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Folter für Menschenrechte

11. Juni 2004

Völkerrecht und Meinungsfreiheit als Opfer des „Anti-Terror-Krieges

Die Folterfotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib gingen um die Welt und lösten einen Skandal aus. Abu Ghraib potenzierte die Bedeutung von Guantánamo, machte es der Öffentlichkeit im Westen unmöglich den Kopf weiterhin in den Sand zu stecken. Doch Abu Ghraib ist nur die Spitze des Eisbergs. Was darunter vorgeht, weitgehend abseits der großen Medien, ist der Abbau jener Rechtsnormen und demokratischer Grundrechte, die der Westen zu verteidigen vorgibt. Dieser Demokratieabbau findet auch im Westen selbst statt.
Die Gräuel von Abu Ghraib und Guantánamo
Die Fotos von Abu Ghraib belegen, unabhängig davon, welche Personen letztendlich zur Verantwortung gezogen werden, dass die US-Besatzung zum Mittel der Folterung wehrloser irakischer Gefangener greift. Wie systematisch diese Folterungen erfolgten, ob sie ausschließlich dem Zweck des Gefügigmachens der Inhaftierten, oder auch schlicht der Erniedrigung mit erhoffter Breitenwirksamkeit dienten, ist bis dato nicht geklärt. Die Wahrscheinlichkeit spricht allerdings gegen die Annahme von EinzeltäterInnen aus den niedrigen Diensträngen, sondern deutet vielmehr auf Verantwortlichkeiten der höheren Grade und des US-Geheimdienstes hin. Von Bedeutung ist auch die Rolle der sogenannten „Contractors“, also von Angestellten privater Dienstleistungsbetriebe wie der US-amerikanischen Firmen Caci oder Titan, die im Auftrag der US-Armee als „Befrager“ oder „Übersetzer“ in den irakischen Gefängnissen arbeiten. Sie unterstehen nicht dem Kodex der Militärjustiz und bis heute ist unklar, ob sie sich an die Vorschriften der Militärs halten müssen.
Auch im Gefangenenlager im US-Stützpunkt Guantánamo auf Kuba sind nach Angaben der US-Armee dreißig „Contractors“ beschäftigt. Auch die Fotos aus Guantánamo zeigen Zustände, die sich zweifellos nicht im Rahmen der Genfer Konventionen bewegen. Der rechtliche Status der dort schon mehr als zwei Jahre Inhaftierten ist bis heute nicht geklärt. Um ihnen die Rechte von Kriegsgefangenen verweigern zu können, werden sie von der US-Militärbehörde als „feindliche Kämpfer“ bezeichnet. Das impliziert die Unmöglichkeit zu andernfalls sowohl in den USA als auch international garantierten Rechtsmitteln der Verteidigung zu greifen.
Sprachen schon die Bilder aus Guantánamo eine deutliche Sprache, so ist es der westlichen Medienöffentlichkeit spätestens seit den Fotos aus Abu Ghraib unmöglich, die Augen weiter zu verschließen. Die Botschaft der Fotos ist unmissverständlich. Ihre Sprengkraft liegt in ihrem Symbolgehalt: Der Widerspruch zwischen propagiertem Anspruch der US-Ideologie und der Realität der US-Außenpolitik könnte kaum klarer ausgedrückt werden. Wer Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen vorgibt, bedient sich der systematischen Folter und Erniedrigung wehrloser Menschen.
Abu Ghraib hat dem demokratischen Selbstverständnis der USA und ihrer westlichen Verbündeten einen schweren Schlag versetzt. Derartige Praktiken, so heißt es, seien mit amerikanischen Werten unvereinbar. Doch tatsächlich wird im Zuge des vermeintlichen Kriegs gegen den Terror die Untergrabung internationaler Rechtsnormen und der Abbau demokratischer Grundrechte viel stärker, breiter und tiefergehender betrieben, als dies gemeinhin wahrgenommen wird. Abu Ghraib ist nur die Spitze eines Eisbergs. Abseits der Medienaufmerksamkeit sind davon auch längst die westlichen Gesellschaften selbst betroffen.
Krieg nach außen
