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Edward Said

11. Dezember 2003

1935 – 2003 und darüber hinaus

Am 25. September dieses Jahres ist Edward Said gestorben. Sein Leben widmete er dem Kampf gegen Imperialismus und der Befreiung Palästinas. Durch seine kulturtheoretischen Werke zur Imperialismuskritik legte er das Fundament der „postcolonial studies“, durch seine aktive Mitarbeit in der palästinensischen Politik sowie zahlreichen Publikationen zu diesem Thema war er ein wichtiger Kämpfer für die Rechte Palästinas.

Eckdaten seines Lebens
1935 wurde Said in Jerusalem geboren. 1947 floh seine Familie nach Kairo, wo er den größten Teil seiner Kindheit verbrachte. Von seiner Schulzeit an lebte er in Amerika. Seit 1963 lehrte Said englische und vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia-Universität. Nach dem Krieg 1967 begann er sich als „Arafats Mann in New York“ zu engagieren. Von 1977 bis zum Osloer Friedensvertrag 1991 war Said Mitglied des Palästinensischen Nationalrates.

Imperialismuskritik
In seiner Theorie geht er vom Foucaultschen diskurstheoretischen Ansatz aus: Diskurse schaffen „Wahrheit“. Es kann aber nicht jeder subjektiv eine eigene Erzählung entwickeln und damit einen Diskurs prägen, sondern alleine die Herrschenden sind in der Position, dass ihre Erzählungen als hegemonial von der Gesellschaft akzeptiert werden. „Wahrheit“ ist also durch Macht erzeugt. So bestimmen die westlichen Imperialisten auch das Bild über den Orient sowohl im Westen als auch im Orient selbst, denn in beiden Gesellschaften bestimmen sie den hegemonialen Diskurs. Saids Hauptwerke, die mit die Basis der kulturtheoretischen Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus legten, sind „Orientalism“ (erschienen 1979) und „Culture and Imperialism“ (1993). In diesen Werken beschreibt Said die Methode des Westens eine tiefsitzende Ideologie der Überlegenheit gegenüber dem Orient zu schaffen, um dessen Kolonialisierung, „Zivilisierung“ zu rechtfertigen. Mit der Herausbildung von Nationen im 19. Jahrhundert wird im Westen, ein essentialistischer Kulturbegriff entwickelt – das Konstrukt, dass eine Kultur nicht im Austausch mit anderen Kulturen entstehe, sondern eine abgeschlossene Einheit bilde. Es wird ein „wir“ konstruiert, dass sich von „den Anderen“ abgrenzt. Es werden Traditionen erfunden, die sich unbeeinflusst von anderen Kulturkreisen entwickelt haben sollen. Das „wir“ wird mit positiven, „reifen“ Attributen belegt, das „Andere“ mit ihrem Gegenteil, wie etwa Wildheit. Durch die Konstruktion des „wir“ und des „anderen“ werden unabhängige Einheiten suggeriert. Schon dadurch, dass das „wir“ aber das „Andere“ braucht um sich definieren zu können, wird die Paradoxie dieses Konstruktes sichtbar.
Die Schaffung einer unabhängigen westlichen Kultur ist notwendig, um eine Position der Überlegenheit gegenüber dem Nicht-Westen zu suggerieren, um die Kolonialisierung des Nicht-Westens rechtfertigen zu können. Dieses Bild der nicht-westlichen Kultur wird im Westen für die westliche Gesellschaft und die nicht-westlichen Gesellschaften geschaffen. Einerseits wird durch die Konstruktion der kulturellen Einheiten durch die Imperialisten die Position der Überlegenheit erzeugt, andererseits ist die Hegemonialisierung dieses Diskurses aber auch nur in der Position des Stärkeren möglich.
Demokratie, Aufklärung, Rationalität werden zu abstrakten und gleichzeitig westlichen Werten gemacht. Dies ist dadurch möglich, da der Westen sich als die Norm präsentieren kann und ihm die Definitionsmacht obliegt. Der Nicht-Westen muss, wie schon zuvor erwähnt, als die Verkörperung des Gegenteils dieser Werte dargestellt werden, damit die Imperialisten den Westen als überlegen definieren und den eigenen Machtanspruch legitimieren können. Der „Zivilisationsauftrag“ der Vereinigten Staaten oder früher der Kolonialmächte liegt nun darin, westliche – aber als allgemein definierte – Prinzipien den Kolonien aufzudrücken. Durch die Kolonialisierung wird die westliche Wissenschaft und Ideologie in ihre Kolonien und Neokolonien transportiert und von den jeweiligen Eliten übernommen.
Mittlerweile ist diese Theorie nicht mehr neu, sondern im Großen und Ganzen common sense. Jede/r weiß, dass das von den Medien konstruierte Bild der „Terroristen“ zu hinterfragen ist. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Feindbild des „Terroristen“ im Westen, ohne einer weiteren Information zu bedürfen, Kriegsgrund alleine ist, wird die Vergegenwärtigung der Entstehung und Bedingungen dieses Konstrukts aber immer wesentlicher. Was interessant bleibt, ist, dass es sich hier nicht nur um einzelne Konstruktionen eines Feindbildes handelt, sondern die Konstruktion eines „Anderen“ erstens viel allgemeiner und zweitens essentielle Notwendigkeit für die Konstruktion der eigenen Kultur ist.

