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Enfant terrible und Verfluchter der arabischen Literaturszene

14. März 2004

Nachruf auf den marokkanischen Schriftsteller Mohamed Choukri

Choukris erstes Buch „Das nackte Brot“ (1972), ein autobiographischer Roman, wurde rund vierhunderttausend Mal in zehn verschiedenen Sprachen aufgelegt und verkauft. In Europa wurde es das Kultbuch unter jungen Reisenden auf der Suche nach dem ultimativen Exotikkick in Afrika sowie unter ein paar Handvoll Intellektuellen. In Marokko wurde das Buch kurz nach Erscheinen verboten, weil Choukri seinen Vater darin nicht ehrfurchtsvoll beschreibt. „Mein Vater wurde nur geboren, um alle zu hassen. Er liebt nicht einmal sich selbst.“ (S. 95) Schon auf den ersten Seiten macht er ihn für den Tod eines Sohnes, des jüngeren Bruders von Choukri, verantwortlich. Choukri wuchs in ärmsten Verhältnissen auf, im Rif, einer bergigen Gegend im Norden Marokkos, die auch heute noch von allen Entwicklungsprogrammen, ob wirtschaftlich oder sozial, ausgespart bleibt, da sie aufgrund des herrschenden Clanwesens als politisch instabil gilt. Choukri kam früh auf die schiefe Bahn, war schon als Jugendlicher im Gefängnis, wo er das erste Mal von einem Mithäftling das Alphabet gelehrt wurde. Mit 21 Jahren – Marokko war gerade im Umbruch zur Unabhängigkeit – ging er auf eine Schule nach Larache, eine Stadt an der nördlichen Atlantikküste, und lernte lesen und schreiben, um Zeitungen und Bücher lesen und am politischen Leben der neuen Zeit teilhaben zu können. Er absolvierte die Prüfung zum Lehrer. Aber mit dem Lehrer-Sein klappte es dann doch nicht so wirklich, da er es sich immer wieder mit den Behörden anlegte. Auch, dass er mit Büchern von Sartre, Fanon und Beckett „erwischt“ wurde, förderte seine Position als Lehrer nicht, genausowenig wie der extreme Kifkonsum und das Trinken, das er nie bleiben ließ. Als wir ihn 1993 im Cafà© de Paris am Grand Socco in Tanger aufsuchten, riet man uns, ihm unbedingt eine Flasche guten Whiskey mitzunehmen. Der gute Whiskey ist dann wohl auch Mitverursacher seines Todes am 15. November 2003 im Alter von 68 Jahren gewesen.
Choukris Figuren in seinen Büchern sind die, mit denen er lebte und verkehrte: Prostituierte, Drogendealer, Schuhputzer, Hafenarbeiter, Zuhälter und Diebe. Choukris immer wiederkehrendes Thema sind die Westler, die nach Marokko kommen auf der Suche nach dem Exotischen, nach Drogen, nach Frischfleisch. Marokko gilt im Westen auch heute noch als Mekka am Sextourismusmarkt für homosexuelle Männer. In Choukris Erzählungen bleibt das Unverständnis zwischen den Westlern und den Marokkanern offen stehen.
Er lernte die Beatniks und andere westliche Intellektuelle kennen, die für kurze Zeit, oder so wie der amerikanische Komponist und Schriftsteller Paul Bowles und der Geschäftsführer des Lokals „Tausendundeine Nacht“ in Tanger, Bryon Gysin, für immer nach Marokko zogen. Er führte Tennesse Williams und Jean Genet durch seine Stadt, das Tanger der Bordelle, der Hafenarbeiter, der Drogendealer und Kleinkriminellen. In seinen Werken legt er die dekadente Doppelbödigkeit dieser westlichen Künstler offen, indem er einfach in klarer Sprache erzählt, wie sie einerseits im Nobelhotel al-Minzah hausen und andererseits die arabischen Jungs gegen wenig Geld in miesen Absteigen nehmen. Solche Menschen kann man beklauen und ausnehmen, lässt Choukri seine Figuren in den Romanen sagen.
Choukri suchte dennoch hoffnungsvoll Kontakt auf gleicher Ebene mit jenen westlichen Intellektuellen und Künstlern, wollte Anerkennung für seine schriftstellerische Arbeit, so wie er sie für ihre zeigte und wurde immer wieder von oben herab als nicht-zugehörig behandelt. Die Beleidigung, die er dabei empfand, drückte sich fortan in seinen Büchern aus. In dem autobiographischen Folgeroman „Zeit der Fehler“ (1992) und dem Tanger-Roman „Zoco Chico“ (1986) werden Westler ausgenommen und die amerikanischen und europäischen Frauen mit Alkohol abgefüllt – die späte Rache für all die Demütigungen, denen er ausgesetzt war.
