Interview mit Awni al Kalemji, Irakische Patriotische Allianz
Die Irakische Patriotische Allianz ruft zur Bildung einer Nationalen Befreiungsfront auf
Die Irakische Patriotische Allianz (IPA) wurde 1992 im Exil in Schweden gegründet. Ihr gehören panarabische, kommunistische und religiöse Organisationen an. Die IPA kämpft gegen die Besatzung und für die Demokratisierung des Irak. Trotz ihrer Gegnerschaft zu Saddam Hussein riefen sie vor Beginn des Angriffskrieges durch die USA und Großbritannien zur Verteidigung des Irak gegen den Imperialismus auf.
Awni al Kalemji ist Gründungsmitglied und parteiunabhängig. Er nahm für die IPA am diesjährigen Antiimperialistischen Lager in Italien/Assisi teil.
Die IPA hat sich zum Ziel gesetzt eine „Nationale Widerstands- und Befreiungsfront“ aufzubauen. Welche konkreten Schritte werden in diese Richtung unternommen? Welche Organisationen kommen neu dazu?
Alle unsere Aufrufe zum Aufbau dieser Nationalen Front gingen über die Medien. Es wurde keine Organisationen direkt angesprochen bis vor einem Monat. Wir haben festgestellt, dass die bloßen Aufrufe über die Medien und unsere Veröffentlichungen zum Aufbau einer Front nicht ausreichen und deswegen haben wir beschlossen die Führung unserer Koalition in den Irak zu schicken. 70 Prozent unserer Führungsmitglieder sind schon in Bagdad, an ihrer Spitze der Vorsitzende unserer Koalition. Unser Vorsitzender hat zu mehreren Pressekonferenzen eingeladen und öffentliche Erklärungen abgegeben. Dort hat er klar gesagt, dass unsere Aufgabe im Irak die Unterstützung des Widerstandes und der Aufbau der breiten Nationalen Widerstandsfront ist. Er hat nun auch Kontakt mit anderen Organisationen aufgenommen. Dieses große und komplizierte Ziel zu erreichen, ist sehr schwer, es erfordert viel Arbeit und Geduld. Vieles hängt auch vom Willen und Interesse anderer Organisationen ab, diese Front aufzubauen.
Gab es schon Reaktionen auf den Aufruf?
Bisher gibt es keine Informationen, die wir veröffentlichen möchten. Trotz unseres großen Optimismus wollen wir nicht alles bekannt geben, damit es bei eventuellen späteren Problemen nicht zu Entmutigungen kommt. Anders gesagt, wir wollen nichts bekannt geben bevor es hundertprozentig ist, auch wenn unsere Erwartungen neunzig Prozent sind.
Gibt es momentan die Möglichkeit, legal im Irak aufzutreten als Gegner/innen der Besatzung. Der Vorsitzende Al – Kubaysi sprach im Juli von dem Versuch der IPA, Büros in Bagdad zu eröffnen und der offenen Beteiligung an Demonstrationen. Ist dies auch weiterhin möglich?
Ja, es ist möglich und wir fürchten uns nicht vor der Besatzung. Momentan können wir öffentlich auftreten, aber wir wissen und erwarten, dass es bald nicht mehr möglich ist. Uns ist klar, das die Möglichkeit besteht, das Herr Kubaysi ebenso wie der Rest unserer Führung verhaftet wird und unsere Büros wieder geschlossen werden, wir rechnen auch mit physischen Eliminierungen, aber wir begreifen auch die Notwendigkeit unseres Widerstandes und wissen, dass der Widerstand gegen die Besatzung kein Spaziergang ist. Unser politisches Verhältnis zur Besatzung ist Widerstand und kein Dialog.
Was gibt es denn derzeit für Aktivitäten? Wie sieht der alltägliche legale Widerstand gegen die Besatzung aus?
Wir halten alle Formen des Widerstandes für berechtigt, aber die Priorität gehört dem bewaffneten Widerstand. Unser Begriff von friedlichem Widerstand hat nichts mit einem Dialog mit der Besatzung zu tun. Wir verstehen unter friedlichem Widerstand den absoluten Boykott des Feindes, weder Waren an sie zu verkaufen noch etwas bei ihnen zu kaufen, das veranstalten von Demonstrationen, das Aufhängen von Transparenten und Sprühen von Parolen gegen die Besatzungsmacht, die Mobilisierung der irakischen Massen und die Unterstützung des Widerstandes mit allen Formen.
