Oder: Es ist nicht überall Frieden drin, wo Frieden draufsteht
Unmittelbar nach dem Ende des Krieges gegen den Irak wartete Bush mit einem neuen Friedensplan für den Nahen Osten auf. Am 1. Mai dieses Jahres war dieser Plan als Roadmap, als Fahrplan zum Frieden, der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Neu und eben erst von Bush erdacht ist er jedoch nicht, hat doch das Nahost-Quartett, bestehend aus Javier Solana (EU), Colin Powell (USA), Kofi Annan (UNO) und Igor Ivanov (Russland) einen ersten Entwurf bereits im Juli 2002 angenommen. Im Oktober des vergangenen Jahres wurde der Entwurf Sharon übermittelt, der bis zum Februar 2003 gemeinsam mit seiner Regierung schon über hundert Anmerkungen und Änderungswünsche bekannt gab, während die palästinensische Regierung unter ihrem neuen Premier Mahmoud Abbas die Roadmap bedingungslos akzeptiert hat.
Die rechtsradikale Siedlervereinigung Yesha Council of Settlements betitelte die Roadmap mit „schlimmer als Oslo“ (1), womit sie Recht hat, wenn auch natürlich dieser Friedensplan schlimmer für die Palästinenser und nicht für die Israelis ist. Denn die Roadmap ist tatsächlich eine konsequente Weiterentwicklung des Oslo-Abkommens und geht klar in die Richtung einer Annexion der 1967 besetzten Gebiete. Die Roadmap ist nichts anderes als ein neuerlicher Versuch das palästinensische Volk in Bantustans zu zwingen und diesen dann den Namen „palästinensischer Staat“ zu verleihen. Mit der internationalen Anerkennung eines solchen palästinensischen Staates würde der palästinensischen Sache nichts Gutes getan, sondern ihr im Gegenteil ein vernichtender Schlag versetzt werden. So ist von der internationalen Solidaritätsbewegung zu fordern, sich mit aller Vehemenz gegen den Fahrplan, der zu einer solchen historischen Täuschung führen würde, und damit auch gegen die Anerkennung eines solchen palästinensischen Staates, zu stellen.
Schon im Einleitungstext zur Roadmap heißt es ganz klar, dass eine Zweistaatenlösung nur durch ein Ende der Gewalt und des Terrors herbeigeführt werden kann und vor allem nur dann, wenn die palästinensische Führung endlich entschieden gegen den Terror vorgeht und demokratische Strukturen aufbaut, basierend auf Toleranz und Freiheit. Israel kommt hier entschieden leichter weg, indem ihm nur auferlegt wird, alles was nötig ist, zu tun, um ein demokratisches Palästina zu ermöglichen. Darauf folgt ein Bekenntnis zu einem „unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat“, zu einem Ende der Besatzung von 1967, basierend auf der Konferenz von Madrid, dem Prinzip „Land für Frieden“ und den UN-Sicherheitsresolutionen 242 (1967, Abzug der Truppen aus den besetzten Gebieten, gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage, Garantie der territorialen Unverletzlichkeit und politischen Unabhängigkeit aller Staaten in dem Gebiet), 338 (1973, Aufforderung zum Waffenstillstand und Aufruf zur Umsetzung von 242), und 1397 (2002, Aufruf den Friedensplan von Tenet und die Empfehlungen des Mitchell-Reports umzusetzen).
Der gesamte Fahrplan gliedert sich in drei Phasen. In Phase I, welche mit dem Ende des Monats Mai 2003 bereits abgeschlossen sein sollte, soll Gewalt und Terror abgestellt, das palästinensische Leben normalisiert und die palästinensischen Institutionen aufgebaut werden. Als erster Schritt freilich müssen die Palästinenser ein bedingungsloses und sofortiges Ende der Gewalt durchsetzen und die Israelis sollen hierfür „unterstützende Maßnahmen“ treffen. Außerdem müssen die Palästinenser sich noch einmal explizit für das Recht Israels auf eine Existenz in Sicherheit und Frieden aussprechen, während die Israelis sich zu einer Zwei-Staaten Lösung bekennen müssen. Auch soll ein palästinensischer Verfassungsentwurf publiziert und zur Diskussion gestellt werden, sowie „freie, faire und offene Wahlen“ abgehalten werden. Dafür zieht Israel sich auf die Positionen, welche es vor dem 28. September 2000 innehatte, zurück. Außerdem friert Israel alle Siedlungsaktivitäten ein.