Der amerikanische Komponist und Schriftsteller Bowles, der schon 1946 nach Tanger kam, übersetzte Choukris Roman „Das nackte Brot“ und brachte die englische Ausgabe bei seinem Verleger, dem Briten Peter Owen, unter. Choukri bezichtigte Bowles sein Leben lang, ihn betrogen zu haben. Aus einem Interview mit Michael Rauch in Tanger (Welt am Sonntag, März 1999): „Bowles ist ein Dieb. Er hat sich für meine ersten übersetzten Bücher das Copyright unter den Nagel gerissen. Ich sehe davon keinen Sou. Taher Ben Jel…­loun hat dasselbe in Frankreich getan.“ Bowles bezeichnete ihn fortan als armen Alkoholiker, der sein Talent verspielt hätte. Es gibt tatsächlich Hinweise, wenn auch keine Beweise, dafür, dass Bowles literarische Machenschaften in Marokko nicht darauf aus waren, marokkanische Schriftsteller bekannt zu machen, sondern sich als deren Entdecker im Westen zu etablieren und damit Geld zu machen. Ahmad Yacoubi, der ihm auch sexuell bis zu seinem frühen Tod treu ergeben blieb, sah sein Leben lang kein Geld für die Erzählungen, die er Bowles in das Tonbandgerät sprach. Auch Mohamed Mrabet schien sein Leben lang von der Willkür und Güte seines amerikanischen „Freundes“ finanziell abhängig zu sein. Tatsache ist, dass Choukri der einzige blieb, der das aussprach und Bowles dessen öffentlich bezichtigte.
Dass er von der arabischen Literaturszene und den arabischen Intellektuellen nicht anerkannt wurde, empfand er sein Leben lang als Demütigung. Zwar übersetzte Tahar Ben Jelloun, der bis heute in Paris im Exil lebt, Choukris Roman „Das nackte Brot“ ins Französische, erkannte seinen Landsmann aber nie als Schriftsteller seines Formats an.
Choukris Erzählung über die Tage mit Jean Genet in Tanger war die erste nach dem Verbot 1973, die 1993 auf Arabisch erscheinen durfte, zu einer Zeit, in der König Hassan II. seinem Land Reformen versprach und den Anschluss an die EU suchte. Choukris Erstlingswerk „Das nackte Brot“ wird erst 2000 wieder auf Arabisch aufgelegt.
Trotzdem können diese Wiedergutmachungsversuche auf marokkanischer Seite nicht darüber hinwegtäuschen, dass Choukri ein Außenseiter blieb.
Er verkehrt bis zu seinem Lebensende mit den Unterschichten in Tanger, ist ihr Sprachrohr, bleibt ein unangenehmer Künstler, den keiner ernst nehmen will. Auf der anderen Seite steht die Konfrontation mit den fundamentalistischen Islamisten. Seine offene, für die islamische Welt schamlose Sprache ist eine Herausforderung, die nicht hingenommen wird. Er wird von offizieller Seite der Pornographie und der Verunglimpfung seiner Heimat bezichtigt. Zynisch ist es jedenfalls, dass er in den letzten Wochen vor seinem Tod im Militärgefängnis in Rabat auf Anordnung des Königs Muhammad VI. erfolglos behandelt wurde.
Choukri blieb auch insofern ein Außenseiter, als er sich nie politisch formierte, sich als Einzelkämpfer bewegte, Organisationen zutiefst misstraute. „Die Klugen sind dem Wahnsinn verfallen, faseln dummes Zeug auf den Straßen, und die, die daran recht getan hätten zu bleiben, sind weggegangen und werden von Einsamkeit in schwere Ketten gelegt.“ (S. 139) Choukri ist nie ins Exil gegangen, hat sein Marokko immer zutiefst geliebt. Er hat es aber nie geschafft, in seiner Heimat ernst genommen zu werden. Jegliche Kritik versickerte. Er blieb einsame Opposition. So sind seine Bücher, die das beste Bild Marokkos abgeben, das die Literatur dieses Landes hervorgebracht hat, denn auch alles – nicht mehr und nicht weniger.

Sabeth Belhayania

Mohamed Choukris Bücher werden auf Deutsch im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, und im Verlag Das Arabische Buch, Berlin, herausgegeben. Die Seitenangaben beziehen sich auf „Das nackte Brot“, Eichborn Verlag 1991.

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