Einen Tag nach der Eröffung des Weltsozialforums öffnete Mumbai Resistance seine Pforten. Hinsichtlich der Teilnehmerzahl stellt es wohl kaum eine enstzunehmende Konkurrenz dar. Rund 1.000 nehmen sich gegenüber der Jahrmarktstimmung auf der anderen Seite des Western Express Highway mit unüberschaubaren 100.000 Besuchern mehr als bescheiden aus.
Vielfach werden die Organisatoren, hinter denen im wesentlichen die naxalitischen Agrarevolutionäre aus jenen Teilstaaten stehen, in denen seit vielen Jahren ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Grossgrundbesitzern und Landlosen tobt, des Sektierertums geziehen. Allerdings zielt MR2004 explizit nicht nur auf den Dialog mit dem WSF ab, sondern hat sich auch vorgenommen, gemeinsame Aktionen vorzuschlagen. So wurde die entscheidende Plenarsitzung zum Irak angesetzt, die Arundhati Roy einleiten wird. Im Vorfeld wurde zwischen den Delegierten von einem weltweiten Aktionstag in Unterstützung des irakischen Widerstands gesprochen. Auch eine Solidaritätsdelegation wird ins Auge gefasst.
Die Irak-Frage trifft in Indien und am ganzen indischen Subkontinent den politischen Nerv. Es ist kein Zufall, dass insbesondere die mehr als eine halbe Milliarde Muslime der Region sich gegen die Besatzung erhitzen und fast durchgängig den Widerstand unterstützen. In Indien selbst transportieren sie damit auch ihre Kritik an der Hindu-chauvinistischen Regierung, die sich im Gefolge des 11. September zu einer richtiggehenden Islamophobie verstiegen hat und ein provokantes Naheverhältnis zu Israel eingegangen ist.
So nimmt es nicht wunder, dass am Eingang des MR2004 gleich ein grosses Transparent der „Muslimischen Jugend Indiens“ ins Auge sticht, die sich als eine der Massenorganisationen hinter dem antiimperialistischen Treffen herausstellt. Feroze Mithiborwala, Vertreter seiner Bewegung im Organisationskomitee, kommentiert: „Anfangs beteiligten wir uns and den Vorbereitungen des WSF. Doch nach und nach stiessen wir uns immer mehr an der Kultur der Zivilgesellschaft und der NGO, denen es letztlich nur um Deeskalation geht. Wir hingegen wollen Aktionen setzen.“ Feroze gilt als das Bindeglied zwischen der revolutionären Linken und den islamischen Bewegungen. Unter den Delegierten befinden sich indes auch solche der „Jamaat-e-Islami Hind“, der mit Abstand mitgliederstärksten Moslem-Bewegung Indiens. Auf die Frage ob er sich auch als Linker versteht, antwortet Mohd Anees ausweichend: „Die Zusammenarbeit der Muslime mit der Linken ist in Indien sehr jung. Sie entstand erst nach dem 11. September und besonders dem Massaker von Gujarat. Aber ein Bündnis drängt sich auf, denn wir verfolgen beide die gleichen unmittelbaren Ziele, den Weltkrieg der USA zu stoppen.“ Seine Organisation unterstützt offiziell beide Veranstaltungen, das WSF und MR2004. Doch Aness führt das auf Fehlinformation der nationalen Führung in Dehli zurück. Auf die offizielle Linke, die das WSF stützt, ist der nicht gut zu sprechen. „Ihre Führer verfolgen brahmanische Politik, oft sind sie auch solche.“ Der zirkulierenden Idee ein allindisches Komitee „Freier Irak“ zu gründen, sieht er mit Enthusiasmus entgegen. Die vorsichtige Frage, wie er sich angesicht der Hindu-Mehrheit in Indien einen demokratischen Staat vorstellen könnte, beantwortet Anees ohne zögern. „Nur als säkularen Staat – und das ist die Meinung des weitaus grössten Teils der Muslime.“ Und er setzt hinzu, dass die Gründung Pakistans als islamischer Staat ein bedauerlicher Fehler gewesen sei, der nur im Interesse der britischen Kolonialisten gelegen war.
Am Nachmittag beschäftigten sich die Foren unter anderem mit der ungelösten Agarfrage in Indien, den Auswirkungen der Globalisierung auf die Situation der Frauen und der Nationalitätenfrage. Besonderes viele Interessenten zieht das Forum zum „Krieg gegen den Terrorismus“ an, die von der bekannten Anwaeltin Nandita Haksar geleitet wird. Sie hat ihren prominenten Klienten S. H. Geelani, Sohn eines Führers der kaschmirischern Unabhängigkeitsbewegung, mitgebracht. Für ihn handelt es sich um den ersten öffentlichen Auftritt nach einem zweijährigen Gefängnisaufenthalt. Er war im Rahmen der drakonischen Antiterrorgesetzgebung ohne stichhaltige Beweise verurteilt wurden. Erst vor dem obersten Gericht bekam er Recht. Im Detail erzählt er von den erlebten Ungerechtigkeiten, bestärkt den politischen Kampf für demokratische Rechte fortzusetzen. Zwar sprach Geelani heute auch in einem Forum am WSF, aber seine Orientierung ist eindeutig: „Es muss eine politische Bewegung aufgebaut werden, die POTA [das Antiterrorgesetz] zu Fall bringt. Das ist hier eher möglich.“
Auch Walter Wendelin von der baskischen Askapena wechselt mehrmals täglich die Strassenseite. Der Fall der Basken ist hier reichlich unbekannt, auf beiden Seiten. „Darum lassen uns die Franzosen, die am WSF alles kontrollieren, gewähren. Insgesamt ist das WSF weiter links als in Porto Alegre. Doch die Idee des Tribunals gegen die Schwarze Liste, die von MR2004 heute beschlossen wurde, ist auf der anderen Seite noch immer undenkbar.“ Beeindruckend, dass nach viereinhalbstüdniger Diskussion in Englisch, Hindu und zahlreichen anderen indischen Sprachen noch immer mehrere Hundert Zuhörer anwesen sind.
Franz Dinhobel, Mumbai