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Antijüdische Anschläge verschärfen „Konfessionalisierung“ des Nahostkonfliktes

21. November 2003

Die Anschläge vom vergangenen Wochenende auf zwei Synagogen in Istanbul sowie eine jüdische Schule in Frankreich stellen bedingungslos abzulehnende Akte von antijüdischem Terror dar. Die Vermutung, sie könnten durch die Terrorpolitik des israelischen Staates gegenüber den Palästinensern oder durch die Beziehungen, die der türkische Staat mit Israel unterhält motiviert sein, liegt nahe. In diesem Fall wären die Anschläge ein weiteres Beispiel für die besorgniserregende Tendenz, die sich unter den Völkern des Nahen Ostens bzw. unter muslimischen Migranten in Europa abzeichnet, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zunehmend als einen religiösen bzw. „ethnischen“ Konflikt zwischen Juden und Muslimen zu begreifen.
Die jüdische Bevölkerung in den arabischen und mehrheitlich muslimischen Ländern blickt auf eine jahrhunderte-, teilweise jahrtausendealte Tradition zurück. Wenn es auch Formen der Diskriminierung – so wie gegen alle Mitglieder anderer Konfessionen – gab, so war das Zusammenleben der jüdischen, christlichen und muslimischen Bevölkerung in den muslimischen Gesellschaften dennoch weitgehend friedlich und von Toleranz geprägt. Keinesfalls kann die Stellung von Jüdinnen und Juden in den muslimischen Gesellschaften mit jener von Jüdinnen und Juden in den christlichen europäischen Gesellschaften verglichen werden, die zutiefst antisemitisch geprägt waren. Jüdinnen und Juden stellten einen integralen Bestandteil der arabischen und muslimischen Gesellschaften dar.
Die jüdische Besiedlung im Istanbuler Stadtteil Beyoglu, in dem das Attentat stattfand, geht auf das 15. Jahrhundert zurück, als aus Spanien vertriebenen Juden vom Sultan Asyl gewährt wurde. Zuvor war der Hügel bereits Siedlungsraum für Christen geworden. Noch heute liegen in Beyoglu als Zeichen des jahrhundertealten friedlichen Zusammenlebens Moscheen, Kirchen und Synagogen dicht nebeneinander.
Die oftmals gewaltsame, in jedem Fall jedoch von Israel geförderte Aussiedlung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern nach Israel hat eine Kultur des jahrhundertealten inter-konfessionellen Zusammenlebens zerstört, deren intellektuelle Fruchtbarkeit beispielhaft war. Während es in Europa kaum, oder bestenfalls instrumentalisiertes Bedauern über den Verlust jenes kulturellen Reichtums gibt, den Europa in seiner jüdischen Bevölkerung besessen hat, gibt es in den arabischen Gesellschaften immer wieder Stimmen, welche die Wunde beklagen, die der Verlust der jüdischen Bevölkerung in sie gerissen hat.
Die antijüdischen Anschläge vom Wochenende zeigen eine Tendenz auf, deren Folgen schwer absehbar sind: In den arabischen und islamischen Gesellschaften bzw. unter den muslimischen Migranten in Europa wird zunehmend nicht nur der israelische Staat und seine völkerrechtswidrige Besatzungspolitik gegenüber dem palästinensischen Volk als Bedrohung empfunden, sondern das Judentum als solches, das oftmals die israelische Politik ablehnt und verurteilt. Diese Entwicklung ist äußerst besorgniserregend, erschwert sie doch die Möglichkeiten das Problem als solches zu begreifen, was es ist: ein Kolonialkonflikt. Der Besatzer und koloniale Ausbeuter – der Staat Israel – steht dem Besetzen, Unterdrückten und Kolonisierten – dem palästinensischen Volk – gegenüber. Es handelt sich hier zweifellos um einen nationalen Konflikt, denn dem palästinensischen Volk wird seine legitime Selbstbestimmung vorenthalten. Darüber hinaus ist es allerdings auch ein sozialer Konflikt, denn Israels Reichtum gründet sich zu einem Gutteil auf der Ausbeutung der palästinensischen Arbeitskraft. Letztendlich entscheidend ist jedoch, dass es sich um weder um einen religiösen noch um einen „ethnischen“ Konflikt im Sinne eines Kampfes zwischen Volksgruppen handelt. Auch für die israelische Bevölkerung stellt schließlich die Besatzungspolitik eine Bedrohung dar. Diesem Umstand tut auch die Tatsache keinen Abbruch, dass sie diese Politik mehrheitlich unterstützt. Die einzig mögliche Lösungsgrundlage des Konfliktes ist – wie bei jedem Kolonialkonflikt – die Aufhebung der militärischen Besatzung und die völlig rechtliche Gleichstellung von allen in der Region lebenden Menschen. Um dieses Ziel zu erreichen müssen die Fronten jenseits der Konfessionen, vielmehr zwischen den Kolonialismus befürwortenden und ihn bekämpfenden Menschen verlaufen. Genau dies wird durch die drohende „Konfessionalisierung“ des Konfliktes immer schwerer zu begreifen.
Israels unmenschliche Politik ist maßgeblich für diese Entwicklung verantwortlich, ebenso wie der menschenverachtende „Anti-Terror-Feldzug“ der USA. Antijüdische Anschläge wie die vom vergangenen Wochenende treiben den Konflikt in die gleiche Richtung. Jüdinnen und Juden in aller Welt werden potenziell darin bestärkt, sich mit Israel und seiner völkerrechtswidrigen Politik zu identifizieren. Die Anschläge nützen daher letztendlich der israelischen Besatzungspolitik. Sie sind bedingungslos abzulehnen.

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