Resümee des Antiimperialistischen Kongresses in Wien
Mit insgesamt etwa 100 Teilnehmern fand am 24. und 25. Oktober der von der Antiimperialistischen Koordination in Wien organisierte Kongress unter dem Thema „US-Hegemonie, Antiimperialismus und die Erneuerung des Marxismus“ statt.
Neben Teilnehmern, die dem – seiner ideologischen Zuordnung heterogenen – antiimperialistischen Spektrum der österreichischen Linken angehörten, fanden sich am Kongress auch zahlreiche Zuhörer die nicht dem organisierten Teil der Linken zuzuordnen waren. Ein, durch die medialen Einschränkungen in der öffentlichen Bekanntmachung des Kongresses notwendigerweise bescheidenes, aber wichtiges Signal, dass eine antiimperialistische Positionierung gegen die US-dominierte Weltordnung und in Solidarität mit den gegen das US-Imperium kämpfenden Kräften in der kritischen Öffentlichkeit durchaus auf Zuspruch stößt.
Die Antiimperialistische Koordination (AIK) präsentierte im Zuge des Kongresses ihre bisherigen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen der letzten Jahre und den neokolonialen Angriffskriegen, mit denen die USA unter sich ändernden Vorwänden die Welt konfrontierte.
1. Die USA als führende politisch-militärische Kraft des Imperialismus streben danach, ein „amerikanisches Imperium“ zu errichten. Jegliche oppositionelle Regung, sei es von Staaten, Völkern oder politischen und sozialen Bewegungen, wird militärisch zerschlagen. Europa ist untergeordneter Teil dieses US-zentrierten Imperiums, wobei die Unterordnung aus Sicht der europäischen herrschenden Klassen eine freiwillige ist, insofern die USA der einzige Garant für das Bestehen des kapitalistischen Weltsystems sind. Die Errichtung dieses totalitären US-Imperiums stößt auf wachsenden Widerstand. Seine Vollendung und Konsolidierung ist daher ein unsicherer Prozess mit offenem Ausgang. Diese reale Form des Imperialismus und damit der internationalen kapitalistischen Weltordnung nennen wir Amerikanismus. Als Reaktion und in Opposition dagegen nimmt der Widerstand häufig die Form des Antiamerikanismus an, der in sich die Dynamik des Antiimperialismus und auch des Antikapitalismus trägt.
2. Die Niederlage der nationalen und sozialen Befreiungsbewegungen sozialistischer Orientierung und die Krise der westlichen Arbeiterbewegung und des Kommunismus haben neue oppositionelle Bewegungen geschaffen. Der Volkswiderstand gegen die massive Verarmung durch den Neoliberalismus sucht sich angesichts der Schwäche der kommunistischen Idee und/oder der Integration ehemaliger linker Bewegungen in das imperialistische Herrschaftssystem oft in traditionellen, aus der nationalen Kultur kommenden Ideologien einen politischen Ausdruck. Der soziale und Klassenwiderstand der Unterschichten verändert die Rolle dieser Ideologien und treibt sie in eine antiimperialistische und manchmal auch sozialrevolutionäre Richtung. Der politische Islam ist dafür ein Beispiel. Diese neuen Bewegungen gilt es jeweils konkret zu analysieren und entsprechend ihrem Beitrag zu einer antiimperialistischen Mobilisierung der Unterklassen gegen den Imperialismus und die pro-imperialistischen lokalen Oligarchien zu unterstützen.
3. Der Marxismus muss angesichts der realen Veränderungen viele seiner traditionellen Paradigmen kritisch überdenken und sich erneuern. Nur ein Marxismus, der den Mut aufbringt, zu Dogmen erstarrte und der Realität des Kampfes nicht mehr entsprechende Kategorien aufzubrechen, wird in der Lage sein, eine politische Rolle zu spielen und die Chance haben, ein Faktor in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Füllung des politisch-theoretische Vakuums nach dem Scheitern des bisherigen Sozialismus zu werden. In Abgrenzung zu den „postkommunistischen Erneuerungen“ nach 1989/91 sprechen wir von einer antiimperialistischen und leninistischen Erneuerung, die den Marxismus nicht nur als kritisch-revolutionäre Gesellschaftswissenschaft versteht sondern auch als radikale Theorie und Praxis des sozialen und politischen Umsturzes.
Die Debatten am Kongress zeigten, dass insbesondere in der organisierten Linken, diese Thesen auf einige Skepsis stoßen. (Ganz zu schweigen von den verleumderischen Angriffe der mehrheitlich neoimperialistischen und proamerikanischen „Linken“.) Der Mut der traditionellen Linken, sich in den unbekannten Gewässer der antiimperialistischen Auseinandersetzung der neuen Zeit auch einen neuen politisch-theoretischen Kompass zu suchen scheint geringer zu sein, als ihr Bedürfnis, sich weiter im Rahmen der scheinbar sicheren traditionellen Kategorien zu bewegen. Ein zumindest in Teilen der Linken merkbares offenes Interesse an den politischen Formulierungen der AIK (ohne diese notwendigerweise zu teilen) zeigt jedoch, dass die vorgeschlagenen Positionen vor dem Hintergrund der realen politischen Auseinandersetzungen als zumindest denkbarer Ansatz eines neuen radikalen Projektes gesehen werden. Dass die vorgestellten Thesen oft außerhalb der organisierten Linken auf mehr Zustimmung stoßen verwundert wenig, da hier die Angst gesicherten Boden zu verlassen weniger groß ist. Die Radikalität eines antiimperialistischen Projekts dürfte mit der Zuspitzung der Kämpfe und des Widerstandes gegen die US-Weltordnung von einem wachsenden Teil der kritischen Öffentlichkeit zumindest als verständlich angesehen werden. Um dieses Projekt zu einem Orientierungspunkt und zu einem Ansatz gesellschaftlicher Opposition im Westen zu machen ist sicher noch ein qualitativ stärkerer Hegemonieverlust des Amerikanismus im Westen nötig (z.B. eine Niederlage der USA im Irak, d.h. der erzwungenen Rückzug der Besatzungstruppen) wie es der Vietnamkrieg war.
Neben einigen Schwerpunktprojekten („10 Euro für den Irakischen Widerstand“, Kundgebung zum Jahrestag des ersten Angriffes auf den Irak am 17. Januar, Solidarität mit dem politischen und sozialen Widerstand in Kolumbien) strebt die AIK die geeignete Fortsetzung und Vertiefung eines Dialogs zwischen den antiimperialistischen und offenen Teilen der Linken sowie all jenen, die durch den Widerstand gegen die Politik des US-Imperium im Antiimperialismus und einem erneuerten antiimperialistischen Marxismus eine Alternative sehen, an.
Texte zu den Diskussionen am Antiimperialistischen Kongress finden sich unter: Texte zum Antiimperialistischen Kongress