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„Weder ihren Krieg noch ihren Frieden!“

14. März 2004

Zu Tariq Alis Buch „“Bush in Babylon“

Dieses Motto (S. 159) ist der zentrale Gedanke, der Tariq Alis Analyse des Irak der Gegenwart und der turbulenten Vergangenheit des 20. Jahrhunderts zu Grunde liegt. Tariq Alis Stimme ist eine, die nach der erfolglos gebliebenen Bewegung zur Verhinderung des Krieges nicht verstummt ist, sondern konsequent weiterhin gegen die Besatzung des Irak erhoben wird. Sein Buch ist eine Hommage an die Menschen im Irak, die – so Tariq Ali – die Geschichte ihres Landes als Spielball der imperialistischen Mächte nicht vergessen haben und sich den neuen Besatzern nicht ohne Widerstand unterordnen werden. Allein diese Haltung macht das Buch zu einer spannenden und wohltuenden mentalen Reise in den Irak, die den Zynismus und die Menschenverachtung in den Medien oder unter zivilgesellschaftlichen Kriegsgegnern, die – gerade erst hatten sie noch gegen den Kriegsausbruch demonstriert – nicht schnell genug die Kollaborateure und mit ihnen die Besatzungsmacht anerkennen konnten, und damit den Widerstand dagegen diffamieren. Das Buch ist eine Ermutigung, den Kampf um Befreiung, der eben auch harte Rückschläge beinhaltet, fortzusetzen. Darüber hinaus ist es eine Einführung in das Denken unbeugsamer Dichter und Denker der arabischen Welt und es holt kritische Stimmen wie die von Mark Twain aus der amerikanischen Welt ins neue Jahrhundert, wo sie aktueller denn je ist.
Tariq Ali zitiert Mark Twain aus dem Jahre 1916 im Zusammenhang mit der von der UNo im Nachhinein gelieferten Sanktionierung der Besetzung (S. 184), die für ihn nichts an dem Charakter des ungerechten Krieges und seiner Folgen ändert – für viele andere leider schon. In deren Köpfen mag es wohl so zugehen: „Als nächstes werden die Staatsmänner billige Lügen erfinden, die Schuld der Nation geben, die angegriffen wird und jeder Mensch wird froh sein über diese das Gewissen beruhigenden Unwahrheiten und wird sie sorgfältig studieren und sich weigern, irgendwelche Widerlegungen in Erwägung zu ziehen. So wird er sich nach und nach selbst einreden, dass der Krieg gerecht sei und wird Gott dafür danken, dass er nach dieser grotesken Selbsttäuschung einen besseren Schlaf hat.“ (S. 218)
Als Einleitung zur Geschichte des Irak im 20. Jahrhundert und der gegenwärtigen Situation steht das Bild der „Schakalhochzeit“. Handverlesene Kollaborateure finden sich zusammen, um die Zukunft des Irak nach der „Befreiung“ zu bestimmen. Im Süden des Landes sprechen die Dorfbewohner voller Abscheu von einer Schakalhochzeit, wenn ihre Nachtruhe durch lärmende und stinkende Schakale gestört wird. Da man Kollaborateure nicht will, genauso wenig wie die störenden Schakale, ist die Metapher, die auch der irakische Dichter Saadi Youssef für die irakischen Verräter verwendet, passend. Er ist auch einer derjenigen, die unter Saddam Hussein das Land verlassen mussten und der von der groß gepriesenen neuen „Freiheit“ nichts hat, weil er nach wie vor im Irak unerwünscht ist.
In seinem Gedicht „Die Schakalhochzeit“ schließt er mit seinem Dichterfreund Muthaffar al-Nawab einen Handel:

Ich gehe an deiner Statt
(Damaskus ist zu weit von diesem stillen Hotel)
und spucke den Schakalen ins Gesicht,
ich spucke auf ihre Listen,
ich sage ihnen, dass wir das Volk des Irak sind –
wir sind der Stammbaum dieses Landes,
und wir sind stolz unter unserem bescheidenen Dach aus
Bambus. (S. 38)
Der syrische Dichter Nizar Qabbani wollte mit seinem 1997 verfassten Gedicht „Ich bin für Terrorismus“ „der Jugend von Palästina und der arabischen Nation, die ihren Namen vergessen hat, Mut machen.“ (S. 12) Es passt für den Irak 2004. Hier ein kurzer Auszug:

Man wirft uns Terrorismus vor:
wenn wir die Rose verteidigen und eine Frau
und den mächtigen Vers
und den blauen Himmel ……
Eine Kolonie …… in der nichts mehr ist
Kein Wasser, keine Luft ……
Kein Zelt, kein Kamel,
nicht einmal schwarzer arabischer Kaffee!

Man wirft uns Terrorismus vor:
wenn wir von einer zerstörten Heimat schreiben, den Ruinen der Heimat
zerrissen, schwach ……
eine Heimat ohne Adresse
und eine Nation ohne Namen.
(……)

Amerika
Gegen die Kulturen der Völker
ohne Kultur
Gegen die Zivilisiertheit der Zivilisierten
ohne Zivilisation
Amerika
ein mächtiges Gebäude
ohne Wände!
(……)

Ich bin für Terrorismus
solange die neue Weltordnung
meine Nachkommen abschlachten
und sie den Hunden vorwerfen will.
Und deshalb
erhebe ich meine Stimme:
Ich bin für Terrorismus (…… S. 13, 15, 17)

Im Hauptteil des Buches behandelt Tariq Ali die Entwicklung des Irak nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches bis heute. 1917 fiel den Briten Bagdad zu und die Grenzziehung des neuen Gebildes „Irak“ wurde vollzogen. So wie heute die Amerikaner ließen die Briten die Iraker wissen, sie kämen als „Befreier, nicht als Eroberer“. (S. 50)
1929 endete das Mandatsverhältnis, wobei die Briten die Jahre davor genutzt hatten um ihren wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einfluss zu sichern. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Irak wieder voll unterworfen. Anschaulich skizziert Tariq Ali den Kampf um einen unabhängigen Irak, wobei bis zu den großen Niederlagen des arabischen Nationalismus die Idee der arabischen Nation im Vordergrund stand. Am 14. Juli 1958 ergriffen die Freien Offiziere die Macht und erklärten den Irak zu einer Republik. (S. 70)
Als geschichtlich besonders interessanter Aspekt in der Analyse der Entwicklungen und Machtkämpfe der folgenden Jahre, die letztendlich zur Machtübernahme der Ba…‘th-Partei führten, erscheint die ausführliche Besprechung der Rolle der Kommunistischen Partei. Es ist die Geschichte einer starken arabischen kommunistischen Partei mit Massenunterstützung, deren politische Fehler sie zu einem Schatten ihrer selbst werden ließen. Sie einseitig als Opfer des Ba…‘th-Regimes zu sehen, ist für Tariq Ali aus dem Zusammenhang ihrer eigenen Politik gerissen. Der arabischen Sache abträglich war schon die Aufgabe des Widerstands gegen die französischen und britischen Besatzungstruppen im Zweiten Weltkrieg und die – gegen den Rat ihrer eigenen jüdischen Mitglieder – Anerkennung Israels im Schlepptau der Sowjetunion. (S. 73)
Weiters kam es im Bündnis mit Qasim zu Versäumnissen in der Zusammenarbeit mit den Nationalisten. (S. 77) Und schon 1959 musste die Partei erfahren, dass ihre Dienste zur Verhinderung des geplanten Putsches der Ba…‘th-Bewegung nicht gewürdigt wurden. Die Kommunisten wurden aus wichtigen Positionen entfernt und ihre Rolle entsprach in keiner Weise dem Potenzial, das die Partei an der Basis hatte. Die historische Chance einer tatsächlichen revolutionären Umwandlung wurde nicht genutzt und mit der Machtübernahme der Ba…‘th-Partei 1963 folgte Zerschlagung, Verfolgung, Exil. Als die Frage der Machtübernahme durch die starke Massenbasis reale Chancen hatte, wurde sie nicht gestellt, einige Jahre später, als sich die Menschen enttäuscht abgewandt hatten, konnte sie nicht mehr gestellt werden.
