Mumbai Resistance 2004
Vom 17. bis 20. Januar 2004 trafen sich tausende Menschen in den Foren von Mumbai Resistance 2004 (MR2004), einer Veranstaltung, die parallel zum Weltsozialforum (WSF) abgehalten wurde. Mit seinen dreißigtausend Teilnehmern war MR2004 nicht nur eine deutlich sichtbare Herausforderung der linksliberalen französisch-brasilianischen Führung des WSF durch die antiimperialistischen Kräfte, sondern auch dank der vorangegangenen Versuche in Porto Alegre, Genua, Thessaloniki und anderen Orten ein neuerliches Forum eine revolutionäre Stimme zu erheben. Auf vielen Mauern in Mumbai konnten die Leute lesen: „Der Imperialismus kann nicht humanisiert werden – er muss zerstört werden“, „Debatte ist nicht genug, wir müssen handeln“, „Unterstützt den irakischen Widerstand“. Der wirkliche Schritt vorwärts zeigte sich darin, dass zum ersten Mal seit dem Entstehen der Antiglobalisierungsbewegung die antiimperialistischen Kräfte bewiesen haben, dass sie nicht nur im Stande sind die notwendige Kritik auszusprechen, sondern auch dazu, sich tatsächlich unabhängig zu organisieren und nächste Aktionen zu planen.
In Indien fiel der Aufruf für MR2004, der ursprünglich vom All Indian Peoples´ Resistance Forum (AIPRF) lanciert wurde, auf fruchtbaren Boden.
Die unteren Klassen und Kasten hatten genug vom WSF und seinen indischen Verbündeten, die nur versuchen der brutalen kapitalistischen Globalisierung ein menschliches Gesicht zu geben – ein Versuch der Tag für Tag scheitert. Sowohl der sich beschleunigende US-Kriegszug gegen jede Opposition, welche die Rechte der Ausgebeuteten dieser Welt verteidigt, als auch die Unfähigkeit und der Unwillen der historischen Linken dem Diktat des Imperialismus etwas entgegenzusetzen sprechen für sich selbst.
In den Staaten Westbengalen und Kerala beispielsweise, die seit Jahrzehnten von der Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten) regiert werden – einer der Hauptorganisatoren des WSF – werden die neoliberalen Rezepte erbarmungslos implementiert. So nahmen hunderte von Organisationen der am meisten Unterdrückten und Ausgebeuteten an MR2004 teil, viele kamen vom WSF: Dalits (die Kaste der Unberührbaren), landlose Bauern, Adivasis (Indigene und Stämme) und die unterdrückten nationalen Minderheiten. Bemerkenswert war die zahlreiche Teilnahme von Muslimen, die sich gegen die chauvinistische Hindutva-Bewegung organisieren. Diese zeichnet für eine Serie von Massakern gegen Muslime verantwortlich, deren trauriger Höhepunkt das Massaker von Gujarat 2002 war.
Aber auch innerhalb des WSF spiegelte sich der Ruf, der von MR2004 ausging, durch ein wachsendes antiimperialistisches Gefühl wider. In vielen Foren zum US-amerikanischen Kriegszug sprachen sich Menschen für die Unterstützung des Widerstands jener, die angegriffen und besetzt werden, aus – zuallererst im Irak, aber auch in Palästina, Afghanistan und Kaschmir. Im Krieg zwischen dem Imperialismus und den unterdrückten Völkern nützt Neutralität und Pazifismus nur dem Aggressor. Die Legitimität aller Mittel des Widerstands – inklusive des bewaffneten Kampfs – findet mehr und mehr Anerkennung. Tatsächlich hatten es die moderaten WSF Führer aus Europa schwer die Interessen der imperialistischen Mittelschicht unter dem Slogan der „Zivilgesellschaft“ zu verteidigen. Als Arundhati Roy sagte, „dass wir zum irakischen Widerstand werden müssen“, drückte sie damit ein verbreitetes Gefühl aus. Es war kein Zufall, dass sie sich dazu entschloss nicht nur beim WSF zu sprechen, sondern auch bei MR2004. Es war eine freie politische Entscheidung, die bestätigt, dass die vereinigten antiimperialistischen Kräfte ein unbestreitbarer Faktor und ein Anziehungspunkt geworden sind.
