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Wider den antinationalen Wahn

10. Januar 2004

aus nVs, Dezember 2003, von W.Pirker

Die Zersetzung linken, das heißt am sozialen Antagonismus orientierten Denkens, hat in der Strömung der „Antinationalen“ ihren aggressivsten Ausdruck gefunden. Diese Strömung entstand mit dem Fall der Berliner Mauer und steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Untergang der nichtkapitalistischen Gesellschaften in der Sowjetunion und in Osteuropa. Sie ist die „linksradikale“ Entsprechung der kapitalistschen Restauration, die rabiate Form zivil gesellschaftlicher Traumtänzereien, die in ihrem Wesen auf die Eliminierung des Antikapitalismus aus dem linken Diskurs hinauslaufen.
Die Neudefinition einer vorgeblich radikalen Linken als „antinational“, statt bisher antikapitalistisch, bildete den „linksradikalen“ Beitrag zur Abwicklung historisch-materialistischen Denkens in der Zeit der großen Privatisierungswelle, das linksradikale Echo auf das „Ende der Geschichte“ als Geschichte von Klassenkämpfen. Begeistert wedelt der Schwanz mit dem Hund. Der „linke“ Antinationismus (nicht zu verwechseln mit dem Antinationalismus) konnte nirgendwo anders entstehen als in Deutschland, wo linkes Bedürfnis nach Abgrenzung von der eigenen Nation am größten ist. Er steht in der Tradition eines klassenneutralen Antiautoritarismus und war Gleichzeit eine Reaktion auf die deutsche Vereinigung, die um ihrer selbst willen und nicht als Ergebnis einer historischen Niederlage der internationalen und deutschen Arbeiterbewegung beklagt wurde. Kennzeichnend für das „Antinationale“ war stets das Denken in nationalen Kategorien. Die Position der deutschen „Antideutschen“ reflektierte zu keinem Zeitpunkt antiimperialistische Bestrebungen, sondern die Interessen der zum deutschen Imperialismus in Konkurrenz stehenden imperialistischen Mächte.
Die Verwendung von „antinational“ und „antideutsch“ als Synonyme macht den unproduktiven Widerspruch in diesem ekklektischen Ideengebäude deutlich. Denn das „Antideutsche“ findet seinen positiven Bezugspunkt in anderen Nationen und ist so gesehen nicht antinational. Es sind in der Regel nicht die sympathischen unter den Nationalstaaten, die die Antideutschen als Verbündete für ihre „Nie wieder Deutschland“-Kampagnen reklamieren.
Das antinationale Gewürge ist negativer Nationalismus. Ohne Nation keine Anti-Nation. Antinationismus ist eine Negation des Internationalismus. Der Internationalismus ist auf die Solidarität der Völker und Nationen bezogen, auf deren Anstrengungen zur Überwindung des imperialistischen Gewaltverhältnisses. In der Dialektik von Bewahrung und Aufhebung signalisiert er die Endlichkeit der Nationen, während der Antinationismus über die bloße Antithese nicht hinauskommt und im Bannkreis der Nation verharrt.
Die antideutschen Amokläufe sind negativer Deutschnationalismus. Am antideutschen Wesen soll die Welt genesen. Wie nahe sich „Deutsche“ und „Antideutsche“ sind, beweist das deutsche und/oder antideutsche Sonderverhältnis zum jüdischen Nahost-Staat. Deutsche Israelfreunde erachten die Parteinahme für den zionistischen Staat als Auftrag aus der deutschen Geschichte zur Wiedergutmachung für das den Juden zugefügte Leid. Den Preis zur Beruhigung deutschen Gewissens haben die Palästinenser zu bezahlen. Antideutsche Israelfreunde machen aus der Not ihres objektiv deutschen Wesens eine Tugend und laden ihre deutschen Komplexe schamlos auf die Palästinenser ab.
Die antideutschen Deutschen bringen das elitäre Kunststück zuwege, die Deutschen als Täterkollektiv zu denunzieren, sich selbst aber davon auszunehmen. Werden sie aber auf die schuldhafte Verstrickung ihrer eigenen Familien in den faschistischen Massenmord hingewiesen, wie Wehrmachtsaussteller Reemtsma in einem „FAZ“-Interview, dann verteidigen sie auf Teufel komm raus ihr elitäres Zuhause. Die Antinationalen sind die kläffenden Stichwortgeber eines neuen Elitarismus in antifaschistischer Kostümierung. Ihr Festhalten an der Kollektivschuldthese, ihre Einschätzung des deutschen Faschismus, den sie nicht von ungefähr lieber „Nationalsozialismus“ nennen, als völkisches Projekt, stellt in der Konsequenz eine Entlastung der Eliten dar.
Das Wesen des Faschismus sei der Holocaust, lautet die antinationale Faschismusdefinition. Damit wird das wirkliche Wesen des Faschismus, eine extreme Gegenreaktion auf den gesellschaftlichen Fortschritt zu sein, verschleiert, die Irrationalität des Faschismus als Negation einer gesellschaftlichen Rationalität, die auf Aufklärung und menschliche Emanzipation zielt, auf psychoanalytische Erklärungsmuster des Unbewussten reduziert und so jegliche historische Analyse der Nazi-Barbarei blockiert. Wer den Faschismus aus dem Holocaust als das rational nicht fassbare Böse erklärt und nicht den Holocaust aus dem Faschismus, erklärt weder den Faschismus noch den Holocaust. Der verbleibt im Bannkreis der faschistischen Anti-Aufklärung.
Unschwer zu erraten, welche Interessen ein solcher aus den historischen Zusammenhängen der großen Klassenkämpfe des 20. Jahrhunderts gerissener „Antifaschismus“ bedient. Wir haben es hier auch nicht mehr mit dem „hilflosen Antifaschismus“ eines zur Kapitalismuskritik nicht befähigten liberalen Bürgertums zu tun, sondern mit einem bösartigen „Antifaschismus“. Mit einem „Antifaschismus“, der sich in einer direkten Frontstellung zu antiimperialistischen Befreiungsbewegungen befindet. Mit der Attitüde von „vaterlandslosen Gesellen“ verdingen sich die „Antinationalen“ als schamlose Claqueure der aggressivsten unter den „Vaterländern“ – der USA und Israels.
Bliebe noch zu erwähnen, dass der antinationale Wahn um Österreich keinen Bogen gemacht hat. Es existiert in Österreich wohl kaum eine Szene, die deutscher wäre als die heimischen Antinationalen. Entsprechend ausgeprägt ist unter ihnen das antiösterreichische Ressentiment. Mit den deutschen Antideutschen streiten sie um den Ruf, die noch schlechteren Deutschen zu sein. Während die traditionellen österreichischen Deutschnationalen – durchaus nicht frei von Anti-Piefke-Reflexen – das Gegenteil zu beweisen suchen.

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