Was die Sicherheitsgarantien während der Phase I betrifft, so wird klar dargelegt, dass die wichtigsten Schritte die Konfiszierung von palästinensischen Waffen in Privatbesitz durch die Autonomiebehörde sowie den Aufbau des palästinensischen Sicherheitsapparats, in Kooperation mit Israel sind. Für den Aufbau palästinensischer Institutionen, für die Registrierung der Wahlberechtigten, aber auch für die Verbesserung der humanitären Situation soll Israel hilfreich zur Hand gehen. Das einzige, was Israel konkret in dieser ersten Phase tun muss, ist die Siedlungsvorposten, die seit März 2001 errichtet wurden, aufzulösen, und die Siedlungstätigkeit auf Eis zu legen.
Phase II ist bereits die Phase des Übergangs, welche von Juni 2003 bis Dezember 2003 gehen sollte und bereits einen palästinensischen Staat in provisorischen Grenzen als Ergebnis haben soll. Der Beginn dieser Phase wird durch freie Wahlen in den palästinensischen Gebieten ausgezeichnet, denen eine ersten Internationale Konferenz unter Obhut des Quartetts folgen soll. Auf dieser Konferenz soll es dann vor allem darum gehen, einen umfassenden Frieden für die Region, vor allem auch mit dem Libanon und Syrien, auszuarbeiten, auch sollen die arabischen Staaten ihre Kontakte, die sie vor der Intifada mit Israel hatten, wieder aufzunehmen verpflichtet werden. Das Quartett bereitet dann auch die internationale Anerkennung und mögliche UN-Mitgliedschaft des palästinensischen Staates vor.
Phase III zieht sich bis 2005 und ist die Phase der Stabilisierung sowie des Endes des Israelisch-palästinensischen Konfliktes. Eine zweite Internationale Konferenz wird hier anberaumt um einen Prozess zur Klärung der letzten verbliebenen Fragen einzuleiten: die Fragen der permanenten Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge und Siedlungen. Natürlich sind hier auch wieder die Beziehungen zum Libanon und Syrien von großer Wichtigkeit. Diesmal müssen nicht nur die Palästinenser das Existenzrecht Israels in vollem Umfang akzeptieren, sondern auch alle anderen arabischen Staaten. (2) Noam Chomsky stellte zu dieser Frage einmal treffend fest: „In diplomatischen Beziehungen und dem internationalen Recht gibt es keinen relevanten Begriff von staatlicher …‚Legitimität…‘ oder dem …‚Recht auf Existenz…‘. Staaten werden anerkannt, weil sie existieren und funktionieren, nicht weil sie …‚Legitimität…‘ oder ein …‚Existenzrecht…‘ besitzen“ (3).
Der anfängliche kindische Enthusiasmus des Weißen Hauses mit der Roadmap den Frieden herbeizaubern zu können, verblasst langsam angesichts dessen, dass für die amerikanische Rechte selbst dieser Plan, der den Palästinensern ohnehin nur ein Leben in umzäunten Bantustans ermöglichen würde, noch zu viele Zugeständnisse an die Palästinenser enthält. Diese Entwicklung sieht man bei Bushs Beratern nicht gerne, hat man doch die nahenden Wahlen 2004 im Hinterkopf. 88 Senatoren und 316 Kongressabgeordnete (4) haben sich bereits in Briefen gegen die Roadmap ausgesprochen, Rückendeckung erhalten sie hierbei vor allem von der christlich fundamentalistischen Lobby, die nicht zuletzt eine wichtige ideologische Stütze für die Präsidentschaft von Bush darstellt. In diesem Milieu, das sich durchaus eines beachtlichen gesellschaftlichen Einflusses erfreut, hängt man eher den Gedanken an den Transfer der palästinensischen Bevölkerung an und Donald Rumsfeld meinte schon letztes Jahr nur noch von den sogenannten besetzten Gebieten“ (4) sprechen zu können. Es bleibt also in mehrfacher Hinsicht nur noch wenig Zeit diesen überhasteten und unseriösen Friedensvorschlag durchzupeitschen: Erstens muss danach noch genügend Zeit bleiben, die verärgerten Geldgeber für den Wahlkampf von Bush in den USA wieder gütlich zu stimmen, andererseits ist man mit dem Zeitplan der Roadmap ohnehin schon stark im Verzug. So ist wohl die realistischer Variante, dass die Roadmap, wie einige Initiativen vor ihr, man erinnere sich an den Tenet-Plan, den Mitchell-Report oder den Zinni-Plan im Frühjahr 2002, im Sand verläuft.
