Site-Logo
Site Navigation

Fausto Bertinotti in der Sackgasse

8. Februar 2004

von Leonardo Mazzei

Der Sekretär der Partei der Kommunistischen Neugründung (Partito della Rifondazione Comunista -PRC), Fausto Bertinotti, genießt nach wie vor hohes Ansehen innerhalb der europäischen Linken. Seine Glaubwürdigkeit in Italien, wo sein Ringen um Prestige niemanden mehr verzaubern kann, befindet sich allerdings im Sturzflug. Sehen wir uns an, warum.

In den ersten Jahren seiner Amtsperiode als Sekretär, die vor genau zehn Jahren im Januar 2004 mit dem II. Kongress der PRC in Rom begann, erschien Bertinotti als der „neue Mann“ der italienischen Politik. Er war brillant und telegen und daher häufig gesehener Gast im Fernsehen, aber er war auch hinreichend radikal um bei den kämpferischsten Schichten der Arbeitswelt Gehör zu finden.

1995, als sich die PRC auf offenem Oppositionskurs gegen die Pensions-Gegenreform der Regierung Dini befand, erreichte seine Popularität den Zenith. Doch während der Jahre 1996-1998 wurde aus dem „antagonistischen“ Bertinotti der vorangegangenen Periode ein Unterstützer der Regierung Prodi, einer Regierung, die unter dem Zeichen von Maastricht geboren war um – wie man damals zu sagen pflegte – Italien nach Europa zu führen. In jenen Jahren stimmte die PRC der Legalisierung prekärer Arbeitsverhältnisse, den wichtigsten Privatisierungen sowie den Gesetzen zur Einführung von Auffanglagern für Immigranten zu.

Im Herbst 1998 kündigte die PRC ihren Pakt mit dem Mitte-Links-Bündnis und verursachte damit den Sturz der Regierung Prodi. Von diesem Augenblick an bestimmte ein auf die Bewegungen ausgerichteter Bertinotti das Bild, eine Mischung aus sozialistischem Maximalismus (Bertinotti stammt aus der linken Strömung der alten Sozialistischen Partei Italiens), Begeisterung für die Antigloblisierungsbewegung und wachsendem Opportunismus in den politischen Entscheidungen.

Und hier kommen wir zum Kern der Angelegenheit. Wenn die PRC bei den Parlamentswahlen 1996 noch mit dem „Neutralitätspakt“ gegenüber dem Mitte-Links-Bündnis Ulivo, bei jenen im Jahr 2001 mit dem sogenannten „Nicht-Angriffspakt“ (in beiden Fällen handelte es sich um Übereinkünfte um das Mitte-Links-Bündnis in den einzelnen Wahlkreisen zu begünstigen) davongekommen war, so steht für die kommenden Wahlen ein politisch-programmatisches Abkommen im eigentlichen Sinne mit der Regierung auf dem Programm. Nicht zufällig wird für den Fall eines Wahlsieges bereits offen über kommunistische Minister in der zukünftigen Regierungszusammensetzung diskutiert.

Und das ist er also, unser Bertinotti von heute. Die Tageszeitung La Repubblica veröffentlichte am 27. Dezember 2003 einen langen und zitatgespickten Artikel über den Sekretär der PRC mit dem Titel „Vom Proletariat zu den Globalisierungsgegnern – Bertinottis Bad Godesberg“. Der Verfasser spricht von einem „verlängerten Bad Godesberg“, das nicht aus einem einzigen Akt, sondern aus einer Reihe aufeinanderfolgender Akte bestehen würde. Unter den Zitaten findet sich die Einschätzung des 20. Jahrhunderts, die Streichung des Bezugs auf Lenin und Gramsci aus den Statuten sowie die Definition des Kommunismus als ein „offener und undefinierter Prozess“.

Doch der tatsächlich entscheidende Punkt scheint ein anderer zu sein: die „Gewaltlosigkeit“ als absolutes Prinzip. Ein Prinzip, das sich selbstverständlich nicht auf Italien oder Europa im heuten Kontext bezieht, sondern vielmehr eine „politisch korrekte“ Positionsbestimmung im Hinblick auf den von Bush proklamierten „endlosen Krieg“ darstellt. Zwischen Gandhi-Zitaten und Huldigungen des Dalai Lama (der kürzlich bei einem Rom-Besuch von Führern des Ulivo, jeder einzelne mit einer buddhistischen Stola behängt, umringt war), stellte Bertinotti fest: „Ich fühle mich nicht mehr eins mit einem Brecht, der sagte, dass wir eine nette Welt wollen, aber um sie zu bekommen, können wir nicht nett sein.“

