Über die fortschreitende Entdemokratisierung der EU und den Kampf um Meinungsfreiheit
Als Teil der internationalen Kampagne gegen die Repressionswelle vom 1. April 2004 fand in Perugia Mitte April ein fünftägiger Hungerstreik statt. In der zentralen Fußgängerzone wurde ein käfigartiges Zelt aufgestellt, mit dem symbolisch an die verabscheuungswürdigen Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba erinnert werden sollte. Unter den Hungerstreikenden befanden sich u.a. auch Bettina Eckert von Ini…tia…tiv e.V. aus Deutschland, Angelika Hipfinger und Sonja Hinsch von der österreichischen Sektion der Antiimperialistischen Koordination. Nach ihrer Rückkehr wurden sie von der Intifada-Redaktion befragt.
Was ist die Vorgeschichte zu diesem Hungerstreik?
Am ersten April wurden in einigen europäischen Ländern und der Türkei zeitgleich Razzien durchgeführt. Dabei wurden zahlreiche Personen vorübergehend festgenommen, in Italien waren allerdings bis letzte Woche immer noch fünf Personen inhaftiert.
Was die Razzien in der Türkei angeht, wurden primär Vereine durchsucht, die sich aktiv an der Umsetzung demokratischer Rechte in der Türkei beteiligen. Die Türkei stellt immer noch eine Militärdiktatur dar, in der u.a. Oppositionelle eingesperrt werden. Diese Gruppen waren gleichzeitig auch diejenigen, die sich an der Organisation der Nato-Gegengipfel beteiligten.
In Italien, auf dessen Anfrage hin die europaweite Aktion durchgeführt wurde, wurden die drei Mitglieder der Antiimperialistischen Koordination, Moreno Pasquinelli, Maria Grazia Ardizzone und Alessia Monteverdi, und zwei SympathisantInnen der DHKC, Avni Er und Zeynep Kilià§, inhaftiert. Die Anklage gegen Avni und Zeynep lautet „Handlungen in Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten“, jene gegen die drei Mitglieder der Antiimperialistischen Koordination „Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Organisation“.
Das Ziel dieser Operation waren die Diffamierung und Kriminalisierung von Organisationen, die sich öffentlich gegen den Abbau demokratischer Grundrechte und gegen den Kriegszustand äußern – wie es auch die Antiimperialistische Koordination getan hat.
Mit infamen Lügen und Konstrukten wird nun schon seit längerem versucht eine demokratische und konsequente Antikriegshaltung als „terroristisch“ zu bezeichnen, damit nicht auffällt, wer in Wirklichkeit die Terroristen sind: der amerikanische und europäische Imperialismus und ihre Kriegspolitik. Wochenlange Bombardierungen, eine völkerrechtswidrige Besatzung, Massakrierungen der irakischen Bevölkerung und die Militärdiktatur in der Türkei – das ist „Demokratie“. Demonstrationen gegen Krieg und Besatzung, Proteste von demokratischen Vereinen gegen die Militärdiktatur in der Türkei – das ist „Terrorismus“. Und die Erde ist eine Scheibe. Durch die unglaublichen Lügenkonstrukte der Terrorismusbeschuldigung kann in der Europäischen Union ein Prozess der Entdemokratisierung in unschätzbarem Ausmaß vorbereitet werden. Demokratische Rechte wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit werden beschnitten, im Gefangenensystem werden demokratische Rechte abgebaut. Und dies steht sicherlich erst am Anfang einer noch breiter angelegten Kampagne.
Allerdings wurde in Italien durch diese Operation und die folgenden Anklagepunkte gegen die Inhaftierten eine Debatte eröffnet, die die Glaubwürdigkeit der Staatsanwaltschaft bzw. der Anklageschrift anzweifelt. Auch auf parlamentarischer Ebene gab es Reaktionen, denn einige Abgeordnete haben parlamentarische Anfragen gestellt, die eine Überprüfung der Vorkommnisse in diesem Fall fordern.
