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Die „Roadmap

11. Dezember 2003

Eine Nahostinitiative, die die zentrale Frage der Besatzung außer Acht lässt

Die Roadmap im Nahen Osten führt in eine Sackgasse. Sogar diejenigen, die vor kurzem noch etwas Hoffnung hegten, müssen jetzt zugeben, dass diese Initiative absolut gescheitert ist. Das sollte jedoch niemanden, der mit der Geschichte der Friedensinitiativen im Nahen Osten vertraut ist, überraschen. Diese Roadmap enthält nicht nur all die Mängel der bisherigen misslungenen Versuche zur Lösung des Konflikts, sondern es fehlen ihr darüber hinaus auch noch jegliche positiven Aspekte der Friedensbemühungen der Vergangenheit.

Die früheren Bemühungen hatten eines gemeinsam. Sie klammerten zwar die zentralen Fragen aus, gingen aber in den meisten Fällen zumindest so an die Sache heran, dass der Konflikt und seine Opfer ein ehrliches Anliegen waren. Sie wurden von amerikanischen und europäischen Vermittlern, die generell den israelischen und nicht den palästinensischen Standpunkt vertraten, organisiert. Vom palästinensischen Standpunkt aus begann der Konflikt im Jahre 1967 mit der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens. Daher war der israelische Rückzug aus diesen Gebieten Grundvoraussetzung jedes Friedens. Das Camp David-Abkommen von 1979 und dann der Oslo-Prozess von 1993 zielten darauf ab, die Palästinenser davon zu überzeugen, dass das Beste, was sie bekommen konnten, eine Art Bantustan in diesen Gebieten ohne staatliche Souveränität, ohne territoriale Integrität und ohne Hauptstadt war. Darüber hinaus wurde von den palästinensischen Führern verlangt, den eigentlichen Grund für ihren Kampf seit 1948, nämlich das Recht auf Rückkehr für die Flüchtlinge, die 1948 von den Israelis vertrieben wurden, auszuklammern. Ein auch von der UNO schon 1948 anerkanntes Recht sollte nicht einmal Gegenstand von Verhandlungen sein.

Präsident Arafat weigerte sich in Camp David im Sommer 2000 so einem Abkommen als endgültiger Übereinkunft seine Zustimmung zu geben. Die Menschen, die unter der Besatzung leiden, erhoben sich in jenem Sommer wieder, als das demütigende Angebot von Clinton und Barak gemacht wurde.

Die neueste Version von Verhandlungen, die Roadmap, ist ein Produkt von Tony Blair, der sich bewusst war, dass seine und von Bush vorgebrachten Kriegsgründe gegen den Irak für die internationale Öffentlichkeit schwer zu akzeptieren waren. Der Krieg im Irak wurde als Voraussetzung für Frieden in Palästina postuliert – nur einer von vielen der angeblichen Kriegsgründe im Diskurs von Blair und Bush um den Krieg zu rechtfertigen.

Palästina soll in zwei große Gefängnisse geteilt werden. Das würde dann als Staat bezeichnet werden, ein Staat ohne unabhängige Außen- oder Wirtschaftspolitik oder territoriale Einheit. Jeder, der diesen Staat führen wollte, wäre nur der Gefängnisaufseher, der sicherzustellen hat, dass das Volk sich nicht gegen die brutale Besatzung erhebt. Diese Besatzung hat sich seit 1967 im Wesentlichen nicht verändert. Lange bevor es zu den Selbstmordattentaten kam, gab es die Terrorherrschaft Israels in den besetzten Gebieten: Es wurden Häuser zerstört, Versorgungsengpässe und Hunger waren die Folge von Abriegelungen und Sperren, Menschen wurden vertrieben und täglich an Straßensperren schikaniert. Für diese Realität der Palästinenser wurde weder damals im Vertrag von Oslo noch heute mit der Roadmap eine Änderung in Aussicht gestellt. So ist es nicht verwunderlich, dass ein palästinensischer Führer, der das akzeptieren kann, schwer zu finden ist.

Sharons Plan sieht vor, dass den Palästinensern nur mehr 10% des historischen Palästina, zerstückelt in viele Teile, bleiben sollen, und dass es für das Flüchtlingsproblem zu keiner Lösung kommt. Die Antwort auf so ein Angebot kann eigentlich nur eine neuerliche Intifada und ein neuerlicher Krieg im Nahen Osten sein.

Was jetzt wirklich notwendig ist, ist ein anderes und umfassenderes Herangehen an den Konflikt. Die Grundvoraussetzung für jeglichen Frieden ist das Ende der Besatzung. Diese einfache Wahrheit wurde auch von wohlmeinenden Friedensstiftern in der Region bisher nicht gesehen. Um einen echten Frieden zu erreichen, muss Israel die Verantwortung für die Vertreibung von fast all den Palästinensern, die 1948 in den Gebieten lebten, die in der Folge jüdisches Staatsgebiet wurden, übernehmen. (Dabei handelt es sich um 78% des ursprünglichen Palästina unter Mandatsverwaltung.) Wenn Israel die Verantwortung für die ethnische Säuberung, die 1948 stattfand, nicht in der Form übernimmt, dass es das Recht der Palästinenser auf Rückkehr anerkennt, warum sollte das Schicksal der verbleibenden 22% von Palästina im Westjordanland und im Gazastreifen den israelischen Führern jetzt ein Anliegen sein?

Eine gerechte Lösung des Kernstücks des Problems, nämlich der Frage der Flüchtlinge, kann wahrscheinlich am besten durch die Bildung eines einheitlichen oder binationalen Staates, der aus Palästina und dem jetzigen Israel besteht, erreicht werden. Dieser Staat müsste auf Prinzipien der Menschen- und Bürgerrechte beruhen, die es all seinen Einwohnern zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer erlauben würden, sich anderen wichtigen Fragen wie Frauenrechten, ökologischen Problemen, Wirtschaftsfragen und der Armut zu widmen. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, wird jede andere Lösung im vom Krieg zerrissenen Land von Palästina und Israel nur zur Fortsetzung des Konflikts führen.

Ilan Pappe
Dr. Ilan Pappe ist Direktor der Abteilung für Internationale Beziehungen an der Universität von Haifa.
Quelle: „Scotsman“, 12. September 2003

 

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