Gemeinsamer demokratischer Staat einzige Hoffnung auf Frieden
Mit seiner Erklärung, ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967, ohne israelische Siedlungen, sei – ebenso wie ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge in das heutige Israel – unrealistisch, hat George W. Bush als erster US-Präsident offen das ausgesprochen, was in Wirklichkeit aufgrund des Verhaltens der UNO und vor allem der USA sowieso seit langem klar war: Jede Kritik an der israelischen Politik des expansionistischen Landraubes ist reine Rhetorik, Sanktionen gab und gibt es keine, und das wird auch so bleiben. Die Annexion von Teilen des Westjordanlandes ist damit de facto von den USA anerkannt. Klargemacht hat Bush damit auch zum wiederholten Mal, in welcher Rolle sich die politische Führung der USA sieht, nämlich in der Rolle derjenigen, die in totaler Ignoranz des Völkerrechts völlig allein entscheiden, was auf der Welt zu geschehen hat.
All jene, die ernsthaft geglaubt haben, die USA würden diese ihnen aufgrund ihrer militärischen Überlegenheit zufallende Rolle nützen, um auch nur im entferntesten zur Entstehung einer gerechten – oder für die palästinensische Seite auch nur erträglichen – Lösung im Nahostkonflikt beizutragen, sind wohl spätestens jetzt aus ihrem Traum erwacht und müssen einsehen, dass die USA die Anwendung des Faustrechtes auch ihrem strategischen Partner Israel unumschränkt zugestehen.
Man mag einwenden, Sharon habe doch einen völligen Abzug Israels aus dem Gazastreifen angekündigt. Dazu ist erstens festzuhalten, dass Sharons Ankündigungen in den letzten Jahren an Widersprüchlichkeit kaum zu übertreffen waren. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Sharon erst vor wenigen Wochen erklärt hat, die israelische Siedlung Gush Kativ im Gazastreifen sei genauso sehr Israel wie Tel Aviv. Zweitens können Abzüge jederzeit wieder rückgängig gemacht werden, was die israelische Armee ja seit langer Zeit bei jeder Gelegenheit in Perfektion demonstriert. Der Gazastreifen wäre außerdem völlig von Israel umgeben, da sowohl die Mittelmeerküste Gazas als auch die Südgrenze (zu Ägypten) sich unter israelische Kontrolle (inklusive Mauern und Elektrozaun, wie fast der ganze Gazastreifen) befindet und mit Sicherheit auch bleiben würde. Niemand garantiert, dass Aktionen wie die erst kürzlich vorgenommene Unterbindung von Lebensmittellieferungen, von denen mehrere zehntausend BewohnerInnen des Gazastreifens abhängig sind, nicht weiterhin vorkämen. Bush wird kaum derartige Garantien von Israel verlangen. Im Westjordanland bleiben etliche Siedlungen nach Sharons Plan „für immer“ bestehen, was wohl auch für die exklusiv den israelischen SiedlerInnen vorbehaltenen Straßen gilt. Somit wäre das Westjordanland in nicht zusammenhängende Teile zerstückelt und durch die Apartheidmauer flächenmäßig zusätzlich eingeschränkt. Daher kann drittens nach dem von Bush genehmigten Plan von dem vielzitierten „lebensfähigen palästinensischen Staat“ in keiner Weise die Rede sein, geschweige denn von irgendeiner Form von Unabhängigkeit.
Waren schon in der – von Vertretern der Organisation „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ treffend als „Fahrplan ins Nirgendwohin“ bezeichneten – amerikanischen „roadmap“ keine Maßnahmen zur Schaffung eines eigenständigen Palästina in Gaza und Westjordanland vorgesehen, so ist Bushs jüngste Erklärung nichts anderes als die endgültige Absage an alle palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Selbst die Zwei-Staaten-Lösung, bei der die PalästinenserInnen auf einen Großteil ihres historischen Territoriums verzichtet hätten, wird also von Israel und den USA zunichte gemacht. Angesichts der bestehenden internationalen Kräfteverhältnisse ist also allerhöchstens ein aus von einander getrennten Bantustans bestehender palästinensischer „Staat“ zu erwarten, abgesegnet von einer Supermacht, die sich de facto das Recht herausnimmt, palästinensisches Land an Israel zu verschenken, als ob es bisher zu den USA gehört hätte – ein Paradebeispiel für die us-amerikanische Weltsicht. Ganz in diesem Sinn wird Bush offensichtlich von Sharon als einziger palästinensischer Verhandlungspartner akzeptiert.
Bestärkt durch diese Gewissheit der völligen Handlungsfreiheit fährt Sharon mit der terroristischen Demoralisierung und Erniedrigung der palästinensischen Bevölkerung durch die Ermordung politischer Anführer fort, und dabei wird es wohl kaum bei einigen Leitfiguren der Hamas bleiben. Vielmehr handelt es sich um eine Todesdrohung an jede Form der politischen Organisation, die nicht vollkommen auf Kollaboration ausgerichtet ist. Wer kollaboriert, wird der Weltöffentlichkeit als „Friedenskraft“ verkauft, alle anderen als „Terroristen“ oder zumindest „Terrorunterstützer“, mit denen entsprechend zu verfahren ist.
Während im Irak offenbar sowieso niemand mehr Bushs Gerede von Befreiung und Demokratie glaubt, sind damit auch die letzten palästinensischen Hoffnungen auf die USA zerstört. Es scheint, dass hier zwei verbündete rechtsradikale Regierungen bei ihrer Kriegs- und Besatzungspolitik gegenseitig einander als Vorbild dienen und ihre totale Verbrüderung demonstrieren. Wie Bush annehmen kann, von irgendjemandem im arabischen Raum als Befreier wahrgenommen zu werden, weiß wohl weder er selbst noch seine Berater – und offensichtlich legt man im weißen Haus darauf auch keinerlei Wert.
Einen lebensfähigen palästinensischen Staat wird Israel nicht zulassen, nicht in einem Jahr, und auch nicht in 20 Jahren. Die einzig mögliche Form einer dauerhaften Lösung des Konfliktes liegt in einem gemeinsamen, demokratischen und antiimperialistischen Staat, in dem sowohl die israelisch-jüdische, als auch die arabische Bevölkerung volle nationale Rechte besitzt. Bis zur Beendigung der Apartheidpolitik ist und bleibt Israel ein Besatzungsstaat und ebenso so lange ist Widerstand gegen die Besatzung legitim.