Um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die ungerechtfertigten Verhaftungen zu lenken, haben wir uns für die demokratische Protestform des Hungerstreiks entschieden. In diesem Zusammenhang sollte aber auch erwähnt werden, dass einer der Gefangenen (Moreno Pasquinelli) während der Isolationshaft, die über alle fünf verhängt wurde, in den Hungerstreik getreten ist, um gegen diese Maßnahme zu protestieren.
Wieso hat diese Aktion letzte Woche stattgefunden, die Gefangenen waren doch bereits seit drei Wochen inhaftiert?
Freitag letzter Woche war der Tag der Haftprüfung vor dem zuständigen Ausschuss. Dieser Termin wurde ins Auge gefasst, um die Öffentlichkeit über die unglaublichen Verstöße gegen den Rechtsstaat, die in diesem Fall geschehen, zu informieren. Selbstverständlich vertraten wir auch unsere ablehnende Haltung gegenüber der Weltpolitik der US-amerikanischen Regierung und ihrer Verbündeten.
In der Innenstadt von Perugia (Umbrien) wurde ein Zelt aufgebaut, das mit Transparenten und Fahnen ausgestattet wurde. Es gab einen Büchertisch und einen kreativen Nachbau von Zellen des Guantánamo-Gefängnisses auf dem amerikanischen Militärstützpunkt auf Kuba, womit die menschenverachtende Behandlung in diesem Gefangenenlager veranschaulicht werden sollte.
In welchem Bezug steht Guantánamo zu den Verhafteten bzw. zu deren Fall?
Der Zusammenhang besteht darin, dass den Angeklagten Unterstützung des internationalen Terrorismus vorgeworfen wird. In Guantánamo werden ebenfalls angebliche Terroristen festgehalten, wobei das Wort TerroristIn in der heutigen Zeit als Synonym für WiderstandskämpferInnen gegen die Logik der Unterdrückung, Unterwerfung und Ausbeutung nach amerikanischen Vorgaben verwendet wird.
Hier muss auch die „Schwarze Liste“ erwähnt werden. Auf dieser Liste werden Gruppen und Organisationen aufgeführt, die sich nicht dem neoliberalen und imperialistischen System beugen wollen, und auch dazu aufrufen sich diesem zu widersetzen. Dabei ist es völlig egal, welche Herkunft die Organisation im Speziellen hat, also ob religiös oder politisch. Vor einigen Jahren wurde in Europa die so genannte „Schwarze Liste“ verabschiedet. Diese Liste illegalisiert, dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgend, Organisationen, die sich im Kampf gegen die westliche Weltordnung befinden. Mit den Verhaftungen vom 1. April zeigt die Europäische Union eine weiteres Mal, dass demokratische und antiimperialistische Kräfte, die sich u.a. gegen die Militärdiktatur in der Türkei und die völkerrechtswidrige Besatzung im Irak richten, kriminalisiert werden.
Was geschah am Tag der Haftprüfung?
An diesem Tag versammelten wir uns mit rund sechzig Menschen vor dem Gefängnis in Perugia. Wir riefen Slogans für die Gefangenen und ließen sie wissen, dass wir sie nicht vergessen haben, und dass wir trotz der schikanösen Verlegung des Termins vom Gericht ins Gefängnis da waren. Die Gefangenen wurden also von uns empfangen und nach der Anhörung im Gericht wieder von uns verabschiedet.
Am folgenden Tag wurden die Ergebnisse des Ausschusses bekannt gegeben. Die drei ItalienerInnen wurden haftverschont, die beiden anderen Personen werden allerdings weiterhin in Haft gehalten. Bei einer der beiden Gefangenen wurden übrigens Verfahrensfehler während der Verhaftung kritisiert. Sie wusste bis zur Anhörung nicht, wessen sie angeklagt ist. Zu einem Prozess kommt es in allen fünf Fällen.
Das Gespräch führte Margarethe Berger