionistischen Charakter als Angriffskriege zur Annexion möglichst viel Landes beschrieben und der Mythos der permanenten Bedrohung Israels wird als solcher entlarvt. Das zentrale Argument, mit dem Kriege, Annexion, Vertreibung, Ignorierung aller UNO-Beschlüsse und Menschenrechtsverletzungen von zionistischer Seite gerechtfertigt werden, ist das Argument der „Sicherheit“. Welche Gräueltaten auch immer – die „Sicherheitsinteressen“ des israelischen Staates rechtfertigen sie nicht nur, sondern scheinen sie zu gebieten.
Der sogenannte Friedensprozess der Neunzigerjahre mit diversen Abkommen und Initiativen und mit dem Oslo-Abkommen als Höhepunkt – „der zweitgrößte Sieg in der Geschichte des Zionismus“ (S.61) – wird schonungslos als Verrat an den palästinensischen Interessen dargelegt: „Der Friedensprozess leitete das Ende des Emanzipationsprozesses der Palästinenser ein, weil die Unterdrückten ihre Unterdrücker legitimierten, bevor die Besatzung ein Ende gefunden hatte. … Israel brauchte nicht einmal anzuerkennen, dass es Besatzungsmacht ist.“ (S. 60,61) In diesem Sinne werden der PLO und Arafat ein vernichtendes Urteil ausgestellt.
„Arafat musste sich vertraglich verpflichten, die „Schmutzarbeit“ zu übernehmen: die Bekämpfung des Terrors und des Widerstandes.“ Hauptziel der Oslo-Vereinbarungen laut Netanyahu sei es „den palästinensischen Widerstand zu brechen.“ (S. 144)
Vom Hebron-Protokoll von 1997 über das Wye River–Memorandum von 1998 sowie das Sharm el-Sheikh-Protokoll von 1999, die Camp David–Verhandlungen von 2000 bis zum „Friedensprozess“ unter Ariel Sharon im Jahre 2001 – das Urteil ist vernichtend. Israels „Sicherheitsbedürfnisse“ zählen alles, der „Terrorismus“ wird „als rein palästinensisches Phänomen bewertet, der Terror der Siedler und der Staatsterror der Israelis in Form des Einsatzes schweren militärischen Gerätes gegen Unbewaffnete dagegen ausgeblendet.“ (S. 173)
Ein sehr ausführlicher und informativer Teil des Buches ist der Analyse der israelischen Gesellschaft und ihres zunehmend religiös-fundamentalistischen Charakters gewidmet.
Hingegen können die Seiten über die – ausführlich dargestellten – Verletzungen der Menschenrechte in Bezug auf die Unbestechlichkeit ihrer Argumente nicht überzeugen. Wiederholt werden „legitime Sicherheitsinteressen“ Israels als Standardrechtfertigung angeführt. Wenn der Leser bisher nicht allzu genau gelesen hat, weil ihn die Fülle von erdrückenden Details bezüglich der Besatzungspolitik des übermächtigen zionistischen Staates gegenüber den Palästinensern in Atem hält und er oder sie sich eigentlich nur mehr bedingungslos auf die Seite des unterdrückten Volkes stellen kann, treten spätestens hier Widersprüche zu Tage, in deren Lichte das bisher Gelesene reflektiert werden muss.
Den Menschenrechten unter israelischer Besatzung und palästinensischer Autonomie „wird keine Seite gerecht.“ Wie passt diese Äquidistanz zu den folgenden Ausführungen? Wir lesen über die Gräuel der israelischen Todesschwadronen, Folter oder Deportationen in vielen erschütternden Details und wir lesen, dass die Besatzung noch nicht beendet sei und deshalb nach Völkerrecht die israelische Regierung als Besatzungsmacht die Verantwortung für die Politik in den besetzten Gebieten trage (S.193) und dass der unterdrückerische Sicherheitsapparat der PLO „von Israel und den USA gewollt (sei), da die Autonomiebehörde die Sicherheit Israels garantieren und die Kritiker mundtot machen sollte.“ (S. 228) In diesem Zusammenhang ist das Resümee „In Arafats Herrschaftsbereich ist das Demokratiedefizit noch größer. …“ (S.240) nicht nachvollziehbar. Ist es nicht das größte „Demokratiedefizit“, seiner nationalen Souveränität beraubt zu sein und unter den unmenschlichen Bedingungen und Demütigungen der Okkupation zu leben, die der Autor in an die zweihundert Seiten geschildert hat?
Auf diesen vielen Seiten wird uns ein zionistischer Staat vorgestellt, der aggressiv und expansionistisch agiert, der Angriffskriege als Präventivkriege ausgibt, obwohl laut Ezer Weizman im Jahre 1972 „niemals die Gefahr einer Vernichtung bestand.“ (S. 34) Oder mit den Worten des ehemaligen Wohnungsministers Mordechai Bentov 1971: „Die ganze Geschichte der Gefahr einer Zerstörung wurde in jedem Detail im Nachhinein erfunden und übertrieben, um die Annexion arabischen Landes zu rechtfertigen.“ (S.34)
Wie passt dazu die Einleitung des Autors? „Die Geschichte weist Israel nicht nur als „Opfer“ der „arabischen Aggression“ aus, es hat auch (!) eigene hegemoniale Ziele verfolgt und ist selbst zum „Täter“ geworden.“ (S.8) Es obliegt dem Leser, diesen Widerspruch zwischen Einleitung und nachfolgender Bestandsaufnahme zu beurteilen.