Wie stellt sich die IPA einen demokratischen, souveränen Irak vor? Welche Rolle wird der Islam in einem demokratischen Irak spielen? Welche gesellschaftliche Stellung werden Frauen einnehmen? Wie ist derzeit die Beteiligung von Frauen im irakischen Widerstand?
Der Kern unseres Programms ist die Beendigung der Besatzung und wenn wir jetzt darüber reden, was nach Zeit der Besatzung kommen soll, dann sage ich, ein demokratisches System. Wer mit diesen beiden Punkten, demokratisches System und Beendigung der Besatzung, einverstanden ist, ist unser Bündnispartner, seien es Islamisten, Kommunisten, Liberale, Männer oder Frauen. Was die Frauenfrage betrifft, und was in den westlichen Staaten über Frauenrechte und Menschenrechte in den arabischen Ländern berichtet wird, so handelt es sich oft über richtige Informationen, mit denen jedoch falsche Absichten verfolgt werden. Die Situation der Frauen in der arabischen Welt ist nicht überall die gleiche. In 90 Prozent der arabischen Staaten hat die Frau gesetzlich die gleichen Rechte wie der Mann. In Saudi – Arabien und ein paar anderen Golfländern ist das anders. Dort haben sie weniger Rechte. Das emanzipierteste Land im Hinblick auf die Frauenfrage ist der Irak. Hier sind Frauen in allen politischen Parteien auf allen Ebenen vertreten, bis in die Führungsebenen. Jede irakische Partei hat Verbände für Jugendliche, Studenten etc, und jede Partei hat auch einen Frauenverband.
Die IPA ist ein breites Bündnis verschiedenster Kräfte, der auch eine Abspaltung der offiziellen KP angehört. Wie real ist denn angesichts der opportunistischen Politik der offiziellen KP, die sich am Besatzungsrat beteiligt und mit den USA kollaboriert, die Kraft der kommunistischen Kräfte innerhalb des Widerstandes?
Ich trenne zwischen der Führung der Irakischen Kommunistischen Partei (IKP) und der Basis. Und sogar innerhalb der Führung der IKP gibt es keine absolute Zustimmung zur jetzigen Politik der Partei. Aber innerhalb der IKP gibt es ein gewisse Mentalität, die meint, dass jede Spaltung die Partei schwächen würde. Doch die linke Strömung innerhalb der Partei ist ziemlich stark, und wir hoffen dass der Tag bald kommt, an dem sie diese korrumpierte Führung, die mit der Besatzung zusammenarbeitet, ausschließen werden.
Aber das heißt nicht, dass bisher keine Spaltungen innerhalb der IKP gegeben hat, die KP – patriotische Strömung, hat sich unserer Koalition angeschlossen. Diese Abspaltung wird von zwei ehemaligen ZK – Mitgliedern der IKP geführt. Einer von ihnen ist Kurde und heißt Ahmed Karim, er ist dem Antiimperialistischen Lager schon bekannt, der zweite ist Araber und heißt Khaled Selam. Beide waren eingeladen, am Antiimperialistischen Lager teilzunehmen, konnten aber leider er nicht kommen. Sie haben aber eine Grußbotschaft geschickt, in dem sie ihre Verbundenheit mit dem Antiimperialistischen Lager ausdrücken und die offizielle Führung der IKP verurteilen, die für sie nicht nur Reaktionäre, sondern auch Verräter sind.
Treten Kommunisten derzeit öffentlich im Irak auf, z. B. auf Demonstrationen?
Hätten sie nicht mit der Besatzung kollaboriert, ihr Generalsekretärs ist Mitglied in dem von den Amerikanern installierten „Übergangsrat“, so hätten sie ihre Basis dort schon zurück gewinnen können. Eine Basis für kommunistische Politik ist vorhanden in Bagdad, aber da sie an diesem Rat teilnehmen, beschränken sich ihre Aktivitäten darauf und sie haben die Unterstützung ihrer Basis verloren.
