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Die Apartheid-Mauer

4. September 2003

Im Juni 2002 beschloss die Regierung Barak eine Barriere entlang der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland zu errichten. Der genaue Verlauf der Mauer wurde zunächst geheim gehalten, doch bald begannen die israelischen Behörden im besetzten Westjordanland palästinensisches Land für die Realisierung dieses Projekts zu enteignen und der geplante Verlauf der Mauer wurde nach und nach bekannt.
Nur ein geringer Teil der Mauer verläuft tatsächlich entlang der „Grünen Linie“ zwischen Israel und dem Westjordanland. Der Großteil der Befestigungsanlage ist kilometerweit nach Osten, ins besetzte Westjordanland verschoben. An den Stellen, wo die Mauer entlang der „Grünen Linie“ verläuft, ist eine zweite Barriere einige Kilometer weiter östlich geplant. Die Mauer macht einen großen Bogen nach Osten, um israelische Siedlungen mitten im Westjordanland zu umfassen. 25 Prozent des Westjordanlands. 80 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens und 65 Prozent des Wassers werden sich auf der israelischen Seite befinden. Eine zweite Mauer soll die palästinensischen Reservate im Osten begrenzen, gegenüber den israelischen Siedlungen im Jordantal. Damit wird Israel sich 55 Prozent des Westjordanlands angeeignet haben.
Die israelische PR-Maschinerie versucht mit seltsamen semantischen Spielereien von den Folgen des Bauwerks abzulenken: „Sicherheitszaun“ sei die korrekte Bezeichnung für die Anlage, nicht „Mauer“. Die israelische Journalistin Amira Hass schreibt dazu: „Die Israelis verwenden noch immer das praktische und irreführende Wort „gader“ (Zaun) für das Befestigungssystem, das derzeit auf palästinensischem Boden im Westjordanland errichtet wird. Selbst „Mauer“, der Begriff, der in ausländischen Berichten meist verwendet wird, ist nicht ausrechend um zu beschreiben, was in Wirklichkeit gerade gebaut wird: eine acht Meter hohe Betonmauer, elektrisch geladene Drahtzäune und elektronische Sensoren, vier Meter tiefe Gräben auf beiden Seiten, ein Sandstreifen um Fußspuren zu erkennen, eine Sperrzone, eine zweispurige Straße für Armeepatrouillen und Wachtürme und Unterstände alle zweihundert Meter über die gesamte Strecke. Das sind die Bestandteile des „Zauns“…“
Die israelische Regierung nennt die Mauer eine „vorläufige Sicherheitsmaßnahme“. Doch wer gibt 1,5 Milliarden Dollar für eine „vorläufige“ Maßnahme aus? Das Konzept der „hafrada“ oder „Trennung“ ist eine populäre Vorstellung in der israelischen Öffentlichkeit, die genug von der militärischen Auseinandersetzung mit den PalästinenserInnen hat. Mit Shalom Achshaw (Peace Now) hat der Großteil der israelischen Friedensbewegung diese Forderung aufgenommen. Der Bau einer Mauer entlang der .Grünen Linie., die Schaffung einer befestigten Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland ist in den Augen der Mehrheit der Israelis Schritt in Richtung mehr Sicherheit und zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Mit diesem Konzept ist die Vorstellung verbunden, einigen isolierten israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland die Unterstützung zu entziehen.
Der gewaltige budgetäre und militärische Aufwand für extremistische Siedler findet in der israelischen Öffentlichkeit kaum noch Unterstützung. Die Sieder-Organisationen waren jedoch integraler Bestandteil jeder israelischen Regierung seit 1967, und viele der Siedlungen, insbesondere die größeren um Ostjerusalem . werden von den meisten Israelis nicht mehr als solche gesehen. Die Siedlerorganisationen und die rechtsextremen Parteien in Sharons Koalitionsregierung waren zunächst gegen den Bau der Mauer, doch da nun langsam die genaueren Pläne bekannt werden, ist die Kritik von jener Seite verstummt.
Die Mauer entwickelt sich zur größten Enteignungsaktion von PalästinenserInnen seit 1967. Fünfhundert Bulldozer sind im Einsatz. Schon in der ersten Phase des Mauerbaus wurden über 1.100 Hektar Boden im Westjordanland enteignet. Dreizehn palästinensische Dörfer mit insgesamt 11.700 Einwohnern werden zwischen der Grenze zu Israel im Westen und der Mauer im Osten eingeklemmt, 210.000 PalästinenserInnen sind in Enklaven gefangen, 67 Dörfer von ihrem Land mit Feldern, Glashäusern, Obst- und Olivenbäumen abgeschnitten; 83.000 Olivenbäume wurden vernichtet, dreißig Brunnen enteignet und 35 Kilometer Wasserleitungen zerstört.
Die israelische Regierung versprach zwar, Tore in der Mauer zu öffnen damit die Bauern Zugang zu ihrem Land auf der anderen Seite haben, doch die letzten Wochen haben einmal mehr gezeigt, was von solchen Versprechen zu halten ist. Drei Tore wurden geöffnet, doch schon in den ersten vier Wochen wurden an diesen Übergängen PalästinenserInnen von den Besatzungstruppen aufgehalten, erniedrigt, geschlagen und erschossen – palästinensischer Alltag.