Dasselbe gilt für die einleitenden Worte: „Die arabischen Nachbarstaaten wollen Israel politisch und wirtschaftlich isolieren.“ (S.8) Dem widersprechen zum Beispiel die Ausführungen über den übermächtigen arabischen Feind als Mythos, über die PLO, die mit der Anerkennung des Existenzrechts Israels „Israel nicht nur die Tür zur arabischen Welt aufgestoßen (hat), sondern das Land aus der Isolation in der Region geführt (hat), …“ (S.82)
Aus dieser Haltung resultiert meiner Meinung nach die Hauptschwäche des Buches – die Darstellung der Unterdrückten unter der erdrückenden Macht des übermächtigen Unterdrückers. Der Blickwinkel auf das palästinensische Volk legt nicht sein historisches Potential frei sondern richtet den Fokus auf die „armen Erniedrigten“, die letztendlich nicht fähig sind, an ihrer Lage selbst viel zu verändern (siehe Analyse zur PLO). Laut Autor hat die Geschichte des Konflikts gezeigt, „dass sich der Einsatz von Gewalt für die Palästinenser immer kontraproduktiv auswirkte.“ (S. 74)
Das Recht auf Widerstand gegen Okkupation ist jedoch legitim und der Intifada von 1987 wird zumindest zugestanden, dass sie „kein ferngesteuertes Unternehmen aus Tunis oder Damaskus (war) … „, sondern dass die Menschen spürten, „dass sie nichts zu verlieren hatten als ihre Unterdrückung und Erniedrigung.“ (S.48)
In ihrer Bedeutung kommt die Intifada jedoch zu kurz, genauso wie die Hamas. Die Bewegung wird knapp und wenig differenziert skizziert. Und nachdem wir lesen, dass der Friedensprozess der Neunzigerjahre für die Palästinenser nur Verrat bedeutete und 1994/95 zusehends stockte, „weil sich an der israelischen Politik nichts Wesentliches änderte“ (S.111), heißt es zwei Seiten vorher: „Radikale der Hamas und des Islamischen Dschihad (versuchten), den Friedensprozess zu torpedieren.“ (S. 109)
Wer ist also schuld? Sind doch beide Seiten schuld? Während die Fakten eindeutige Antworten geben, werden wir vom Autor zu Äquidistanz gedrängt: Der Feind ist übermächtig – was können die Unterdrückten schon ausrichten?
Logischerweise müssen daher für Visionen für den Frieden dann die Mächtigen herhalten. Also entweder die USA und/oder die EU unter der Federführung der Vereinten Nationen, natürlich unter der Voraussetzung, dass in Israel eine grundlegende ideologische Umorientierung stattfindet.
Die Rolle der USA für die Dominanz und Stärke Israels wird nicht in ihrer Tragweite dargelegt, sondern sie ist trotz ihrer eindeutigen Parteilichkeit doch wieder Vermittlungsmacht, die zwar unter Bush nach dem Golfkrieg 1991 die hegemoniale Rolle Israels wollte und förderte, aber unter einem anderen Präsidenten durchaus die Rolle des Friedensvermittlers spielen könnte.
So wird im Buch der Clinton-Plan für einen „fairen Frieden“ vom Jänner 2001 als Option präsentiert: Ein souveräner, überlebensfähiger Palästinenserstaat soll gegründet werden, wobei aber Israel nur Entscheidungen treffen kann, die seine Existenz nicht gefährden. „Das Land, das annektiert werden soll, sollte so wenig Palästinenser beherbergen als möglich.“ (S.169) Die Flüchtlingsfrage soll gelöst werden, aber „niemand kann von Israel verlangen, ein uneingeschränktes Rückkehrrecht nach Israel zu akzeptieren.“ (S.169) Es fällt schwer, diese Schlussfolgerungen mit dem Gelesenen in Einklang zu bringen.
Im Kapitel AUSBLICK: FRIEDE IN NAHOST IST MÖGLICH skizziert der Autor seine Vision, die die ideologische Umorientierung in Israel zur Bedingung hat und eine internationale Friedenskonferenz unter Federführung der Vereinten Nationen mit Beteiligung der USA, der Europäischen Union und Russlands beinhaltet. (S. 299)
Grundlage des Friedens muss das Völkerrecht sein. Das würde die Umsetzung der UN-Resolutionen bedeuten und eine internationale Interventionsstreitmacht müsste die Palästinenser schützen. (S.302)
Bei der Reflexion über diese Vision sollte die Geschichte sprechen, auch die Geschichte dargestellt in FEINDE DES FRIEDENS. Jahrzehnte des Bruchs des Völkerrechts, Jahrzehnte des Schweigens darüber in Europa, Jahrzehnte des Aufbaus und der Stärkung Israels durch die USA – welches Wunder sollte die reißenden Wölfe in Schafe verwandeln? Wo bleiben die Palästinenser als historisches Subjekt?
Wenn ich auch mit den Schlussfolgerungen und Visionen des Buches nicht übereinstimme, so ist FEINDE DES FRIEDENS ein empfehlenswertes Nachschlagwerk über die Arroganz und Verbrechen der zionistischen Politik gegenüber den Palästinensern.

Elisabeth Lindner-Riegler

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