Junge Wehrdienstverweigerer (seruvnikim) in Israel
Haggai Matar hatte nie mit so einer hohen Strafe gerechnet. Aber als der jugendliche Verweigerer seine Strafe antrat, sagte er, dass die Aussage des Richters, er wäre eine Bedrohung für das Überleben des Staates Israel, ihm Trost und Genugtuung bereite.
Haggai Matar ist einer von fünf jungen Männern, die ihre einjährige Gefängnisstrafe im Militärgefängnis Nr. 6 in der Nähe von Haifa im Jänner antraten. Sie alle verweigerten den Wehrdienst, weil sie gegen die Besatzung sind.
Der Neunzehnjährige sagte: „Für mich ist es ein Kompliment, dass sie sich vor unserer Fähigkeit andere zu überzeugen so fürchten und dass sie uns für so gefährlich erachten, dass sie uns einsperren müssen.“
Um möglichst wenig öffentliches Aufsehen zu erregen, blieben Wehrdienstverweigerer bis jetzt im Allgemeinen auf freiem Fuß oder erhielten Verwaltungsstrafen und mussten für ein paar Wochen ins Gefängnis. Haggai Matar und seine Freunde brachten jedoch ihren Protest an die Öffentlichkeit und ermutigten andere in einer Situation, in der die Armee ohnehin mit einer Welle von Verweigerungen konfrontiert ist, sich ihnen anzuschließen.
An die tausend Schulabgänger und Reservisten haben ihre Wehrdienstverweigerung unterschrieben und Mitglieder von Eliteeinheiten wie Kampfpiloten und Kampfkommandos erklären, dass sie palästinensische Ziele nicht mehr angreifen werden, weil durch die große Zahl der zivilen Opfer diese Operationen als Kriegsverbrechen gesehen werden müssen.
Um dieser Bewegung in der Armee Einhalt zu gebieten, haben die Militärs erstmalig seit 1981 Haggai Matar und seine Freunde vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt. Laut Haggai Matar war bis zu ihrem Fall die übliche Vorgangsweise gegen Verweigerer eine Gefängnisstrafe von drei oder vier Monaten. Er erklärt weiters: „Während der Urteilsverkündung sagten sie uns, dass sie uns deshalb so hart bestrafen würden, weil wir an die Öffentlichkeit gingen und damit andere Menschen beeinflussen würden.“
Die drei Richter erklärten sie eines schweren Verbrechens, das eine unmittelbare und konkrete Gefahr für die Existenz und das Überleben Israels bedeute, für schuldig. Einer der Richter, Oberst Avi Levi, wollte sie sogar des Hochverrats beschuldigen. Er begründete dies damit, dass die Beschuldigten ihre Verweigerung öffentlich gemacht hatten um damit die Berechtigung der Armeeoperationen und die moralische Pflicht, in der Armee zu dienen, in Frage zu stellen. „Indem sie das tun, untergraben sie die internationale Legitimation dafür, was unser Staat tut, und helfen feindlichen Nationen, indem sie ihnen neue Argumente in die Hand geben.“
Die fünf jungen Männer sind weder typische Vertreter der israelischen Jugendlichen noch der breiteren Verweigerer-Bewegung. Sie kommen mehrheitlich aus radikalen Familien mit langjährigen Verbindungen zur Friedensbewegung.
Noam Bahat, zwanzig Jahre alt, greift Themen auf, die unter Israelis ein Tabu sind. Er weist sie darauf hin, dass die Menschen im Westjordanland und im Gazastreifen wegen der Besatzung tagtäglich unter Misshandlung, Erniedrigung, Armut und Hunger leiden. „Man beginnt zu verstehen, dass es einen Grund für die Selbstmordattentate, die Terrorangriffe gibt. Man fragt sich, wie Menschen in eine Situation kommen können, wo sie sich selbst und andere töten, und man versteht, dass sie verzweifelt sind.“ Er weiß, dass diese Aussagen nicht gehört werden wollen und berichtet, dass „die Reaktionen manchmal sehr schlimm sind. Die Leute sagen, dass wir unser Land zerstören, dass wir anti-demokratisch und überhaupt die ärgsten Verbrecher sind.“
Die Hartnäckigkeit, mit der diese jungen Männer die Frage über die Ursache der Gewalt stellen, ist der Grund, warum sie für das Kriegsgericht ein kleineres Problem darstellen als die etablierten Piloten und Kommandos. Sie selbst sind jedoch der Meinung, dass ihre Verurteilung sich als Eigentor erweisen wird. Nicht als Abschreckung wird sie wirken, sondern als Ermutigung für die wachsende Zahl der Verweigerer. Bisher haben mehr als 400 den „Brief der Mittelschulen“, der die Verweigerung des Wehrdienstes bedeutet, unterschrieben. Weitere 550, die ihren Wehrdienst leisteten und jetzt Reservisten sind, haben ein ähnliches Dokument unterschrieben. Achtundzwanzig Piloten und dreizehn Mitglieder einer Eliteeinheit haben sich in den letzten Wochen den Verweigerern angeschlossen.
Die fünf Verurteilten waren vierzehn Monate, teilweise sogar mehr, in Untersuchungshaft, bevor sie vor das Kriegsgericht gestellt wurden. Sie wissen, was es heißt, eingesperrt zu sein. Was kommt danach? Das wissen sie nicht. „Was die Armee tun wird, ist unklar. Möglicherweise wird sie uns nach diesem Jahr wieder verpflichten – und wir werden verweigern und alles wird von neuem beginnen.“
Quelle: The Guardian, 7. Januar 2004