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„Als Iraker den Irak befreien“

11. Juni 2004

Interview mit dem Journalisten Gerhard Tuschla über seinen Irak-Aufenthalt im April 2004

Du warst im letzten Jahr mehrere Male im Irak. Wie hat sich für dich die Situation zwischen Herbst 2003 und Frühjahr 2004 verändert?
Jetzt ist es so, dass kein Mensch im Irak die Amerikaner mehr will. Kein Mensch mehr schenkt ihren Lügen Glauben. Ursprünglich erwarteten 30% der Iraker Positives von den Amerikanern, im Juli 2003 waren es ca. 10%, im September 2003 praktisch 0%. Es heißt: „Verschwindet! Ihr seid nur da, um unser Land auszubeuten!“ Heute gehören brennende amerikanische Panzer zur täglichen Realität. Der Freiheitskampf des irakischen Volkes hat sich zu einem Guerrillakampf entwickelt, der von immer mehr Gruppen getragen wird, der alle Bevölkerungsschichten erfasst. Im Gegensatz zur Situation vor ein paar Monaten ist der Kampf jetzt allerdings weniger organisiert und koordiniert, weil es einen unerwartet großen Zustrom von Kämpfern wegen der Ereignisse in den letzten Monaten gegeben hat.
Wer sind diese Kämpfer? Die amerikanische Propaganda versucht ja nach wie vor, den Widerstand des irakischen Volkes als Werk von „eingeschleusten Terroristen“ zu diffamieren.
Meinen Erfahrungen nach ist für die Iraker das zentrale Anliegen, als Iraker den Irak zu befreien. Der national-islamische Widerstand rekrutiert keine ausländischen Kämpfer, um die Selbstständigkeit zu wahren, und auch aus Angst vor Unterwanderung. Für den radikalen islamistischen Widerstand unter der Führung von Muqtada al-Sadr kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. In ihren Reihen könnten auch nicht-irakische Kämpfer sein.
Was ist jetzt die dringlichste Aufgabe der Widerstandsfront?
Die politische Koordination. So stark der Widerstand heute auch ist, er ist noch nicht der Embryo einer Gegenmacht.
Im November noch arbeiteten Zellen von zehn bis fünfzehn Kämpfern, wobei es in einer Stadt ca. zehn Zellen gab, und vier Städte zusammen unterstanden einem gemeinsamen Kommando. Das war eine wirkungsvolle Struktur im ganzen Land. Jetzt gibt es durch die Zunahme an Kämpfern neue Zellen, die nur lokal operieren und ihre Operationen nicht abstimmen. Die politische Koordination all dieser Aktionen ist eine dringliche Aufgabe.
Wichtig ist auch der Kampf an der politischen Front mit der Herausgabe einer wöchentlichen Zeitung. „Muqawama“ (Widerstand), das Organ der Irakischen Patriotischen Allianz, ist bis jetzt in einer Auflage von je 3000 Stück sechsmal erschienen. Natürlich versuchen die amerikanischen Besatzer diese legale politische Arbeit zu unterbinden. So haben sie zum Beispiel die 3000 Stück der zweiten Auflage vollständig aufgekauft, damit sie nicht von den Irakern gelesen werden.
Wie ist es zu den Aufständen in den schiitischen Gebieten gekommen? Wie unterscheidet sich der schiitische und der sunnitische Widerstand? Gibt es hier Zusammenarbeit?
Der Aufstand in den schiitischen Gebieten wie in Karbala oder im ehemaligen Madinat Saddam in Bagdad unter dem Einfluss von Muqtada al-Sadr ist radikal religiös bedingt. Wie genau die Zusammenarbeit jetzt ausschaut entzieht sich meiner Kenntnis, aber im November hat es die Zusammenarbeit gegeben. Abduljabbar al-Kubaysi von der IPA, die für eine starke, geeinte Widerstandsfront arbeitet, fürchtet allerdings, dass ein extrem islamistisch orientierter Aufstand dem eingeschlagenen Weg der vereinigten Widerstandsfront schaden könnte.
Du warst zur Zeit der heftigen Kämpfe in Falluja. Was sind deine Erfahrungen?
In Falluja halten 99,9% der Menschen zusammen. Sie sind die Rà©sistance, ein geeinter Widerstand, der nicht gebrochen werden kann. Die Ermordung der Söldner war für die Amerikaner nur ein Vorwand um gegen den Widerstand in Falluja massiv vorgehen zu können. Sie töteten an die 700 Zivilisten, darunter an die 150 Kinder und ebenso viele Frauen, die durch Kopfschüsse ermordet wurden. Laut Berichten von Ärzten wurden Verletzte noch im Krankenhaus von amerikanischen Soldaten getötet. Das war ihr Massaker, aber den Widerstand konnten sie nicht brechen. Der militärische Teil zog sich mit den Waffen zurück. Und als die Amerikaner irakische Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung nach Falluja schickten, wollten sie ihr Gesicht retten. Da machte ihnen der General, der in der Saddam Uniform nach Falluja ging, wohl einen Strich durch die Rechnung.
Eine letzte Frage: Wie leben die Menschen im besetzten Irak?
Denkbar schlecht bei 80% Arbeitslosigkeit. Die Lebensbedingungen haben sich negativ entwickelt. Insgesamt sind die Preise für Lebensmittel sehr gestiegen, zum Beispiel für Fleisch um 10%. Bis Juni 2004 läuft das Versorgungsprogramm der Uno noch. Deswegen und wegen des starken Zusammenhalts der Familien, wo gegenseitige Hilfe selbstverständlich ist, müssen die Menschen nicht hungern.

Das Gespräch führte Elisabeth Lindner-Riegler

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