Die jüdische Bevölkerung in Österreich beträgt heute nicht mehr als 10.000 Menschen. 1937 waren es 191.000, 1946, nach Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung, noch 31.000, im Jahr 1967 12.500. Vergleicht man die Entwicklung mit der in Deutschland, so sieht man, dass sich dort die jüdische Bevölkerung seit 1967 mehr als verdreifacht hat (heute fast 100.000). Dabei handelt es sich zwar zu einem guten Teil um EmigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion und zu deutlich kleineren Teilen um zurückgekehrte Flüchtlinge aus der Nazizeit, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich hier so etwas wie eine jüdische Zukunft erkennen lässt, was in Österreich nur in marginalem Ausmaß der Fall ist. Da es den deutschen Staaten nicht so leicht wie Österreich gemacht wurde, sich aus der Verantwortung für die Verbrechen des Naziregimes zu stehlen, wurden dort in den letzten Jahrzehnten zumindest gewisse Anstrengungen zur Rückholung und Wiedereinbürgerung jüdischer Vertriebener unternommen – wenn dies auch zweifellos mit verschiedensten politischen und wirtschaftlichen Überlegungen bzw. Zwängen zu begründen ist und nicht aus purer Reue oder gar einem völligen Bruch mit NS-Strukturen geschah. So wurden in den 50er Jahren mehrere Anreize für rückkehrwillige Juden und Jüdinnen geschaffen, was zur Rückkehr tausender jüdischer Vertriebener führte. Österreichs Geschichte ist auch diesbezüglich beschämend. Gesetze zur Wiedereinbürgerung enthielten in der Regel mehr Härten und Hindernisse als Motivationen, die Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen.
Ein entscheidender Faktor für die unterschiedliche Entwicklung des jüdischen Bevölkerungsanteils Österreichs im Vergleich zu dem Deutschlands ist auch die Tatsache, dass Deutschland nicht nur den Vertriebenen und Geflohenen selbst, sondern auch deren Nachkommen relativ problemlos die Staatsbürgerschaft zuerkennt. In Österreich ist das neben den Betroffenen selbst nur für deren EhepartnerInnen, nicht aber für Nachkommen vorgesehen.
Aufgrund der NS-Vergangenheit, in der Österreich eine alles andere als untergeordnete Rolle gespielt hat und keineswegs nur Opfer war, aufgrund des beschämenden jahrzehntelangen Verhaltens Österreichs in der Frage der Wiedergutmachung und der Möglichkeit der Wiedereinbürgerung, und aufgrund der Tatsache, dass Österreich und Europa mit der jüdischen Bevölkerung einen wesentlichen Teil ihrer Kultur und Identität verloren haben, fordern die UnterzeichnerInnen den österreichischen Gesetzgeber auf, den Nachkommen der aus Österreich Vertriebenen Juden und Jüdinnen das Recht zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zuzusprechen.
Statistische Daten sind dem Buch „Europa ohne Juden“ von Bernhard Wasserstein (List Verlag) entnommen
AufruferInnen:
Gunnar Bernhard (Antiimperialistische Koordination – AIK), Margarita Langthaler (AIK), Andreas Pecha (Friedensbüro Wien), Sonja Jamkojian-Huber (Friedensbüro Wien), Paula Abrams-Hourani (Frauen in Schwarz, Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost), Peter Melvyn (Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost), Baruch Wolski (Kulturverein Kanafani), Michael Pröbsting (ArbeiterInnenstandpunkt), Gerald Oberansmayer (Friedenswerkstatt Linz), Boris Lechthaler (Friedenswerkstatt Linz), Michael Bonvalot (AL – Antifaschistische Linke), Daniel Wagner (KPÖ Wien), Petra Stöckl (KPÖ Tirol), Manfred Eber (KPÖ Tirol), Helmut Fellner (KPÖ Wien), Jürgen Enser (KPÖ OÖ), Margarethe Gal (antifaschistische Widerstandskämpferin), Gerhard Drexler (Soziologe), Lazar Bilanovic (Dachverband für serbische und jugoslawische Vereine in Wien), Waltraud Schauer (ehem. menschliches Schutzschild im Irak), Hans Anthofer (antifaschistischer Widerstandskämpfer)