Zu den zivilen Opfern des irakischen Widerstands
In der österreichischen Tageszeitung Der Standard vom 7./8. Februar 2004 versucht Doron Rabinovici unter dem Titel „Rebellion ist kein Freibrief für Barbarei“ die offensichtliche Analogie zwischen antifaschistischem Partisanenkampf gegen den deutschen Faschismus und irakischem Widerstand gegen die amerikanische Besatzung zu zerstreuen. Die Spendenkampagne „10 Euro für den irakischen Widerstand“ wird so gemäß Rabinovici zur Terrorunterstützung. Soweit bewegt sich Rabinovici ganz im proamerikanischen Mainstream.
Bemerkenswert wird sein Plädoyer für den präventiven Krieg der USA indes durch die Übernahme einiger Argumente der Besatzungsgegner. Rabinovici zeigt sich besorgt, dass jene, die im Namen des Feldzuges gegen den Terror die demokratischen Rechte einschränken, diesem in die Hände spielen würden. Er scheint seinen Gramsci gut gelesen zu haben. Wer die Zivilgesellschaft – wohl verstanden als Vermittlungsinstitution der kapitalistischen Herrschaft und unter den zeitgenössischen Bedingungen des Imperium Americanum – einschränken will oder gar als Feind begreift, der tut dem System nichts Gutes.
Rabinovici räumt ein, dass „der Diskurs über den Terrorismus zur Kriminalisierung von Befreiungsbewegungen missbraucht werden kann“. Es fällt ihm nicht schwer zuzugeben, dass „die Wahl der Wörter Teil des Kampfs ist und so ist es kein Zufall, wenn in manchen Medien die Attentate im Irak zum Widerstand erklärt werden und in anderen Terrorismus heißen.“
Als Schlüsselstelle der Argumentation Rabinovicis erweist sich die Passage, in der die Bezeichnung „terroristisch“ von der Legitimität der jeweiligen nationalen Bestrebungen abgekoppelt und ein scheinbar objektiver Begriff des Terrors konstruiert wird. Während der Widerstandskämpfer unter dem Schutz des Volks Militärs oder Repräsentanten des autoritären Regimes angreifen würde, ziele der Terrorist auf die Ermordung von Unbeteiligten zum Zweck der Einschüchterung der Öffentlichkeit.
Der unbedarfte demokratisch gesinnte Leser würde die Gedankenkette weiterspinnen und schlussfolgern, dass der irakische Widerstand gegen die fremde Besatzung ungeachtet seiner Methoden legitim sei, wie es auch das Völkerrecht vorsieht.
Doch an dieser Stelle macht Rabinovici eine radikale Kehrtwende und schlägt seine eigenen Argumente in den Wind. Unbesehen unterstellt er die amerikanische Propaganda, laut derer der Widerstand aus Kriminellen bestehe, denen es einzig um wahlloses Morden an Unschuldigen gehe. Als Historiker sollte Rabinovici wissen, dass dies dem Muster der nationalsozialistischen Propaganda entspricht, die lediglich statt von Terroristen von Banditen sprach. So das metaphysische absolute Böse wieder einmal beschworen habend, kann stillschweigend die zuvor noch verteidigte Legitimität der nationalen Bestrebungen zu Grabe getragen werden. Zurück bleibt Kriegstreiberei.
Mit dem nötigen Abstand betrachtet, liegen die Verhältnisse, was den Terror betrifft, gerade umgekehrt. Der Widerstand gegen einen überlegenen Gegner kann nur mit der Unterstützung des Volks gewonnen werden – das lehren die Erfahrungen der antifaschistischen Partisanen, des Langen Marsches in China und der lateinamerikanischen Guerilla gleichermaßen. Der Terror, die Einschüchterung der unschuldigen Zivilbevölkerung, ist hingegen immer das Geschäft der Besatzer bzw. der Eliten, denen es um den Erhalt ihrer Herrschaft gegen die Mehrheit des Volks geht. Den Massenterror wendeten die Nazis wie die USA an – Auschwitz und Hiroshima sind nur die extremsten Beispiele der beabsichtigten Ermordung von Zivilbevölkerung im industriellen Maßstab zwecks Abschreckung. Auch aus jüngerer Zeit ließen sich unzählige Beispiele nennen – vom Napalm auf Vietnam, über die Strategie der Spannung mit rechtsradikalem Terror im Europa der 70er Jahre bis hin zum Massenmord an der irakischen Zivilbevölkerung durch das Embargo.
Auf der anderen Seite zeigt die totale Isolation des von den USA eingesetzten „Regierungsrates“, dass der Widerstand trotz aller politischen Differenzierungen über feste Wurzeln im Volk verfügt. Weiterhin kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es den Partisanen im Irak vor allem darum geht die Besatzungsmacht zu treffen. Doch das erweist sich als zunehmend schwierig, da die USA bestrebt sind, die tagtägliche Repression auf ausländische und irakische Hilfskräfte zu delegieren. Darum richtet sich der Widerstand auch gegen ihre irakischen Marionetten, sowie gegen die im Aufbau befindlichen Polizei- und Militärkräfte. In den postkolonialen Befreiungskämpfen war dies der Regelfall.
Was die Uno, NGOs und die westlichen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen betrifft, so dienen diese trotz allen Nebelwerfens dazu, einem pro-amerikanischen Regime Legitimität zu verleihen – die natürlich um so höher ist, je weniger offensichtlich die Abhängigkeit von den USA zu Tage tritt. Im Sinne des Rechts auf Selbstbestimmung werden sie für den Widerstand dadurch ebenfalls zu legitimen Zielen.
Was die zivilen Opfer betrifft, so scheinen diese in den wenigsten Fällen beabsichtigt, zumal die Besatzer die Zivilbevölkerung ganz offensichtlich als menschliche Schutzschilder missbrauchen. Im historischen Kontext betrachtet, ist die gestiegene Opferzahl der extremen Asymmetrie des globalen Krieges geschuldet, den die USA den Gegnern ihrer Vorherrschaft erklärt haben. Hatte die Sowjetunion im antifaschistischen Krieg ein Opfermissverhältnis von rund 5:1 hinzunehmen (Soldaten und Zivilisten zusammengenommen), so lag es für die vietnamesischen Freiheitskämpfer schon bei 50:1 (ebenfalls Soldaten und Zivilisten eingeschlossen, wobei es kaum amerikanische Zivilisten gab). Auch in diesen Kriegen waren die Kräfteverhältnisse mehr als ungleich, doch es standen sich zumindest reguläre Armeen mit industriellen Ressourcen im Hintergrund gegenüber. Der heutige Krieg beruht auf der totalen militärischen Überlegenheit der USA, gegen die keine konventionelle Armee bestehen kann. Als einzige Chance dieser Asymmetrie zu begegnen, drängt sich die Antwort der asymmetrischen Mittel richtiggehend auf. Wenn dabei das Missverhältnis der Opferzahlen weiter steigen sollte, so tragen dafür einzig und allein die USA die Verantwortung.
Im Übrigen ist diese Fragestellung nicht neu. Auch während des bewaffneten Widerstands gegen die Nazi-Herrschaft kamen immer wieder unbeteiligte Zivilpersonen zu Schaden. An der Legitimität des antifaschistischen Kampfs änderte das jedoch nichts.
Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist ein unveräußerliches demokratisches Grundrecht, das entsprechend der UN-Charta auch mit bewaffneten Mitteln geltend gemacht werden kann.
Willi Langthaler