Johannes Voggenhuber hat es erkannt: Eine niedrige Wahlbeteiligung, so meint er, wäre „eine Katastrophe“. Quer durch alle Parteigrenzen teilt man seine Sorgen. 1999 lag die Wahlbeteiligung Österreichweit bei 49 Prozent, in einer neueren (und wahrscheinlich geschönten) Umfrage der Presse bekunden 40 Prozent dem EU-Parlament nicht zu vertrauen. Ein „Katastrophe“ – fragt sich nur für wen.
Offensichtlich ist das Europa des Vertrags von Maastricht, des Sozialabbaus und der in Aufstellung begriffenen Interventionsarmeen nicht mehr in der Lage Begeisterungsstürme auszulösen. Von offizieller Seite wird meist die zu große „Bürgerferne“ der EU Institutionen für die geringe Wahlbeteiligung und die konstant hohe Ablehnung gegenüber der EU verantwortlich gemacht. Eine halbe Wahrheit, denn natürlich ist das völlig undemokratische Funktionieren der EU Programm für die Umsetzung neoliberaler und militaristischer Politik funktional. Die geringe Wahlbeteiligung ist Zeichen des Misstrauens gegenüber einem imperialistischen Europa, das nur den Interessen einer kleinen Oligarchie dient, den Unterschichten und breiten Teilen der Mittelschichten aber kaum noch wirkliche Perspektiven anzubieten hat.
Freilich bedeutet Misstrauen zuerst einmal Apathie und Rückzug, eben den Verlust einer Perspektive, nicht notwendigerweise den Gewinn einer Neuen. Nicht revolutionäre Unrast ist es, die die Leute bei den Wahlen zu Hause bleiben lässt. Dennoch ist dieses Misstrauen Sand im Getriebe eines imperialistischen Europaprojektes, das strukturell auf das Engste mit der US-amerikanischen Hegemonie verbunden ist. Jedes Bestreben nach echter Demokratie und sozialer Gerechtigkeit muss an dieser Stimmung ansetzen. Auf der anderen Seite bedeutet jede Form der Beteiligung an der Wahl eine Legitimierung der EU und ihres Scheinparlaments.
Wir schließen nicht grundsätzlich aus, dass es eine Zeit geben wird, in der man die Europäische Union als Faktum wird akzeptieren müssen. Das ist in erster Linie eine Frage des Bewusstseins der Bevölkerung und in einigen (wenigen) Ländern Europas ist das heute der Fall. Dann mag der Zeitpunkt gekommen sein auch das Europarlament grundsätzlich als Tribüne anzusehen. – Freilich ohne deswegen die grundsätzliche Opposition gegenüber ihrem neoliberalen und militaristischen Projekt aufzugeben. Heute und in Österreich ist das nicht der Fall und wir müssen darum kämpfen, dass das nicht nur so bleibt, sondern auch darum, dass sich die EU-feindliche Massenstimmung weiter entwickelt und radikalisiert. Wahlboykott.