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Unter Beschuss

11. Dezember 2003

von Willi Langthaler

Der militärische Widerstand gegen die US-Besatzung im Irak ist erfolgreicher als prognostiziert. Am 2. November wurden bei einem Hubschrauberabschuss durch die Guerilla 16 US-Soldaten getötet und weitere 20 verletzt. Erst eine Woche zuvor, am 26. Oktober hatte ein hochprofessionell organisierter Angriff auf das Rashid-Hotel stattgefunden, der dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz gegolten hatte.

Doch entgegen so mancher Annahme sind die Vereinigten Staaten weit davon entfernt ihre Truppen abzuziehen, im Gegenteil. Sie wissen nur zu genau, dass im Irak über ihre globale Vorherrschaft entschieden wird. Gelingt es ihnen die Situation zu stabilisieren und ein höriges Marionettenregime zu installieren, dann ist die weltweite US-Vorherrschaft vorläufig einmal gesichert und ein weiterer Schritt in der Errichtung des amerikanischen Imperiums gemacht. Konsolidiert sich hingegen der irakische Widerstand und verstricken sich die USA in einen lang anhaltenden Kolonialkrieg, so würde das die amerikanische Weltmacht in ernsthafte Schwierigkeiten bringen und der Aufbau des amerikanischen Weltreichs ins Stocken geraten. Daher wurden trotz politischer Geplänkel angesichts der herannahenden US-Präsidentenwahlen zusätzliche 87 Milliarden US-Dollar für die Besatzung des Iraks vom Parlament genehmigt. Allen Popularitätstiefs des Präsidenten und an die Öffentlichkeit dringenden Berichten von Spannungen innerhalb des amerikanischen Regime zum Trotz, werden die USA alles unternehmen den Widerstand niederzuwerfen und den Irak schließlich zu befrieden, auch um den Preis einer nicht abzusehenden Spirale der Eskalation.

Gruppen in der Widerstandsfront

Dass der Widerstand über solide Wurzeln in der Bevölkerung verfügt, zeigen nicht nur die spontanen Freudenkundgebungen nach erfolgreichen Aktionen der Guerilla. Immer wieder wird auch von Demonstrationen berichtet. An kleinen Reibereien mit der Besatzungsmacht, die mit aller Härte und Brutalität vorgeht, entzünden sich Straßenschlachten, bei denen Jugendliche mit Steinen gegen Panzer vorgehen und frappant an die Situation in Palästina erinnern. Oft begegnet die einfache Bevölkerung dem Einsatz von Schusswaffen seitens der US-Armee ebenfalls mit Schüssen oder Handgranaten. Alle diese Zeichen deuten auf die Verteidigungs- und Kampfbereitschaft der breiten Bevölkerungsmasse hin. Die Guerilla ist also keineswegs isoliert, sondern nur die Spitze eines Eisberges, eines weite Kreise der Bevölkerung umfassenden politisch-sozialen Netzes, das sich gegen die Besatzung richtet.

Indes wird die fehlende politische Führung des Widerstands immer offensichtlicher. Der von den US-Besatzern eingerichtete „Regierungsrat“ ist zwar völlig isoliert. Letztlich kann er aber weiter existieren, weil der Widerstand noch keine anerkannte vereinigte politische Front hervorgebracht hat.

Trotz der zahllosen Beteuerungen der festen nationalen Einheit scheint dahinter das Problem der Spaltung zwischen dem sunnitischen und dem schiitischen Milieu zu stehen. Militärisch sind eindeutig die sich aus der baathistischen Armee rekrutierenden Widerstandsgruppen aus dem sunnitischen Milieu – ungeachtet der Detailfrage, ob sie nun Saddam Hussein loyal oder ablehnend gegenüberstehen, ob sie islamisch oder säkular sind – die stärkste Kraft. Politisch hingegen repräsentiert die schiitische Führung um Muqtada al Sadr die bedeutendste Kraft. Dieser rief erst kürzlich eine Gegenregierung aus – allerdings allein, was vermutlich seinen exklusiven Führungsanspruch unterstreichen soll. Auf der anderen Seite bezeichnete der junge Geistliche aus einer historischen Klerikerfamilie Anfang November Saddam und seine Anhänger als die eigentlichen Feinde des irakischen Volkes, was klar gegen den Widerstand aus dem sunnitischen Milieu gerichtet ist.

