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Die Schlacht von Falluja, der Aufstand und zeitweilige Volksmacht

21. Mai 2004

Interview mit Abduljabbar al-Kubaysi, Führer der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA)

AL: Inwieweit veränderte die Schlacht von Falluja die Situation im Irak?
K: Die Folge war eine vollständige Volksmobilisation und ein Aufstand, der all unsere Erwartungen übertraf. Jeder trug auf seine Weise dazu bei. Man sah sogar alte Frauen Munition zu den Widerstandskämpfern an den vordesten Linien tragen. Das Volk und die bewaffnete Widerstandsbewegung etablierten ihre Kontrolle über die Stadt. Doch nicht nur in Falluja war das der Fall, sondern an vielen Orten. Zum Beispiel kostete es die US-Besatzer in Samarra mehrere Wochen, den Aufstand zu unterdrücken. Auch in Bagdad verloren sie für eine bestimmte Zeit die Kontrolle. Zwischen dem 5. und dem 7. April waren viele Teile der Stadt unter der Kontrolle der Widerstandskräfte, die die Straßen patrouillierten. In diesem Zeitraum wurde die von den US zerstörte öffentliche Ordnung wieder aufgerichtet. Es fanden keine willkürlichen Morde, keine Vergewaltigungen oder Raubüberfälle mehr statt.

AL: Was denken Sie über die sogenannte „Falluja-Armee“, kommandiert von ehemaligen Generälen der irakischen Armee? Ist ihre Gründung ein Sieg für den Widerstand oder ist es ein neuer Versuch, kollaborierende bewaffnete irakische Kräfte zu schaffen?

K: Die Amerikaner mussten eine Lösung finden. Sie werden versuchen, die neuerdings gegründete Falluja-Armee in so etwas wie ihre Irakische Polizei zu verwandeln, das heißt in offen kollaborierende bewaffnete Kräfte. Jedoch kommen die meisten der Männer, die aufgenommen wurden, aus Falluja und nahmen am Kampf gegen die US-Armee teil. Sie stehen dem Widerstand nahe. An der Armee beteiligen sie sich, weil sie ihre Familien ernähren müssen. Wir erwarten, dass im Falle neuer Kämpfe die meisten von ihnen mit dem Widerstand gehen oder sich wenigstens weigern werden, dem US-Kommando zu folgen. So lange sie also ein lokales Phänomen bleibt, stellt die Falluja-Armee kein großes Problem dar. Dahinter jedoch steht eine bewusste politische Strategie. Die Amerikaner versuchen, viele ehemalige hochrangige baathistische Offiziere einzubinden. Sie führen eine politische Kampagne, um sie einzugliedern und ihnen Arbeit zu geben. Sollte sich das auf nationale Ebene hin ausweiten, wird es zu einen ernsten Problem. Deshalb lehnen wir diese Armee als ab und ähnliche Versuche anderswo ebenso.

AL: Am 8.Mai fand eine von Scheich Jawad Chalisi und Muthanna Harith al-Darri geleitete Konferenz in Bagdad statt, die behauptete, Teil des Widerstandes gegen die Besatzung zu sein. Indessen appellierten sie an die UNO und ihren Sondergesandten Lakhdar Brahimi, mit ihnen zu kooperieren.