Der Krieg nach außen ist mit einem Krieg nach innen verbunden. Beide unterhöhlen das, was sie zu verteidigen vorgeben. In Konzeption und Ausführung missachtet der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus die Normen des Völkerrechts und legt damit die Grundlage für dessen allmähliche Unterhöhlung und Delegitimierung. Die Aggressionsschläge gegen Afghanistan und den Irak wurden bar jeder Rechtsgrundlage ausgeführte, denn das Völkerrecht erlaubt Angriffskriege nur im Bedrohungsfall. Der Propagandafeldzug, der die militärische Besatzung des Irak als dessen Befreiung und jene Palästinas als israelisches Sicherheitsbedürfnis rechtfertigt, soll vergessen machen, dass laut geltendem Völkerrecht Widerstand – auch bewaffneter – von Seiten der Bevölkerung eines besetzen Landes rechtens ist. Hingegen wird dieser Widerstand samt und sonders in die Kategorie des Terrorismus verwiesen. Auch die Bestrebungen der besetzten Völker des Irak und Palästinas nach Selbstbestimmung – ein weiteres international verbrieftes Recht – erfahren sukzessive eine mediale Neudefinition: Was einst legitimes Ansinnen nach Freiheit von Besatzung war, ist jetzt terroristischer Hass. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die das Völkerrecht klar verbietet, bisweilen auch als Kriegsverbrechen einstuft. Dazu zählen Kollektivstrafen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete, Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, Verweigerung medizinischer Versorgung, Häuserzerstörungen, Landnahme, Aussiedlungen – die Liste ist lang. All diese Maßnahmen wendet die israelische Armee gegen die palästinensische Bevölkerung an. Sanktionen der sogenannten internationalen Gemeinschaft musste sie jedoch noch nie befürchten. Im Gegenteil, im Kampf um die mediale Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Westen gelingt es der israelischen Politik immer mehr, die angestrebte Darstellung dieser Maßnahmen als legitime Mittel zur Verteidigung legitimer israelischer Sicherheitsinteressen auch durchzusetzen.
Krieg nach innen
Der Krieg nach innen, also der rapide Abbau demokratischer Grundrechte in den westlichen Gesellschaften selbst, findet unter noch geringerer Medienaufmerksamkeit statt als der verzweifelte Überlebenskampf der unterdrückten Völker. Grund dafür ist die Tatsache, dass sich die Repressionswut der „Terrorjäger“ bislang nur gegen Randgruppen der westlichen Bevölkerungen gerichtet hat. Arabische und muslimische Menschen in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen europäischen Ländern, sind insbesondere seit dem 11. September 2001 vermehrt Opfer von polizeilicher Verfolgung ohne rechtliche Grundlage, von Verweigerung demokratischer Grundrechte bis hin zur Internierung in fragwürdigen Lagern (so geschehen in Großbritannien), ganz abgesehen vom stetig anwachsenden und medial geschürten Alltagsrassismus.
Auf Gesetzesebene bedeutete die Einführung von Listen angeblich terroristischer Organisationen oder Individuen eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit und Freiheit der politischen Organisation. Die USA und die Europäische Union führen solche Listen, wobei die europäische juristisch auf wackeligen Beinen steht. Tatsächlich gibt es bislang in keinem europäischen Staat eine Rechtsgrundlage für eine derartige Liste, weshalb sie bis dato auch nur von der Europäischen Kommission geführt wird. Diese wiederum ist in dieser Angelegenheit dem Europäischen Parlament nicht weisungsgebunden. Damit entzieht sich diese Form europäischer „Anti-Terror-Politik“ jedweder zumindest potenziellen demokratischen Kontrolle durch die europäischen Bevölkerungen.
Ebenso fragwürdig wie die Rechtsgrundlage der Schwarzen Listen ist auch ihr Inhalt. Das Gros der aufgelisteten Organisationen sind Befreiungsbewegungen unterdrückter Völker aus der Dritten Welt, wie etwa die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Nachfolgeorganisationen der kurdischen PKK, die Revolutionäre Volksbefreiungsfront aus der Türkei (DHKC-P) oder die Kolumbianischen Revolutionären Volksbefreiungskräfte (FARC). Stellte es das demokratische Selbstverständnis der europäischen Länder in den vergangenen Jahrzehnten außer Frage diese Bewegungen als terroristisch zu bezeichnen, geschweige denn ihre Mitglieder zu verfolgen, im Gegenteil gewährte es vielen von ihnen eine gewisse Sympathie für ihre Anliegen, so hat Bush´ Krieg gegen den Terror hier eine Kehrtwende eingeläutet. Der Kampf dieser Völker gegen Unterdrückung und Rechtlosigkeit gilt nicht mehr als legitim, weil er, wenn nicht ausschließlich, so doch auch mit der Waffe in der Hand durchgeführt wird. Geltendes Völkerrecht zieht gegen westliche Machtinteressen den Kürzeren.