Sowohl die indische als auch die globale kooperative Medienlandschaft musste MR2004 zu Kenntnis nehmen. Das indische Wochenmagazine Outlook vom 26. Januar schloss seinen Artikel über das WSF mit den folgenden Zeilen: „Nun, was wird dieses Forum erreichen? Bestimmt wird es lebhaften, zahlreichen Austausch geben. Aber wird die Welt sich ändern? Unterstützer des WSF sagen ja. Aber seine Kritiker sehen in ihm ein neues Woodstock, das das Ende aller Kriege in der Welt verspricht. Das war 1969.“ Und Darshan Pal, Organisator von MR2004, zitierend: „Die großen NGOs, die direkt das Geld von Kooperation und Regierungen annehmen, die den Kapitalismus fördern, sind Cheerleaders dieses großen Spiels. Wie können sie zur gleichen Zeit die Globalisierung bekämpfen und sie fördern?“
In den angeregten Diskussionen im Rahmen von MR2004 kamen die entscheidenden Fragen der indischen Volksmassen zur Sprache. Der Kampf gegen den Hindutva-Faschismus der oberen Kasten, der verantwortlich für einen beispiellosen Genozid gegen die Muslime ist, wurde verknüpft mit der Forderung nach einer radikalen Landreform, wodurch das Rückgrat des Kastensystems selbst gebrochen werden würde. Das Recht auf Selbstbestimmung für die Minderheiten wurde bestätigt. Zu diesem Thema erhielt insbesondere ein Aktivist aus Kaschmir und dem Nordosten das Wort. Gleichzeitig wurde der indische Expansionismus auf dem Subkontinent verurteilt. Der Kampf gegen den POTA, das indische Äquivalent zum amerikanischen Patriot Act, der die elementaren demokratischen Rechte verletzt, muss fortgesetzt werden, um die Achse, die von der indischen Elite mit den USA und Israel forciert wird, zu zerstören.
Irak wurde als der Hauptschauplatz des Kampfs gegen den US-Versuch ein globales Imperium zu errichten anerkannt. Es herrschte breite Zustimmung darüber, dass die antiimperialistischen Kräfte den irakischen Widerstand bedingungslos unterstützen und sich bis zum Sieg um ihn scharen müssen. Die Invasoren zu vertreiben bedeutet dem imperialistischen und kapitalistischen System der Welt, dessen tragendes Element die USA sind, einen empfindlichen Schlag versetzen.
Auf dieser Basis werden die antiimperialistischen Kräfte, die sich in Mumbai versammelten, nicht nur am internationalen Aktionstag am 20. März gegen die Besatzung teilnehmen, sondern auch weitere Schritte setzen, über die eine internationale antiimperialistische Koordination befinden wird. Die Vorschläge, die eingebracht wurden, sind unter anderem ein internationaler Aktionstag zur Unterstützung des Widerstands am 25. September zum Jahrestag der Intifada, eine Solidaritätsdelegation zum irakischen Widerstand, sowie die Bildung von Komitees „Freier Irak in Unterstützung des Widerstands“. In Indien, Pakistan, Bangladesch, Italien, Deutschland, Dänemark und Österreich wurden solche Komitees bereits gebildet. Viele andere haben ähnliche Vorhaben signalisiert und die Idee einer internationalen Konferenz wurde besprochen.
Es scheint, als wolle das WSF 2005 wieder nach Porto Alegre unter die Fittiche von Lulas Arbeiterpartei (PT) zurückkehren – zu einer Regierung, welche die neoliberale Agenda umsetzt und damit mehr und mehr die Hoffnungen der verarmten Volksmassen enttäuscht. Ohne die imperialistischen Interessen anzugreifen, wurde weder eine Landreform noch irgendeine andere ernsthafte Verbesserung für die armen Klassen erreicht. Lula und die PT zeigen der Welt praktisch, dass eine andere Welt innerhalb des kapitalistischen Imperialismus unmöglich ist. Ein neues WSF in Porto Alegre kann sich daher als Eigentor für seine linksliberale Führerschaft entpuppen. Es sind nun die antiimperialistischen Kräfte Brasiliens und der Welt am Zug um den Schwung von Mumbai Resistance zu nutzen und ein Porto Alegre Resistàªncia zu organisieren, mit der Aufgabe offen die Lula-Regierung anzugreifen und den linken Flügel der Antiglobalisierungsbewegung in die Bildung einer globalen Bewegung gegen das amerikanische Imperium zu integrieren.
Willi Langthaler