K: Viele der Teilnehmer sind dem Widerstand nahestehende Leute. Doch es gibt auch offene und verdeckte Kollaborateure dabei, die mit Talabani oder Chalabi gehen. Dahinter steht eine Operation des Königs von Bahrain im Dienste der USA. Den Amerikanern wurde klar, dass sie die zwischen Widerstand und Besatzern schwankenden Kräfte kooptieren müssen. Sie müssen ihrer Behörde eine Verkleidung geben, von der sie hoffen, dass sie für die Menschen annehmbarer sein wird. Den sunnitischen Teilnehmern der Konferenz wurde zum Beispiel gesagt, dass sie die schiitischen Kräfte nicht die Macht übernehmen lassen dürften. Die Organisatoren nehmen für sich in Anspruch, das um der Unabhängigkeit des Landes willen zu tun und dass sie gegen die Okkupation und den Regierungsrat stünden. Wie können sie dann aber mit Lakhdar Brahimi zusammenarbeiten, während der bewaffnete Widerstand ihn zu einem Ziel erklärt hat, weil er der US-Besatzung die Legitimität der UNO zu verleihen sucht? Es kann keine Souveränität geben, so lange fremde Truppen im Irak sind. Deren Abzug ist eine Voraussetzung. Etwas anderes werden wir nicht akzeptieren. Wir verurteilen jede Kollaboration mit den Besatzern, auch unter dem Deckmantel der UNO. Insofern ist der von der Konferenz am 8. Mai eingeschlagene Weg eine Gefahr für den Widerstand und wir lehnen sie ab.

AL: Wird die für den 30. Juni festgesetzte sogenannte Übergabe der Souveränität irgendetwas verändern?

K: Die USA brauchen neue, saubere Gesichter für ihre Besatzungsverwaltung. Deshalb ersuchten sie die Vereinten Nationen und Brahimi die Situation für sie zu retten. Sie versuchen eine neue Fassade aufzuziehen. Doch das Volk weiß, dass sie betrügen. UNO und Brahimi sind nichts weiter als politische Agenten der Vereinigten Staaten. Die Realität zeigt, dass sie bloß den alten Regierungsrat umbenennen.

AL: Wie steht es um die Bildung der politischen Widerstandsfront? Der Prozess scheint sich zu verzögern.

K: Der Aufbau der Front ist ein langer Weg. Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Kräfte hoffen, einen Kompromiss mit den Besatzern zu erreichen. Als Verhandlungsmasse dient ihnen dabei der Widerstand. Die sogenannte Widerstandskonferenz in Bagdad ist nur ein weiterer Beleg dafür. Diese Leute spielen ein doppeltes Spiel. Auf der anderen Seite gehen die politischen Kräfte, die wirklich den Widerstand darstellen, ein sehr hohes Risiko ein, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Sie haben Schwierigkeiten sich im politischen Prozess zu engagieren und die unentbehrliche Front zu formieren. Deshalb müssen wir geduldig sein.

AL: Wie kommentieren Sie den von Muqtada al-Sadr geführten Aufstand? Reagierte er auf eine amerikanische Provokation oder hat er sich besonnen und dem Widerstand angeschlossen?

K: Es war vor allem der gewaltige Impuls des Widerstands in Falluja, der ihn dazu brachte, sich am Kampf zu beteiligen. Die Situation und der Druck von unten brachte ihn auf die Seite des Widerstands. Die meisten seiner Anhänger sind sehr arme Menschen, jung und arbeitslos. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und wollen gegen die Demütigung durch die Besatzer kämpfen, weil sie nichts zu verlieren haben. Sie sind ganz anders als die reichen schiitischen Händler in Najaf und anderen Städten. Sie sind nicht an den Iran gebunden und verteidigen deshalb auch einen arabischen Irak. Doch nicht nur die Anhänger von Muqtada haben sich erhoben. Ungefähr die Hälfte der Aufständischen haben mit ihm nichts zu tun. Sie haben sich ihm nur angeschlossen, weil er gegen die Amerikaner kämpft. Das zeigt, dass der Aufstand keine religiöse, sondern eine politische Angelegenheit ist, für die Muqtada als Symbol fungiert. Darüber hinaus hat der Aufstand die Einheit des Kampfes zwischen Schiiten und Sunniten aufgezeigt, trotz der Spaltungsversuche durch die Besatzer. Sunnitische Vertreter haben schiitischen Aufständischen ihre Solidarität ausgedrückt und umgekehrt. Auf der Ebene der Massen ist dieses Gefühl der Solidarität im Widerstand sogar noch stärker. Das ist eine sehr positive Entwicklung und die Zusammenarbeit auch auf politischer Ebene wird verstärkt möglich sein.

Das Gespräch führte Willi Langthaler
Paris, 15. Mai 2004

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