Doch nicht nur die Befreiungsbewegungen selbst, auch deren politische Unterstützung ist den westlichen Gesellschaften bereits Anlass zur Verfolgung – den demokratischen Grundrechten jeder bürgerlichen Demokratie zum Trotz. Ein Beispiel dafür ist die Welle polizeilicher Repression, mit der Anfang April auf europäischem Niveau gegen vermeintliche Mitglieder der DHKP-C sowie gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Antiimperialistischen Koordination vorgegangen wurde. Während den vermeintlichen Mitgliedern der DHKP-C Terrorismus vorgeworfen wird, lautet die Anklage gegen die italienischen Antiimperialisten auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sowie Unterstützung derselben. In der Türkei hält seit dem Putsch 1980 das Militär die Zügel in der Hand und foltert nach wie vor Tausende von politischen Häftlingen in seinen Gefängnissen. Die politische und menschliche Solidarität mit Dissidenten dieses Regimes, die in der Türkei verfolgt werden und das Land verlassen mussten, stand für die italienischen Antiimperialisten außer Frage. Dass sie zusätzlich durch hartnäckiges Engagement in Solidarität mit dem irakischen Widerstand von sich hören machten, war anscheinend vor dem Hintergrund des „Anti-Terror-Krieges“ nach innen Anlass genug, sie zu verhaften und tagelang in Isolationshaft zu belassen. In der Türkei wurden im Zuge dieser konzertierten europäischen Anti-Terror-Aktion Dutzende von Aktivisten von legalen Kultur- und Menschenrechtsvereinen bzw. regimekritischen Medien inhaftiert, ihre Büros durchsucht und verwüstet.
Dieser Fall zeigt, wie dünn inzwischen der Boden der Rechtsstaatlichkeit auch in den europäischen Ländern geworden ist. Die demokratischen Grundrechte des Individuums wie Meinungsfreiheit, Organisations- und Religionsfreiheit, werden als politisch-rechtliche Grundlage der westlichen Staaten und ideologisch-kultureller Stolz ihrer Geistestradition angesehen, doch sie werden im Notfall beiseite geräumt, wenn es darum geht, den Machtanspruch der westlichen Gesellschaften zu verteidigen.
Stachel im Fleisch
Der „Anti-Terror-Krieg“ nach außen hat in den vergangenen beiden Jahren in erster Linie dazu gedient, die Kollateralschäden der imperialistischen Globalisierung zu befrieden. Unliebsame Regime wie das afghanische und das irakische mussten hinweg gefegt werden, um den unumschränkten Herrschaftsanspruch der US-amerikanischen Weltmacht zu befestigen. Doch die Gewalt und Erniedrigung, die dieser Anti-Terror-Krieg für viele Völker der Welt bedeutet, hat zu einer Zuspitzung und Radikalisierung der Gegensätze geführt. Die selbsternannten Befreier sind in der arabisch-islamischen Welt so verhasst wie noch nie zuvor.
Hingegen war der Terrorkrieg nach innen bislang weitaus erfolgreicher. Auch wenn die Ablehnung der US-Aggression gegen den Irak in den europäischen Gesellschaften und selbst in den USA breit war, so wurde die westliche Politik und Vorherrschaft insgesamt nicht in Frage gestellt. Die Folterszenen aus Abu Ghraib sind hier ein merklicher Störfaktor. Das amerikanische Selbstverständnis, das sich als Inbegriff einer demokratischen Gesellschaft mit soliden humanitären Grundwerten ansieht, ist merklich angekratzt. Insofern bleibt zu hoffen, dass der Terrorkrieg nach innen, der Abbau demokratischer Grundrechte, der Angriff auf Meinungsfreiheit, die Einschränkung politischer Organisationsfreiheit, die selbe Ablehnung erfährt wie der nach außen.

Margarethe Berger

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