Wie ist das Verhältnis der IPA zur demokratischen kurdischen Bewegung, die ja im Moment nicht gegen die Besatzung auftritt, sondern im Gegenteil behauptet, die Besatzung eröffne neue Möglichkeiten zur Demokratisierung der Region?
Für die kurdische demokratische Bewegung gilt dasselbe wie für die IKP, wir trennen zwischen der Führung und der Basis. Wir unterstützen den Kampf für die Rechte des kurdischen Volkes, abgesehen davon, wer ihn führt. Das gilt auch für den Kampf des kurdischen Volkes im Iran, in Syrien und der Türkei. Unsere Unterstützung ist bedingungslos, sie beinhaltet auch die Forderung nach einem eigenen Staat. Die einzige Vorraussetzung ist natürlich, dass dieser Staat unter gesunden, demokratischen Umständen entsteht, dass das kurdische Volk sein Selbstbestimmungsrecht ausübt. Doch genau wie wir als Panarabisten die Araber aufrufen, das Selbstbestimmungsrecht der Kurden zu akzeptieren, rufen wir auch die Kurden auf, Teil unseres geliebten Heimatlandes zu bleiben. Was wir ablehnen ist, das ein kurdischer Staat von einer Besatzungsmacht gebildet wird. Das ist eine interne Angelegenheit der Araber, Kurden, Turkmenen und anderen, die gemeinsam eine akzeptable Lösung für alle Völker erreichen müssen.
Welche Haltung nimmt die IPA der UNO und NGOs gegenüber ein? Es hat ja z.B. vor nicht allzu langer Zeit einen Anschlag auf die UNO in Bagdad gegeben, der dem irakischen Widerstand angelastet wird.
Für uns ist die Zentrale der UNO nicht in Bagdad, sondern in New York. Für uns ist das, was Vereinte Nationen genannt wird, seit dem Zerfall der Sowjetunion zu einer US-amerikanischen Institution geworden. Die UNO und der UN-Sicherheitsrat haben in unseren Augen durch das Embargo gegen den Irak am Krieg teilgenommen. Sie tragen die Verantwortung für 2,5 Millionen Tote Iraker. Es gibt keinen Iraker, der die UN nicht hasst, aber unser Hass reicht nicht aus, um so einen Anschlag gegen Zivilisten von der UNO durchzuführen.
Das Antiimperialistische Lager hat in diesem Jahr die Unterstützung des irakischen Widerstandes beschlossen. Unter dem Motto „10 …€ für den irakischen Widerstand“ wird in Europa dazu aufgerufen, symbolisch Geld für den Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Besatzung des Irak zu spenden, auch in anderen Ländern wird Geld gesammelt.
Was halten Sie von dieser Kampagne und welche weiteren Möglichkeiten der gemeinsamen Arbeit könnte es zukünftig geben?
Die Solidarität mit dem irakischen Volk ist ein Schritt, den wir akzeptieren und schätzen, sei es materiell oder symbolisch, seien es zehn oder eine Million …€ .
Eine Möglichkeit der Solidarität ist die Initiierung von Massenprotesten in den eigenen Ländern, damit die jeweiligen Regierungen keine Soldaten in den Irak schicken.
Aber wichtiger als das ist, dass alle internationalen Befreiungskräfte zusammenarbeiten und verstehen, das dieser Kampf ihr Kampf ist, denn der Sieg des irakischen Widerstandes wäre ein Sieg für alle Befreiungsbewegungen der Welt, genau wie eine Niederlage eine Niederlage für alle Befreiungsbewegungen wäre. Das ist kein theoretisches Gerede, denn die USA hat das Ziel verkündet, die ganze Welt zu kontrollieren. Der Irak war lediglich das erste Land in der Reihe.
Vielen Dank für das Interview.
Spendenkonto für den irakischen Widerstand:
Spenden unter Stichwort „Irak“ an:
RKL
BIC OPSKATWW
IBAN AT646000000092125137
Henning v. Stoltzenberg
Initiativ e. V.
www.antifakomitee.de
Assisi, 4.9.03