Wie bekannt, fanden im gesamten Frühjahr und Sommer diesen Jahres heftige Protestaktionen gegen die Kriegspolitik der USA und den amerikanisch-britischen Krieg gegen den Irak statt.
Auch am 15. April 2003 gab es derartige Proteste vor dem Heidelberger Headquarter (HQ) der US-Armee, denn dankenswerterweise hatte genau gegenüber dem Haupteingang des HQ eine permanente Mahnwache ihr Quartier aufgeschlagen. Diese Mahnwache war natürlich Gegenstand ständiger Belästigungen durch das US-Militärpersonal, das nicht selten auch deutsche Polizisten für diese Zwecke einspannte. Dabei erhielt die Mahnwache natürlich häufig Besuch von anderen Kriegsgegnerinnen und -gegnern, die sich dort oft längere Zeit aufhielten, um die Mahnwache zu unterstützen. Dies tat am Dienstag, den 15. April auch eine Heidelberger Kriegsgegnerin, nennen wir sie S., zusammen mit einer Freundin.
Leider sollte sich bald erweisen, dass die US-Armee, die gerade kurz zuvor den Irak überfallen, in Trümmer gelegt und dabei nach zuverlässigen Angaben mindestens 15.000 Menschen umgebracht hatte, angeblich um dort „Demokratie“ einzuführen, in Heidelberg mit Demokratie nicht viel im Sinn hat. Jedenfalls nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Es folgt eine kurze Schilderung darüber, wie es S. nach dem Besuch bei der Mahnwache erging:
Am 15. April waren S. und eine Freundin und abends bei der Mahnwache. Sie waren oft dort, die Mahnwachen-Leute kannten beide, sie plauschten eine Weile zusammen. Dann fuhren S. und ihre Freundin mit ihren Fahrrädern in Richtung Norden die Römerstraße entlang. An der US-Kapelle bogen sie rechts ab. Kurz, bevor sie die Rohrbacherstraße erreichten, kam von hinten ein Auto der amerikanischen Militärpolizei (MP) angerast. S`s Freundin fuhr auf den Gehweg, S. bog in die Rohrbacherstraße ein. Auf der Rohrbacherstraße schnitt das MP-Auto S. den Weg ab, der MP sprang aus dem Auto, hielt S. am Gepäckträger ihres Fahrrads fest und schrie sie auf Englisch an, sie solle absteigen. Dann packte er S. an beiden Handgelenken, drehte ihr die Arme auf den Rücken und legte ihr Handschellen an. Dann schleifte er S. samt Fahrrad an den Straßenrand. Warum er sie festnahm, sagte er ihr nicht. Nach etwa zehn Minuten kamen Beamte vom Bundesgrenzschutz angefahren, die ebenfalls nicht sagen konnten, weshalb S. festgehalten wurde und ihr Erstaunen darüber äußerten, dass die MP S. so weit weg vom Headquarter festnahm. Schließlich wiesen deutsche Beamte eine inzwischen hinzugekommene US-Militärpolizistin an, S. die Handschellen abzunehmen. Dabei drehte die MP die Handschellen auf eine Art, dass sie S. tief ins Fleisch einschnitten und ihr fast schwarz vor den Augen wurde. Ungeachtet des Protestes der Militärpolizei wurde S. dann nach einer Passkontrolle von den deutschen Beamten auf freien Fuß gesetzt, weil ja nichts anstehe.
Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Statt dass die US-Behörden sich für den oben geschilderten gewaltsamen Übergriff entschuldigt hätten, wurde S. nun von der Militärpolizei des Widerstands gegen Vollsteckungsbeamte und der Körperverletzung beschuldigt und im September vom Amtsgericht Heidelberg zu EUR 1.400 Strafe verurteilt! So wird aus schwarz weiß gemacht. Der Militärpolizist, der S. ohne Angabe von Gründen überfallen hatte, behauptet nun, sie habe Widerstand geleistet (gegen einen wesentlich größeren, schwer bewaffneten Mann!), und die Militärpolizistin, die S. beim Abnehmen der Handschellen absichtlich oder fahrlässig Qualen zugefügt hatte, behauptet, von ihr getreten worden zu sein und dabei „heftige Schmerzen“ erlitten zu haben.
Wir kennen diese Melodie nun bis zum Erbrechen, und leider beschränken sich unsere Erfahrungen dabei selbstverständlich nicht auf die amerikanische Polizei: Wenn wir unsere demokratischen Rechte auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit ausüben und dabei von der Polizei behindert, eingeschüchtert und zusammengeknüppelt werden, werden hinterher nicht selten aus den Opfern die Täter gemacht.
Nicht genug damit, dass man bedroht und misshandelt wird, wird man hinterher auch noch vor Gericht gezerrt, und man soll seine Peiniger für ihr übles Werk auch noch „bezahlen“.
Hier ist es die Pflicht aller Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, in Fällen wie dem von S. Solidarität zu üben und zu sagen SO NICHT! Nicht mit uns! Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!
S. hat gegen den Bescheid des Amtsgerichts Widerspruch eingelegt. Bei der Revisionsverhandlung werden auch die BGS-Beamten, die zum Teil Zeugen des Vorfalls waren (und am 15. April teilweise aus Bayern angekarrt worden waren, um das HQ vor Demonstranten zu „schützen“), als Zeugen anwesend sein, und man darf gespannt sein, ob diese Beamten sich nun mehr der Wahrheit oder aber der „guten Zusammenarbeit“ verpflichtet fühlen, für die sie von den US-Streitkräften gerade erst in einer feierlichen Zeremonie so gelobt wurden. Ein möglichst zahlreiches Erscheinen von Kriegsgegnerinnen und -gegnern bei dieser Verhandlung ist äußerst wichtig, um klarzumachen, dass dieser farcenhafte Prozess gegen eine von uns ein Prozess gegen uns alle ist, dass wir nicht bereit sind, die Übergriffe der US- und deutschen Polizei gegen unsere Proteste sowie die anschließenden Strafverfolgungen widerspruchslos hinzunehmen, und dass S. auch im Falle einer Verurteilung nicht allein dastehen wird.
Zusatz-Info:
Gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kasernenblockaden in Mannheim (merke: gewaltfreie Blockaden sind ziviler Ungehorsam und keine kriminelle Handlung!) am 18. und 29. März 2003 sind insgesamt 17 Bußgeldbescheide und Polizeirechnungen von jeweils ca. EUR 300 ergangen. Die Betroffenen haben Einspruch eingelegt, die Prozesse beginnen im November. Dazu kommen zwei Strafverfahren (u.a. wegen „Nötigung“). Es werden (wie im Falle einer Verurteilung bei S.!) eine ganze Menge Gerichts- und Anwaltskosten auf die Mann-heimer Kriegsgegnerinnen und -gegner zukommen. Hierfür gibt es bereits ein Konto: K.H.Noffz, Kto.Nr.417 658 2 bei der SPK Rhein Neckar Nord, BLZ 670 50505,
Verwendungszweck: Blockaden