Editorial
Sie ist den einen zum Mythos geworden, den anderen zum Trauma, die weltweite Solidaritätsbewegung mit dem Kampf des vietnamesischen Volkes gegen den übermächtigen Invasor. Und sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser Kampf für den vietnamesischen David siegreich ausging. Natürlich war es in erster Linie der eiserne Kampfeswille des kleinen südostasiatischen Volkes, das Hunderttausende wenn nicht Millionen seiner Angehörigen opferte, um den US-Imperialismus in die Knie zu zwingen. Nichtsdestotrotz leistete die Solidaritätsbewegung in allen Teilen der Welt, nicht zuletzt im Bauch der Bestie selbst, einen entscheidenden Beitrag, der den Invasor schließlich zum Rückzug zwang.
Es gab keinen Zweifel für jeden sich als fortschrittlich verstehenden Menschen in den 60er und 70er Jahren, dass das Recht auf der Seite des vietnamesischen Volkes lag und die Pflicht zur Solidarität bei jede/r/m Einzelnen. Der Sieg der Vietnamesen war ein Sieg für alle unterdrückten Völker der Welt, für jene, die sich gerade vom Joch des Kolonialismus befreit hatten, ebenso wie für die, denen die Befreiung noch nicht gelungen war.
Auch heute schauen alle Augen wie gebannt auf ein kleines Land von kaum mehr als zwanzig Millionen Einwohnern, das wider jegliches Erwarten die unumschränkte Supermacht nun schon seit mehr ale einem halben Jahr im Zaum hält. Sie kämpfen gegen einen Invasor und Besetzer, die Iraker, sie kämpfen gegen einen übermächtigen Feind, einen kriegswütigen, machthungrigen und skrupellosen Imperialismus. Allein, wo bleibt die Solidarität? Wo sind sie, die Massen der sich als fortschrittlich Verstehenden, die von einer möglichen anderen Welt faseln? Abgeschreckt, weil der Widerstand der Iraker angeblich Terrorismus ist? Angewidert, weil er nicht „sauber“ und „demokratisch“ abläuft, sich nicht auf westliche Theorien bezieht und keine westlichen Methoden anwendet?
„Terroristen“ waren die Revolutionäre von 1789 in Frankreich, die antifaschistischen Partisanen in Jugoslawien, Griechenland und Italien und die antikolonialen Freiheitskämpfer in Algerien und Vietnam. „Terroristen“ sind immer die, deren Kampf der Herrschaftsideologie nicht zu Gesichte steht. Das macht ihn deshalb noch nicht illegitim. Im Gegenteil, der Kampf der Iraker gegen die Besatzung ist nichts anderes als ein Kampf um Selbstbestimmung. Er ist im Verständnis universeller humanitärer und demokratischer Werte legitim, aber er ist es auch nach geltendem Völkerrecht. Und er ist der Kampf aller unterdrückten Völker dieser Welt. Wenn der Irak sich von der imperialistischen Besatzung befreit, so wird dadurch das Kräfteverhältnis weltweit verschoben. Die Neue Weltordnung, die Völkerknechtschaft unter US-Führung, bekommt einen Sprung.
Darum, und weil die Iraker ein grundlegendes Menschenrecht in Anspruch nehmen – das Recht auf Widerstand gegen Fremdherrschaft und Besatzung – ist es unser aller Pflicht die Legitimität dieses Widerstandes mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.