Saids politischer Kampf
Von 1977 bis 1991 war Said Mitglied des Palästinensischen Nationalrates. Aufgrund seiner scharfen Gegnerschaft zum Osloer Friedensabkommen und Arafats Rolle in den Friedensverhandlungen trat er aus diesem 1991 aus. Kritiker meinen allerdings, dass der eigentliche Grund für Saids Zerwürfnis mit Arafat in der jeweiligen Haltung zum Golfkrieg von 1991 zu sehen sei: Said habe Arafat seine kategorische Ablehnung des US-Angriffs nicht verziehen.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Palästinensischen Nationalrat publizierte er zahlreiche Artikel sowohl gegen Oslo als auch gegen Arafat. (1) Dies brachte ihm zeitweise nicht nur das Verbot seiner Bücher in Israel, sondern auch in Palästina ein.
Mit dem Abkommen von Oslo wurde Arafat zum Lakaien Israels. Der größte Teil des Landes sowie Sicherheitsbelange, Grenzkontrollen und die Wasserversorgung wurde Israel überlassen. Die Autonomiebehörde sorgte dafür, dass in Palästina niemand gegen das Abkommen und Arafats Ausverkauf Widerstand leisten würde, in dem er das Land autoritär regiert. Said vergleicht das israelische Verhältnis zur PLO mit dem der französischen und britischen Kolonialherren des 19. Jahrhundert gegenüber den afrikanischen Stammesführern, die für ihre Unterschrift gewisse Privilegien und eine Polizeistreitmacht aus Einheimischen bekamen.
In der Einleitung zu „Das Ende des Friedensprozesses“ schreibt Said, dass es bei den Friedensverhandlungen in Oslo im Grunde darum ging, „die palästinensische Gesellschaft zu entpolitisieren und sie fest im Hauptstrom der Globalisierung im amerikanischen Stil zu verankern“.
Saids Angriffe beschränken sich aber nicht alleine auf Arafat. Auch die Hamas wir von ihm scharf verurteilt. Er spricht ihr die Legitimität ab, sich als palästinensische Widerstandskraft zu bezeichnen und beschreibt die Selbstmordattenate als „barbarische Gewaltexzesse“. Interessant ist, dass er der Hamas im Vorwort zur deutschen Ausgabe, verfasst im Februar 2002, jegliches Recht abspricht sich als Widerstand zu bezeichnen, während er in einem Artikel in der Al-Hayat vom ersten Oktober 1995, publiziert in „Das Ende des Friedensprozesse“, schreibt, dass seiner Meinung nach die Hamas und der islamische Dschihad zwar keine Alternative zur Autonomiebehörde darstellen, aber dennoch den Widerstand gegen die israelische Besatzung zum Ausdruck bringen.
Die einzig mögliche Kraft zur fortschrittlichen Veränderung sieht Said aber in einer langsam entstehenden säkularen und pazifistischen palästinensischen Zivilgesellschaft. Einen zentralen Stellenwert nehmen für ihn auch die in den Westen geflohenen Intellektuellen ein, die die Möglichkeit haben, den westlichen und den östlichen Kanon miteinander zu verbinden und aus diesem Dialog heraus neue Perspektiven zu entwickeln.