Ein Beispiel: Das Dorf Masha liegt sieben Kilometer von der „Grünen Linie“ entfernt im Westjordanland. In unmittelbarer Nähe befindet sich die israelische Siedlung Elqana. Im April 2003 rückten israelische Bulldozer an. Ein drei Meter tiefer Graben, ein 80 bis 130 Meter breiter gerodeter „Sicherheitsstreifen“, elektrische Zäune und schließlich eine acht Meter hohe Betonmauer wurden errichtet. 98% des Landes der Dorfbewohner lag plötzlich auf der „israelischen“ Seite der Mauer. Gleichzeitig durchtrennt die Mauer die Straßenverbindung von Jenin nach Ramallah. Ein extremes Beispiel: Die Stadt Qalqilya wird vollkommen von der Mauer eingeschlossen, mit nur einem Ausgang. Qalqilya war einst ein blühendes Handelszentrum, nun ist es eine Gefängnisstadt mit 400.000 Insassen, gefangen hinter einer Mauer, die nur ein Tor hat, das die israelische Armee morgens öffnet und abends schließt. Qalqilya ist von 32 palästinensischen Dörfern mit ca. 72.000 Einwohnern und 19 israelischen Siedlungen mit ca. 50.000 Bewohnern umgeben. Durch die Siedlungen ist um Qalqilya eine extreme Knappheit an Land entstanden. Die Belagerungen durch die israelische Armee seit dem Beginn der Neuen Intifada haben die Abhängigkeit von der Landwirtschaft weiter ansteigen lassen. 37,5% der Bevölkerung leben ausschließlich davon. Doch es steckt noch mehr dahinter. Unter Qalqilya verläuft einer der drei großen Grundwasserströme des Westjordanlands, der die Hälfte der Wasserversorgung des ganzen Westjordanlands bildet. Dieser Grundwasserstrom verläuft entlang der „Grünen Linie“ und die Verschiebung der Mauer nach Osten, ins besetzte Gebiet gibt Israel nahezu vollständige Kontrolle über diese Wasserressource. Die Arbeitslosigkeit in Qalqilya beträgt mittlerweile 65%. Der israelische Stromversorger drohte mehrmals, der ganzen Stadt den Strom abzustellen, da die Gemeinde nicht mehr in der Lage ist, die Gebühren zu entrichten.
15% der Einwohner von Qalqilya haben die Stadt auf Grund der Situation verlassen. Das Land, das mit dem Bau der Mauer „auf israelischer Seite“ zu liegen kommt, also de facto annektiert wird, ist das fruchtbarste Gebiet im Westjordanland und intensiv bewirtschaftet. Die Mauer dient weniger dazu, Israelis und PalästinenserInnen voneinander zu trennen, als PalästinenserInnen von ihrem Land und von ihrem Wasser zu trennen und die Zersplitterung des Westjordanlands durch die israelischen Siedlungen weiter (buchstäblich) zu zementieren.
Nebenbei wird mit dem Mauerbau gegen mehrere Artikel der Vierten Genfer Konvention verstoßen: „Es ist der Besatzungsmacht untersagt, bewegliches oder unbewegliches Vermögen zu zerstören …. außer in Fällen, in denen die Kampfhandlungen solche Zerstörungen unbedingt erforderlich machen.“ (Artikel 53) „Es ist verboten, für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte wie Nahrungsmittel, zur Erzeugung von Nahrungsmitteln landwirtschaftlich genutzte Gebiete, Ernte- und Viehbestände, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungsanlagen anzugreifen, zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen, … gleichviel ob Zivilpersonen ausgehungert oder zum Fortziehen veranlasst werden sollen oder ob andere Gründe maßgebend sind.“ (Erstes Zusatzprotokoll, Artikel 54)
Das Projekt der Apartheid-Mauer fügt sich in die langfristigen Pläne der israelischen Regierung ein. Das Konzept, das manche schon hinter Oslo und Camp David vermutet hatten, nimmt immer klarere Konturen an. Die palästinensische Bevölkerung soll in Reservaten oder Homelands konzentriert werden. Vor drei Jahren sprach Sharon gegenüber dem italienischen Ministerpräsidenten D´Alema offen von einem Bantustan-Plan. Der Gazastreifen, eines der am dichtesten bevölkerten Gebiete der Welt, ist bereits vollständig eingeschlossen, es gibt nur einen Übergang, den billige palästinensische Arbeitskräfte für die israelische Landwirtschaft und Industrie, je nach israelischem Bedarf, passieren können. Der Plan für das Westjordanland sieht vor, die palästinensischen Städte vom Rest des Landes abzuschotten, drei bis vier Bantustans zu schaffen und das übrige Land für Israel nutzbar zu machen.
„Was den Palästinensern bleibt, ist ein Leben in großen Pferchen und Arbeit in den Industriezonen, die in den [israelischen] Siedlungen an den Toren dieser Pferche gebaut werden“, schreibt Meron Rappaport. „Ihr wollt, dass wir wie Sklaven leben“, schreibt Jamal Juma, „doch das wird nicht funktionieren.“
Georg Kreisel

Quellen:
Jamal Juma: The Wall in Palestine (Electronic Intifada, 20. August 2003)
Homepage des International Women.s Peace Service
Yecheskiel Lein: Ha-geder ha-ra.a (B.tselem, April 2003)
Meron Rappaport: A wall in the heart (Yediot Achronot, 23. Mai 2003)
Amira Hass: The misleading term .fence. (Ha.aretz, 16. Juli 2003)
Ran HaCohen: The Apartheid wall (antiwar.com, 21. Mai 2003)

 

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