Auch wenn diese Aussage zweifellos nicht von akademischem Wert ist, so sie zeigt sie doch, dass Bertinotti innerhalb des Rahmens der „Gewaltlosigkeit“ die Bezeichnung „Terrorismus“ für den irakischen Widerstand akzeptiert hat. Den Angriff auf das italienische Kontingent in Nasiriya etikettierte er als „terroristisch“ und gab dabei vor, nicht um die Rolle Italiens als Besatzungsmacht, und sei es eine untergeordnete, zu wissen. Er spricht ständig von einer Krieg-Terrorismus-Spirale (die Tageszeitung der Partei Liberazione brachte über Wochen hinweg das Bild einer aus den einander abwechselnden Wörtern „Krieg“ und „Terrorismus“ gebildeten Spirale), er erklärte seinem libertären Image zum Trotz die Mitgliedschaft in seiner Partei unvereinbar mit der Teilnahme an der Demonstration zur Unterstützung des irakischen Widerstandes, die am 13. Dezember vergangenen Jahres in Rom stattfand. Im Übrigen haben trotz dieses Vetos zahlreiche Mitglieder der PRC an der Demonstration teilgenommen.

Auch zur Palästina-Frage nimmt Bertinotti eine ähnliche Haltung ein. Am 21. Dezember demonstrierte Bertinotti gemeinsam mit allen anderen Parteiführen des Mitte-Links-Spektrums – insgesamt wurden neun Parteisymbole gezählt – auf der Grundlage eines Aufrufs, der klar eine äquidistane Haltung zwischen der rassistischen und kolonialistischen Politik Israels und den Aktionen des palästinensischen Widerstandes zum Ausdruck bringt.

Zweifellos ist die „Gewaltlosigkeit“ hier keine Frage der Ethik, sondern vielmehr der Schlüssel nicht nur, um sich aus dem Schlamassel zu ziehen, sich aus dem aktuellen Konflikt heraus zu halten, sondern auch um sich als Regierungskraft innerhalb eines Systems bipolarer Alternanz zu legitimieren.

Früher begaben sich Ex-Kommunisten an die Wall Street oder in die Londoner City um einen Passierschein zu erhalten. In weiter zurückliegenden und weniger globalisierten Zeiten wurde der Durchlassschein direkt vom heimischen Unternehmerverband ausgestellt. Heute werden diese Gewissensprüfungen als überflüssig betrachtet. Denn die Herrschaft des Einheitsdenkens ist in jedem Fall durch den Bipolarismus und wenn auch gut artikulierte so dennoch totalitäre Kontrolle des Informationswesen und der Kultur garantiert. Doch es gilt eine andere Prüfung zu bestehen: die des „Verzichts auf Feindseligkeiten“ gegenüber dem amerikanischen Imperium. Wenn Bertinotti 1994 eine mögliche Regierungsbeteiligung der PRC vom Austritt Italiens aus der NATO abhängig machte, so wird diese Frage heute nicht einmal mehr angesprochen. Das ist die wirkliche Bedeutung seiner Erklärungen zur „Gewaltlosigkeit“, die, zumal gepaart mit der Gleichung Widerstand ist gleich Terrorismus, jedes potentielle Veto von Seiten der Vereinigten Staaten zu Fall bringen.

Zur Frage des sogenannten „Kampfes gegen den Terrorismus“ hat sich Bertinotti nicht von seiner sanften Seite gezeigt. Er ging gar am vergangenen 19. November gemeinsam mit den derzeitigen Regierungsparteien Forza Italia und Alleanza Nazionale in Florenz auf die Straße, was den marxistischen Philosophen Domenico Losurdo, selbst Mitglied der PRC, dazu veranlasste, von einer „rot-schwarz-blauen Allianz“ (blau ist die Farbe Forza Italias) zu sprechen.

Natürlich wird der Kurs der PRC in Richtung Regierungsabkommen mit dem Ulivo auf der linken Seite mit zahllosen Bezugnahmen auf die Antiglobalisierungsbewegung gedeckt, die in den Kongressthesen schwülstig als „Bewegung der Bewegungen“ definiert wurde. Das instrumentalisierende Herangehen der PRC an die Bewegung zeigt sich am totalen Desinteresse für die Krise, die diese derzeit durchlebt. Mehr noch, die Krise wird negiert und verdrängt um die Bewegung besser für die eigenen politischen Interessen verwenden zu können.