Widersprüche

Interessant ist, dass Said einerseits feststellt, dass der westliche Diskurs ein Mittel der Unterdrückung der Peripherie ist, andererseits aber in seinen Schriften zur praktischen Politik westlich links-liberale bis sogar imperialistische Pazifisierungen antiimperialistischer Kämpfe vorschlägt. Deutlich schlägt sich das in seiner Haltung zum Golfkrieg von 1991 nieder, aber auch darin, dass er nach der Niederlage der PLO 1982 im Libanon Arafat geraten haben soll, dem Beispiel Ägyptens zu folgen und Israel anzuerkennen. Das würde ihm den Weg in die offizielle Diplomatie und nach Washington ebnen. Auch in seiner Beschreibung der Hamas folgt Said dieser westlichen Logik, ja sogar den Attributen, mit denen der Westen die Hamas beschreibt, beispielsweise, wenn er sie als wörtlich „barbarisch“ bezeichnet – ein Bild, dass vom Westen geprägt wurde um die „Unzivilisierten“ zu beschreiben. Auch seine prinzipielle Kritik am Islamismus als Moment der politischen Bewegung hat für ihn keinen weiteren Erklärungsbedarf, da eine fortschrittliche Bewegung per definitionem säkular sein müsse. Dass die Forderung nach einer säkularen Bewegung aber im westlichen Kontext entstanden ist und nicht ohne weitere Reflektion für den nahen Osten zu übernehmen ist, darauf wird, anders als in seinen theoretischen Schriften, in den Artikeln zur praktischen Politik nicht weiter eingegangen.
Seine Perspektiven laufen auf eine Reformierung des westlichen Diskurses hinaus. Dies schlägt er in zwei Versionen vor, die sich eigentlich widersprechen. Erstens sollen Nicht-Westliche Intellektuelle in einen Dialog mit dem Westen eintreten. Die konkreten Formen, wie sich die Zivilgesellschaft organisieren soll, sind aber säkulare Gewerkschaften und NGOs nach westlichem Vorbild. Um in diesem als verändernde Kraft wirken zu können, dürften diese aber, der diskurstheoretischen Logik Saids folgend nicht mit westlich definierten Kategorien arbeiten, da sie sonst nur eine „multikulturelle“ oder „orientalische“ Schattierung des westlichen Diskurses darstellen würden. Dies lässt der westliche Diskurs ohnehin zu, da Schattierung nichts Wesentliches verändert, sondern in erster Linie dahinter steckende Interessen verschleiert. Der Hauptwiderspruch in Saids Lösungsansätzen scheint aber darin zu liegen, dass der westliche Diskurs per Definitionem nicht soweit reformierbar sein kann, dass sein imperialistisches Streben aufgegeben wird, da der Grund seines Bestehens auch, wie Said selbst schreibt, die Legitimierung der Herrschaft über den Nicht-Westen ist, er dieses Andere sowohl wirtschaftlich als auch kulturell zum Überleben benötigt.

Sonja Tschurlovits

(1) „Eine Auswahl publizierter Artikel ist in „Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach“ gesammelt

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