1967 unterzogen sich führende Kommunisten einer schonungslosen Selbstkritik: „Wenn wir das Ruder übernommen und unverzüglich das Volk bewaffnet und eine radikale Agrarreform durchgeführt hätten …… den Kurden ihre Autonomie gewährt und die Armee durch revolutionäre Maßnahmen in eine demokratische Streitmacht umgewandelt hätten, dann hätte unser Regime mit außerordentlicher Geschwindigkeit breiteste Popularität erlangt und hätte große Massenbewegungen entstehen lassen, die es Millionen Menschen ermöglicht hätten, selbst in die Geschichte einzugehen.“ (S. 86)
Der letzte Akt der Tragödie wurde 1973 mit Zustimmung der Sowjetunion vollzogen. Sie begrüßte es als gewaltigen Schritt vorwärts, dass die Kommunisten gemeinsam mit der Ba…‘th-Partei die „Progressive Nationale Front“ bildeten. Der finale Dolchstoß für die IKP folgte. (S. 111) Wiederauferstanden ist sie bei der Schakalhochzeit.
Wenn auch die jüngste Geschichte des Irak in vielen Publikationen behandelt wurde und wird, so ist Tariq Alis Beitrag doch eine Bereicherung, weil er klar Stellung nimmt. Zum Beispiel zum Iran-Irak-Krieg, „der niemals hätte stattfinden dürfen und schlimmstenfalls 1982 hätte enden müssen.“ (S. 120)
Mit vielen Details wird aufgezeigt, wie die späteren Kriegsherren ihr „Monster“ Saddam Hussein aufpäppelten. Und wenn Tariq Ali die Gräuel des Saddam-Hussein-Regimes beschreibt oder die Gräuel des Golfkrieges 1991 sowie die verbrecherischen Sanktionen und den neuerlichen Krieg – so kommt es zu keiner Äquidistanz, die so viele Menschen lähmt. Das ist für mich das besondere Verdienst dieses Buches.
Tariq Ali verschont weder die Arabische Liga – sie „übertraf sich selbst im kollektiven Ausdruck von Würdelosigkeit und verkündete ihren Widerstand gegen den Krieg, während eine Mehrheit der Mitglieder sich bereits daran beteiligte.“ (S. 150) – noch die deutschen sogenannten Kriegsgegner wie den „kadavergrünen Außenminister Joschka Fischer“, der verlautbaren ließ, „seine Regierung hoffe ebenfalls, dass der Widerstand gegen den englisch-amerikanischen Angriff rasch zusammenbrechen möge“ (S. 149) – noch den UN-Sicherheitsrat, der in der letzten Maiwoche 2003 die Besetzung des Irak anerkannte und die Re-Kolonisierung absegnete. (S. 155)
Die Aufforderung ist klar: „Die dringlichsten Aufgaben einer antiimperialistischen Bewegung liegen in der Unterstützung des irakischen Widerstandes gegen die britischen und amerikanischen Besatzer und die Ablehnung aller Versuche, die Vereinten Nationen irgendwie mit ins Boot zu bekommen.“ (S. 159)
Letztendlich fordert Tariq Ali Europas linksliberale Intellektuelle und Philosophen – die immer noch daran zweifeln, dass die Welt, in der wir leben, von einem einzigen Empire und dessen Bedürfnissen dominiert wird – auf, Philip Bobbits Verteidigung des US-Empires zu lesen. „In den internationalen Beziehungen ist eine bismarcksche Revolution im Gange. Sie wurde nicht etwa von George W., sondern von Bill Clinton in die Wege geleitet, als dieser beschloss, auf dem Balkan zu intervenieren.“ (S. 185)

Elisabeth Lindner-Riegler

Tariq Ali: Bush in Babylon – Die Re-Kolonisierung des Irak. Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2003, 224 Seiten. Die Originalausgabe erschien zeitgleich unter dem Titel „Bush in Babylon“ bei Verso, London/New York.

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