Die Veröffentlichung der Roadmap war außerdem eine Erfüllung der Bedingung von Tony Blair gewesen, der seine bedingungslose Unterstützung im Irak Krieg von einer darauffolgenden Friedensinitiative im Nahen Osten abhängig gemacht hatte. Die Roadmap, so hatte er spekuliert, würde den unpopulären Feldzug im Nachhinein in ein besseres Licht rücken, er selbst könne sich als Mann, dem es um den Frieden in der ganzen Region gehe, abputzen. Realistisch gesehen hat die Roadmap jedoch keine Möglichkeit der Umsetzung und selbst hätte sie es, so würde es auf Dauer keinen Frieden geben, sondern höchstens eine Befriedung auf Zeit. Dadurch, dass ihr Text schwammig gehalten wird, können sich die Verhandlungen um die wirklich strategischen Punkte wie die Frage der Flüchtlinge, die Siedlungen und Jerusalem, sowie die definitiven Grenzen eines palästinensischen Staates ewig hinziehen, ohne unbedingt einer Lösung zugeführt werden zu müssen. Auch wird schon jetzt deutlich, dass obwohl die diversen Maßnahmen, die von Israel und der palästinensischen Seite getroffen werden müssen, eigentlich gleichzeitig stattfinden sollen, Israel seine Schritte in dieser Richtung abhängig von den Fortschritten auf palästinensischer Seite bezüglich der Terrorbekämpfung macht. So wird die Parallelität ausgeschalten und der Fahrplan stellt sich als ein Plan für Zugeständnisse von palästinensischer Seite ohne einer Gegenleistung dar, oder noch schlimmer, als Fahrplan in den palästinensischen Bürgerkrieg, abhängig von der Haltung welche der bewaffnete Arm der Fatah in diesem Prozess einnehmen wird. Das läge allerdings durchaus im Interesse Israels und der USA.
Die Roadmap erweckt den Anschein, als ob der israelisch-palästinensische Konflikt allein auf dem Problem der Palästinenser, ihre Institutionen aufzubauen, beruhe. So greift dieser halbherzige und völlig unrealistische Lösungsvorschlag (die Lösung eines mehr als 50-jährigen kriegerischen Konflikts innerhalb von eineinhalb Jahren) auch genau an der falschen Seite an. Bevor über die wirklich strategischen Fragen debattiert wird – über die jede noch so stabilisierte palästinensische Regierung fallen könnte, falls der Bürgerkrieg bis dahin noch nicht ausgebrochen sein sollte – wird ein palästinensisches Verwaltungssystem geschaffen, das nur eines zum Ziel hat: Es soll der palästinensischen Widerstandskraft die Zähne ziehen und die Organisationen, die, was die Unterstützung in der Bevölkerung betrifft, eine ebenso große Legitimität haben, wie die Fatah von Arafat, zerschmettern. So würde Israel anschließend bei den Verhandlungen um all die Fragen, um die sich dieser Konflikt eigentlich dreht, in der eindeutig stärkeren Position sein. Die Palästinenser hätten das Druckmittel des bewaffneten Kampfes nicht mehr zur Verfügung. Die Roadmap könnte für die Palästinenser ein Ticket in den Bürgerkrieg sein, was den israelischen und US-amerikanischen Strategen wohl gefallen könnte. Würde sie tatsächlich durchgezogen werden, würde am Ende dabei herausschauen, dass die Okkupation als vollendete Tatsache mit der internationalen Anerkennung eines palästinensischen Nicht-Staates endgültig akzeptiert werden würde. Wird die Roadmap jedoch von den wütenden Stimmen innerhalb des israelischen und US-amerikanischen ultrakonservativen Lagers zu Fall gebracht, so eröffnet sich als Lösung nur noch der Transfer der palästinensischen Bevölkerung. So scheint von all den Möglichkeiten auf einen Frieden durch Gerechtigkeit nur der entschlossene palästinensische Widerstand und eine Schwächung der USA und Israels durch eine internationale Destabilisierung übriggeblieben zu sein. In diesem Zusammenhang richten sich wohl alle Augen hoffnungsvoll auf den Irak und die Möglichkeiten des dortigen mutigen und erbitterten Widerstands dazu beizutragen.
(1) The Guardian, 6. Mai 2003, Brian Withaker
(2) Vgl.: http://www.un.org/media/main/roadmap122002.html
(3) Chomsky, Noam, Offene Wunde Nahost, Israel, die Palästinenser und die US-Politik, Hamburg 2002, S. 174
(4) Counterpounch, 6. Mai 2003, Kathleen Christison