Die Intifada und der palästinensische Fußball
Das 2:2 des palästinensischen Nationalteams gegen Libyen bei den Pan-Arabischen Spielen 1999 in Jordanien wurde zur Sternstunde des palästinensischen Fußballs. Palästina war als Newcomer und absoluter Außenseiter angetreten und hatte sich mit diesem Ausgleich ins Semifinale geschossen. Als in den Kabinen das Match mit einer Rauferei in die Verlängerung ging, sah die Polizei sich veranlasst, mit Tränengas einzuschreiten – gewissermaßen ein …‚Heimvorteil´ für die Palästinenser. Denn während die Libyer k.o. gingen, schritten die an Tränengas gewohnten Palästinenser an die Öffentlichkeit und bedankten sich medienwirksam bei den jordanischen Sicherheitskräften. So wenigstens besagt es die Legende, die immer wieder gern zum Besten gegeben wird.
Tatsächlich waren die Erfolge des palästinensischen Nationalteams beim Arab-Cup von großer Bedeutung für Palästina. Es war das erste mal, dass ein palästinensisches Nationalteam bei einem großen internationalen Wettbewerb antrat. Für viele verhieß das damals einen wichtigen Schritt zur internationalen Anerkennung eines unabhängigen Palästinas. Das Fußballnationalteam sollte der Welt ein neues, ziviles Palästina demonstrieren.
Doch wie vieles, was die Nahost-Friedensprozesse der 90er Jahren verheißen haben, waren diese positiven sportpolitischen Entwicklungen lediglich symbolischer Natur. Elementaren Bereichen wie Außenhandel, internationaler Diplomatie, Mobilität oder Verfügungsrechte über grundlegende Ressourcen verblieben weiterhin unter der Kontrolle Israels. Errungenschaften wie ein eigenes Nationalteam vermochten unter diesen Bedingungen höchstens davon abzulenken, dass es an verbindlichen politischen Maßnahmen und Rechten im Sinne eines völkerrechtlich autonomen Staates weitgehend fehlte.
Die Spieler, die 2000 zur WM-Qualifikation antraten, waren allesamt Amateure, die meisten Angestellte der Ämter und Sicherheitsdienste der Autonomiebehörde Jassir Arafats. Für den Arab-Cup 1999 wurde in den Schulklassen Geld gesammelt, um das Fahrtgeld für des Nationalteam nach Amman zusammenzukratzen. Zur WM-Qualifikation war man bereits zu professionelleren Fundraising-Methoden übergegangen. Diadora und Coca-Cola sponserten die Dressen und Norwegen stiftete Rasenplätze – damals wohl noch in der Hoffnung, die heruntergekommenen Sandplätze auf FIFA-Standards aufzupäppeln.
Das größte Problem stellte aber die eingeschränkte Bewegungsfreiheit dar, die einen routinemäßigen Spielbetrieb so gut wie unmöglich machten. Palästina ist ein Fleckerlteppich aus verschiedenen Autonomiezonen, unterbrochen von unzähligen Checkpoints, die die Anreisen der Teams von einem Ort in einen anderen zu einem unkalkulierbaren Faktor machen. Im Gazastreifen und der Westbank mussten zwei getrennte Ligen geführt werden, da es aufgrund der Reiserestriktionen durch israelisches Gebiet nicht möglich war, gemeinsame Spiele zu veranstalten.
Mit Ausbruch der Zweiten Intifada im September 2000, noch bevor die WM-Qualifikation richtig in Gang gekommen war, hat sich die Situation drastisch verschärft. Aufgrund ständiger Ausgangssperren war gemeinsames Training des Nationalteams kaum noch möglich und der Spielbetrieb der Liga wurde vollständig eingestellt. Von der eingeschränkten Mobilität sind vor allem auch die internationalen Spiele betroffen. Ein- und Ausreisen der Spieler sind aufgrund des quasi „staatenlosen“ Status der Palästinenser weitgehend vom Goodwill der israelischen Behörden abhängig, die bei palästinensischen Fußballstars keine Ausnahmen machen, zumal sie, wie alle jungen Männer, als potentielle Terroristen eingestuft werden und daher verstärkten Repressionen unterliegen.
