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Staatliche Retourkutsche

5. April 2004

Interview aus der jW mit Leonardo Mazzei vom Campo Antiimperialista

Italien: Verhaftungen von Kriegsgegnern waren Reaktion auf Unterstützung des irakischen Widerstands. jW sprach mit Leonardo Mazzei von Campo Antiimperialista

* Leonardo Mazzei, führendes Mitglied des italienischen Campo Antiimperialista (Antiimperialistische Koordination), über die „Antiterroroperation“, die am 1. April in Europa und der Türkei zu über 50 Verhaftungen geführt hatte. Neben türkischen befinden sich auch Aktivisten des Campo Antiimperialista unter den Verhafteten, darunter dessen Sprecher Moreno Pasquinelli. Insbesondere wegen der Kampagne „Zehn Euro für den irakischen Widerstand“ war er in den letzten Monaten Ziel einer heftigen Medienkampagne.

F: Was wird den Verhafteten vorgeworfen?

Italiens Innenminister Pisanu hat den berüchtigten Antiterrorparagraphen 270 angewandt – „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“. Er sprach davon, daß der ebenfalls verhaftete Avni Er Europa-Chef der angeblichen Terrorgruppe Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) sei und daß die Aktivisten des Campo Antiimperialista ihm Unterstützung zuteil hätten werden lassen.

F: Wie kommentieren Sie die Vorwürfe?

Seit Monaten sind wir fast täglich wegen unserer Unterstützung für den irakischen Widerstand in den Schlagzeilen. Jeder weiß, daß wir völlig legal und öffentlich agieren und nichts mit Terror zu tun haben. Während eine von der Regierung unter dem Motto „Gegen den Terror“ organisierte Demonstration mit nur wenigen hundert Teilnehmern zum Fiasko wurde, forderten am 20. März mehr als eine Million Menschen den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak. An den Transparenten zeigte sich, daß der dortige Widerstand zunehmend als legitim angesehen wird. Gerade das ist es, was nicht nur Berlusconi, sondern auch die parlamentarische Linke beunruhigt. Für sie schrillten die Alarmglocken, als Demonstranten den Sekretär der Linksdemokraten, Pierro Fassino, an der Teilnahme hinderten. Er wurde wegen der von ihm unterstützten Bomben auf Jugoslawien in Sprechchören als Mörder bezichtigt. Der Schlag ist nun die Retourkutsche.

F: Aber die DHKC nahm seit Jahren am Antiimperialistischen Lager in Assisi teil.

Ja, es gibt eine enge politische Zusammenarbeit zwischen uns und der DHKC. Diese war nie versteckt, sondern immer öffentlich, wir stehen nach wie vor dazu. 2002 demonstrierten wir in Brüssel gemeinsam gegen die schwarze Liste der EU. Die nun erfolgte Operation kann als deren erste Anwendung gelten. Die DHKC hat sich in Europa immer auf rein politische Aktionen gegen die türkische Oligarchie beschränkt. Die USA und die EU versuchen, das türkische Regime reinzuwaschen, doch in Ankara ziehen noch immer die Militärs die Fäden. Den Kurden wird die Selbstbestimmung verweigert, während Oppositionelle in die Gefängnisse wandern und gefoltert werden.

F: Die Haftbefehle waren auf den 23. Februar ausgestellt.

Nach den spanischen Ereignissen sieht sich die Regierung sehr unter Druck. Mit dem Schlag gegen die türkischen Revolutionäre versucht sie, vom Irak-Problem als Ursache der islamistischen Drohungen abzulenken und gleichzeitig ihre schärfsten Kritiker mundtot zu machen. Wie ist es anders zu erklären, daß die Internet-Seite des Komitees Freier Irak (www.iraqlibero.net) gesperrt wurde?

F: Könnte die Aktion für Berlusconi nach hinten losgehen?

An der Kampagne gegen den irakischen Widerstand war nicht nur die Rechte beteiligt. Die Zeitung Corriere della Sera, die sich dazu verstieg, uns der Verwicklung in die Anschläge von Madrid zu bezichtigen, gilt als liberal. Auch die institutionelle Linke und selbst Rifondazione Comunista haben uns wegen der Unterstützung des Widerstands verurteilt. Innenminister Pisanu rechtfertigte sich, indem er behauptete, daß sich linke und islamistische Terroristen auf der Grundlage des Antiamerikanismus zusammenschließen würden. Das ist durchsichtige Propaganda, richtig ist jedoch die Umkehrung: Das italienische Zwei Parteien-System basiert auf der Treue zu den USA. Institutionelle Gegenwehr gegen die Einschränkung der Demokratie ist daher nicht zu erwarten. Über die Bewegung gegen die Besatzung könnte Berlusconi jedoch stürzen.

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