Auch die Besatzer dürften schon erkannt haben, dass ihr Regierungsrat kaum seinen Zweck zu erfüllen in der Lage ist und sie einer breiteren Abstützung des Embryos eines Quisling-Regimes bedürfen. Da liegt der in verschiedene Fraktionen und Strömungen gespaltene Klerus als Ansprechpartner nahe. Bisher hatte man auf den im August bei einem Anschlag ums Leben gekommenen Bashir al Hakim gesetzt, der jedoch durch seine historische Kooperation mit dem Iran und seine offene Kollaboration mit dem Regierungsrat wenig beliebt war. Prinzipiell kann man beim Klerus davon ausgehen, dass es ihm in erster Linie darum geht, seine eigene Rolle zu stärken und in einem neuen Staatswesen eine einflussreichen Rolle zu spielen. Das macht einen Ausgleich mit den USA zwar schwierig aber in Ermangelung von proimperialistischen Alternativen nicht gänzlich unmöglich. Die zuletzt berichteten Schwankungen von Muqtada al Sadr zwischen Widerstand und Kollaboration könnten so gelesen werden. Doch al Sadr ist neben dem Druck von Seiten der USA auch jenem der schiitischen Volksmassen ausgesetzt, deren Unterstützung er nicht verlieren darf und die gegen die Besatzung kämpfen wollen. Hinzu kommt, dass sich die Kräfteverhältnisse innerhalb des Klerus schnell ändern und neue, antiamerikanische Führer aufsteigen können.

Berichten aus dem Irak zu Folge gibt es unter den Widerstandsgruppen des sunnitischen Milieus die prinzipielle Bereitschaft am Aufbau einer nationalen Front teilzunehmen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Saddam-Loyalisten, die militärisch durchaus Bedeutung haben, keine führende Rolle spielen können, zumal sie den Brückenschlag zu der schiitischen Führung stark belasteten. Diese Brückenfunktion kommt Kräften wie der Patriotischen Allianz von Jabbar al Kubaysi zu, die gegenüber dem Saddam-Regime die nötige Distanz hatten aber dennoch dem säkular-nationalistischen Milieu entstammen. In gewisser Hinsicht repräsentieren sie den kleinsten möglichen gemeinsamen Nenner aller Strömungen.

Die Reaktion der „Internationalen Gemeinschaft“

Entscheidend für die USA wird es sein zu versuchen die eigene De-facto-Isolierung zu überwinden und die Besatzung auf eine breitere internationale Basis zu stellen. Tatsächlich legitimierten verschiedene UN-Resolutionen die Besatzung, zuletzt die Entschließung 1511 vom Oktober, und die von ihr unternommenen Versuche ein abhängiges Regime zu installieren. Das beweist wie wenig grundsätzlich die Opposition der verschiedenen europäischen Mächte gegen die amerikanische Politik ist. Wenn es gegen den antiimperialistischen Widerstand geht, handeln sie vereint. Allerdings versuchen sie dabei ihre eigene gefährdete Rolle innerhalb des globalen imperialistischen Systems zu erhalten und den monopolaren Anspruch der USA zu dämpfen.

Damit kann auch erklärt werden, wieso nach wie vor kaum Entsatztruppen aus anderen Ländern in den Irak gebracht werden konnten. Selbst stark proamerikanischen Staaten wie Pakistan, Indien oder Südkorea erscheint die Aufgabe zu gefährlich, zumal sie mit starker Opposition im Inneren zu rechnen haben. Die meisten europäischen Länder beschränken sich darauf begrenzte Geldmittel zur Verfügung zu stellen, versuchen diese aber der direkten Kontrolle der USA zu entziehen. Zumal deuten die im Verhältnis zum Krieg von 1991 bescheidenen Summen darauf hin, dass es eher darum geht gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Dennoch darf die amerikanische Macht, andere Staaten zur Entsendung von Truppen zu nötigen, nicht unterschätzt werden. Washington schwebt offensichtlich ein Konzept vor, nach dem die US-Truppen nur das technisch-logistische Rückgrad der Besatzung stellen sollen, während anderen Ländern zugedacht wird, das Kanonenfutter zu liefern. So soll die politisch-militärische Kontrolle in US-amerikanischer Hand bleiben, während die Verluste reduziert werden könnten.

Willi Langthaler
November 2003

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