In der letzten Sitzung des Nationalen Politischen Komitees (CPN) der PRC Ende Oktober 2003, weigerte sich Bertinotti eine wie auch immer geartete programmatische Basis anzugeben, auf deren Grundlage die Verhandlungen mit den Mitte-Links-Parteien geführt werden sollten. Diese Haltung trägt die klassischen Züge einer Politik der „freien Hände“.
Opportunismus und Maximalismus bringen, sobald der Zeitpunkt der Wahrheit gekommen ist, nur inhaltsleere Phrasen des Typs: „Das (mit dem Mitte-Links-Bündnis zu verhandelnde – L.M.) Programm darf weder als …‚Einkaufsliste´ noch als vollkommen allgemeines und unbestimmtes Programm, sondern als eine allgemeine Idee der Gesellschaft, und sei sie auch nicht vollkommen ausgereift, verstanden werden.“ (CPN, Oktober 2003). Und weiter: „Die Entscheidung, sich in den Verhandlungen mit dem Mitte-Links-Bündnis nicht auf die einfache Einforderung von Zielen zu beschränken, bedeutet nicht, diese Ziele nicht zu haben.“

Der springende Punkt ist vielmehr, dass nach zehn Jahren, in denen in jeder nur erdenklichen Weise versucht wurde, eine Abrechnung mit der autoritären, auf den Bipolarismus ausgerichteten Struktur der zweiten Republik zu vermeiden, der Zeitpunkt gekommen ist, an dem kein Falschspiel mehr möglich ist.

Nachdem, dem Parteinamen zum Trotz, die Hypothese einer kommunistischen Neugründung aufgegeben; die „antagonistischen“ Absichten gestutzt; die Partei auf reine, letztlich im institutionalen Flussbett des Bipolarismus verbleibenden Wahlrepräsentanz der kämpferischsten sozialen Schichten reduziert und eine in den ersten Jahren der Parteiexistenz dank einer gewissen Andersartigkeit erkämpfte Glaubwürdigkeit verloren wurde, erspähte der Bertinotti´sche Kahn nun einen größere Sicherheit bietenden Hafen, in dem er anlegen kann.

Doch wenn diese Landung einer Schicht von Parteifunktionären auf regionaler und kommunaler Ebene zu Gesicht stehen wird, die heute schon gut mit den Mitte-Links-Parteien zusammenarbeitet, so bedeutet sie durchaus nicht, dass die PRC dadurch langfristig gestärkt wird. Ganz im Gegenteil, befindet sich die PRC heute in einer schweren Krise. Die Mitgliederzahlen schrumpfen, die Wahlerfolge gehen zurück (von 8,6% 1996 auf 5% 2001 – ein Rückgang, der nur teilweise der Abspaltung von Cossuttas PdCI angelastet werden kann), doch vor allem zeigt sich eine schwere Krise des Parteiaktivismus.

Die Landung Bertinottis ist nicht nur eine politische Entscheidung, sie ist auch das Resultat einer strategischen Leere eines Parteiführers, der sich, monarchisch im Stil wie wenige, dem bipolaren System nicht entgegenstellen wollte, heute von diesem unausweichlich absorbiert wird.

In diesem Sinne hat Bertinotti seine Partei in eine Sackgasse geführt, eine Sackgasse, deren der Sekretär der PRC selbst gewahr wird, wenn er folgendes düsteres Zukunftsszenario für die Partei an die Wand malt: „eingeklemmt zwischen der bedingungslosen Unterstützung (für die Mitte-Links-Regierung – L.M.) oder der destruktiven Opposition, mit der Konsequenz ein Massaker durch die öffentliche Meinung erleiden zu müssen“ (Schlussfolgerungen des CPN, Oktober 2003)

Das ist das Resultat von zehn Jahren Bertinottismus. Der brillante „antagonistische“ Politiker, der noch heute auf europäischem Niveau den Aufbau „eines europäischen politischen Subjekts einer alternativen Linken“ vorschlägt (und, so weit bekannt, dieses anführen möchte), ist in seinem eigenen Land heute an der Endstation angelangt. Einer Endstation, an der er von den Führern des Mitte-Links-Bündnisses erwartet wird, allen voran von jenem, der die Bomben auf Jugoslawien zu verantworten hat und ein großer Verehrer Blairs ist, dem ehemaligen Premierminister Massimo D´Alema.

* Leonardo Mazzei, nachdem der von 1978 bis 1989 Mitglied von Democrazia Proletaria war, gründete er mit dieser die RPC. Von Anbeginn war er Mitglied des Nationalen Politischen Komitees and der Nationalen Leitung bis er 1997 in Folge des verlorenen Kampfes gegen die Unterstützung für die Prodi-Regierung die Partei verlies.

Thema
Archiv