Tatsächlich hat die Intifada unter Palästinas Fußballern bereits einen hohen Blutzoll gefordert. Mehrere Erst-Ligaspieler, sowie der Nationaltorhüter sind bei bewaffneten Kämpfen ums Leben gekommen. Jamal Al Houly, ein aus einem Flüchtlingslager in Gaza stammende Mittelfeldstar, verlor über Nacht sein Haus mitsamt Hab und Gut unter den Kettenrädern israelischer Bulldozer.
Dass die Nationalelf unter diesen Bedingungen immerhin Gruppenzweiten in der WM-Qualifikation (nach Katar) wurde, erfüllte die Palästinenser mit Stolz. Doch angesichts der eskalierenden Situation vermögen diese Erfolge nicht wirklich von der verfahrenen Lage in ihrem Land abzulenken. Die Menschen haben heute andere Sorgen.
Noch wird versucht das Zivilprojekt Fußball pro forma aufrechtzuerhalten. Die FIFA hat zwar mit Ausbruch der Zweiten Intifada alle Förderprogramme eingestellt. Doch es wurde das Einverständnis gegeben, dass Diaspora-Palästinenser mit ins Nationalteam geholt werden können. Weltweit gibt es mehr als sechs Millionen palästinensische Flüchtlinge. Insbesondere in Chiles und Argentiniens Erster Division finden sich etliche Fußballprofis, wie Pablo Abdala vom Spitzenclub Cobreloa und die Brüder Bishara vom Exil-Club „Palestino“ in Chile, die nun im Nationalteam spielen. Doch das Auffrisieren des Nationalteams kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fußballambitionen in den Krisengebieten selbst in den Mühlen des Krieges und der Repression aufgerieben wurden, noch bevor sie richtig Fuß fassen konnten.
Fußball in Palästina hat wieder jene Bedeutung erlangt, die er wohl in allen Elendsgebieten der Welt innehat – er ist der einzig leistbare Zeitvertreib einer perspektivelosen Jugend. „Als Kind hab ich mich immer über die Ausgangssperren gefreut, weil dann keine Autos fahren durften und wir die Straßen ganz für uns zum Kicken hatten“, erzählt ein in Österreich lebender Palästinenser, der seine fußballerische und politische Sozialisation während der Ersten Intifada in den 80ern in seiner Heimatstadt Nablus erfahren hat. Doch in Israel sieht man in den herummarodierenden Kindern und Jugendlichen vielfach den Ausgangspunkt von Gewalt und radikalisierender Dynamik. Immer öfter gelten daher auch ihnen direkte Angriffe.
Bei einem Aufenthalt in Hebron berichtete uns ein Vater voller Hass von einem Soldaten, der seinem Sohn mit einem Dumdum-Geschoß den Fuß zertrümmert hat, weil er ihm beim gemeinsamen Straßenkick den Ball nicht zuspielte. Während er erzählt, wird nebenan auf der Straße ein sehr freundschaftliches Match zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Buben ausgetragen. Für die Kinder in Hebron sind die bewaffneten feindlichen Soldaten Teil ihres Alltags geworden. Zum Schutz der fünfhundert militanten Siedler, die sich inmitten der Altstadt Hebrons niedergelassen haben, steht die Stadt fast permanent unter Ausgangssperre und an nahezu jeder Straßenecke sind Militärs postiert. Fast zwangsläufig kommt es in dieser Besatzungssituation zu solch zwiespältigen Fußballallianzen. Nicht nur die palästinensischen Kids, sondern auch die Soldaten (allesamt selbst noch Jugendliche) haben an den Wachposten viel Zeit totzuschlagen. Nicht nur das Besetzt-Sein, auch das Besetzen lähmt.
Besonders trostlos ist die Situation der Kinder im Gazastreifen. Viele von ihnen mussten von einer Minute auf die andere aus ihren Häusern fliehen und zusehen, wie ihre Heimstätten niedergewalzt oder zerschossen wurden. Die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Kindern ist aufgrund dieser Kriegstraumata in besorgniserregenden Maßen gestiegen. Bereits unter sehr kleinen Kindern zeigen sich Aggressionen und Radikalisierung. Die Kids, die zwischen den Trümmern ihrer Häuser mit zerlumpten Bällen spielen, scheinen mit den zivilen Helden des Fußballs nicht viel am Hut zu haben. Die Idole, die allerorts in den Straßen Gazas abgebildet sind, heißen weder Pablo Abdala noch Ronaldo, sondern sind junge Männer aus der Nachbarschaft und tragen schwere Sprengstoffgürtel um ihre Körper.
Irmgard Hubauer