von Willi Langthaler
Am 1. April wurden in einer von der italienischen Staatsanwaltschaft angeordneten antiterroristischen Operation in Italien, Belgien, Holland, Griechenland, Deutschland und der Türkei über 60 demokratische und antiimperialistische Aktivisten verhaftet. Während sich in der Türkei die Aktion zu einer Verhaftungswelle ausweitete, mussten in der EU bis auf Italien praktisch alle Verhafteten wieder freigelassen werden. In Italien hingegen waren die Anklagen gegen Moreno Pasquinelli, Maria Grazia Ardizzone, Alessia Monteverdi, Zeynep Kilic and Avni Er 18 Monate lang vorbereitet worden. So sollen allein 56.000 Stunden Telefonmitschnitte gemacht worden sein. Über die Angeklagten im Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia wurde fünf Tage totale Isolation verhängt, die sich für die zwei Männer seither kaum gelockerte. Ob sie bei der Haftprüfung am 23. April auf freien Fuß kommen scheint zweifelhaft.
Auch seitens der Antiterror-Sondereinheit ROS schien der gleichzeitige Schlag gegen das Campo Antiimperialista (Antiimperialistische Koordination, AIK) und die türkisch-kurdische DHKC medial wohl vorbereitet. Während in den frühen Morgenstunden des 1. April der Hubschrauber noch über dem Haus von Pasquinelli, des Sprechers der AIK, kreiste, meldete BBC bereits die „Zerschlagung einer terroristischen Zelle in Umbrien“.
Die nachfolgende Medienkampagne stellte die Verhafteten abwechselnd als Al-Qaida, den Roten Brigaden oder einer „marxistisch-leninistischen Terrorkooperation zwischen der Türkei und Italien“ zugehörig dar. Selbst von anarchistischem Terror war die Rede.
Juristisch gesehen steht jedoch die Operation „Thrakien“ auf tönernen Füßen. So meinten die Anwälte Giuseppe Pelazza und Luciano Ghirga, dass unter rechtsstaatlichen Bedingungen das Verfahren wegen Widersprüchlichkeit der Anklage und aus Mangel an Beweisen eingestellt werden müsste: „Hier handelt es sich allerdings um einen von ganz oben inszenierten politischen Fall.“
Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in der „DHKP-C, die Akte der Gewalt mit dem Ziel des Terrorismus und des Sturzes der demokratischen Ordnung in der Türkei und andernorts verübt.“ In seinem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief antwortete Pasquinelli: „Der Artikel 29 des EU-Vertrages sieht den Schutz der Menschenrechte, des Rechts auf Freiheit der Meinung und der Information vor – alles Rechte die vom türkischen Militärregime mit Füßen getreten werden. Die EU selbst räumt deren Nichteinhaltung ein, indem sie diese zur Bedingung für den Beitritt der Türkei machte.“
Indirekt erkannte der italienische Staat der Guerillabewegung sogar Legitimität zu, in dem er Abdullah Öcalan retrospektiv das Asylrecht gewährte – allerdings nachdem er bereits abgeschoben und entführt worden war.
Darüber hinaus stellte im vergangenen Dezember das oberste Gericht fest, dass der Antiterrorparagraph 270 zwar auf „internationalen Terror“ anzuwenden sei, nicht aber auf „Umsturzversuche in einem fremden Staat“.
Der politischen Motivation verdächtig macht sich die Anklage auch dadurch, dass die Website der Komitees „Irak Libero“ mit der Begründung, sie verbreite die Propaganda der DHKP-C, gesperrt wurde – obwohl laut den Anwälten die Seite die Partei mit keinem Wort erwähnte.
Nun erheben sich aber auch Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. So meinte der Erzbischof von Perugia, Giuseppe Chiaretti, dass er Pasquinelli seit Kindheit an kenne und dieser kein Terrorist sei. Auch der bekannte Regisseur Michelangelo Antonioni forderte in einem offenen Brief die sofortige Freilassung der Inhaftierten. Und selbst ausgesprochene politische Gegner aller Lager haben sich der Petition ob der Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe angeschlossen, so zum Beispiel die Abgeordneten zum umbrischen Landtag Andreani Luigi, ein Zentrumsrechter, und Donati Maurizio, ein Linksliberaler von Di Pietros „Italia dei Valori“, oder gar der Gemeinde-Sekretär von Finis Postfaschisten „Allianza Nazionale“ Andreani Pierdomenico aus Trevi, Umbrien. So sind es insgesamt rund dreißig vor allem lokale Honoratioren, denen eine derartig krasse Bescheidung der politischen Freiheiten doch zu weit geht.
Willi Langthaler