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Kurzmeldungen

11. Juni 2004

Alltag in Nahost

„Operation Regenbogen“
Am 11. Mai 2004 waren elf israelische Besatzungssoldaten in Gaza-Stadt von palästinensischen Widerstandskämpfern getötet worden. Die Besatzungstruppen hatten zuvor mehrere Werkstätten und eine Spielzeugfabrik zerstört. Danach belegte die israelische Armee die Stadt zwölf Stunden lang mit Feuer aus Maschinengewehren, Panzern und von Hubschraubern aus. 88 Palästinenser wurden verletzt, 14 davon lebensgefährlich, darunter viele Kinder.
Anschließend griffen die Besatzungstruppen das Flüchtlingslager Rafah an der Grenze zu Ägypten an. Angeblich wollte die Armee Tunnel zerstören, über die Waffen aus Ägypten nach Palästina geschmuggelt werden. Tatsächlich wurden jedoch vor allem die beiden recht ruhigen Viertel Tell al-Sultan und Brazil angegriffen; die militanteren Viertel wie al-Shabura, Block O und Yibna wurden verschont – oder fürchteten die Besatzer den Widerstand dort?
Nur wenige Kämpfer von Hamas und Jihad wurden getötet, die Viertel an der Grenze zu Ägypten wurden nicht „gesichert“. Das Gerede vom „Rückzug aus Gaza“ erweist sich als eine weitere phantastische Lüge des Schlächters Sharon.
Der einzige Holocaust-Überlebende im israelischen Kabinett, Justizminister Josef Lapid, sagte nach Berichten israelischer Medien: „Ich sah im Fernsehen, wie eine alte Frau die Trümmer ihres Hauses in Rafah nach ihren Medikamenten durchsuchte. Sie erinnerte mich an meine Großmutter, die während des Holocausts aus ihrem Haus vertrieben wurde.“
Die Armee verhängte eine Ausgangssperre, schoss ohne Vorwarnung auf alles, was sich bewegte und Bulldozer begannen teilweise ohne Vorwarnung, Häuser einzureißen, in denen sich noch Menschen aufhielten. Ein Panzer schoss in eine friedliche Demonstration und tötete mindestens zehn Menschen, darunter mehrere Kinder.
Die vorläufige Bilanz des Massakers: über vierzig getötete Palästinenser, die meisten davon unbewaffnet; Hunderte Verletzte; Dutzende zerstörte Häuser, 4.000 Obdachlose.
In Tel Aviv und anderswo geht das Leben – dank der großzügigen Unterstützung durch die USA und dank der EU, Israels größtem Außenhandelspartner – normal weiter.
Quellen: Jerusalem Post, Ha´aretz, Guardian, UNRWA

Fernsehanstalt als Straßenräuber
Rashut ha-Shiddur, die staatliche israelische Rundfunk- und Fernsehanstalt, errichtete kürzlich Straßensperren im israelisch besetzten Ostjerusalem und in Galiläa und konfiszierte Personalausweise und Führerscheine von PalästinenserInnen mit israelischer Staatsbürgerschaft. Auch nach israelischen Gesetzen handelt es sich um eine absolut illegale Vorgangsweise. Selbst das Kontrollieren von Ausweisen ist der Rundfunkbehörde nicht gestattet.
Den Beraubten wurde mitgeteilt, dass sie ihre Dokumente zurück erhalten würden, wenn sie ihre ausständigen Rundfunkgebühren begleichen würden. Rashut ha-Shiddur ist derzeit noch immer im Besitz einiger Dutzend auf diese Art und Weise geraubten Dokumente.
Die Anstalt gab in einer Erklärung zu, Menschen zur Herausgabe ihrer Dokumente zu nötigen, behauptete jedoch, keine Ausweise zu „konfiszieren“: Die Besitzer der Dokumente seien während der Kontrolle „geflohen“ und hätten ihre Ausweise zurückgelassen.
Die Tageszeitung Ha´aretz berichtete, dass Rashut ha-Shiddur seit Jahren diese illegalen Straßensperren betreibt und auf diese Weise zig-Millionen Shekel erpresste. Der Löwenanteil der Beute stammt von Menschen, die gar keinen Fernseh- oder Radioapparat registriert hatten. Rashut ha-Shiddur versieht die PalästinenserInnen an den Straßensperren „spontan“ mit Schulden – angeblich ausständige Beiträge von bis zu sieben Jahren – und droht mit der sofortigen Konfiszierung ihrer Fahrzeuge.
Die Straßensperren des rabiaten Radios sind nach wie vor aufrecht, die Maßnahme gegen die israelischen Staatsbürger zweiter Klasse wird von der paramilitärischen israelischen Grenzpolizei unterstützt – in offener Verletzung bestehender Gesetze des Staates Israel.
Quelle: Ha´aretz

Enteignungen in Ostjerusalem
Am 29. April brach die israelische Polizei und Armee in das Cliff Hotel in Abu Dis im Westjordanland bei Ostjerusalem ein. Seitdem wird den Besitzern, acht Geschwistern der Familie Ayyad, der Zutritt zu ihrem Eigentum verweigert. Die gewaltsame Aktion ist der Höhepunkt eines kafkaesken juristischen Verfahrens.
Der Staat Israel konfiszierte das Land und das Hotel der Familie auf Grundlage eines Gesetzes, dass die Enteignung von „Abwesenden“ ermöglicht. Dieses Gesetz diente dem Staat Israel zur Enteignung des Großteils palästinensischen Grundbesitzes. Der Prozess um das Cliff Hotel zeigt die Absurdität dieser Verfahren.
Seit dem Bau der Apartheidmauer in Ostjerusalem lebt die Familie Ayyad getrennt von ihrem Hotel, doch nur einige Dutzend Meter entfernt – das reichte dem Staat, um sie als „Abwesende“ zu enteignen: Die Mauer wurde auf dem Land der Familie gebaut, der Familie wurde der Zutritt verweigert und anschließend wurden sie als „Abwesende“ enteignet!
Vom Hotel aus überblickt man das palästinensische Parlamentsgebäude und es gilt der israelischen Armee daher als strategischer Punkt.
Das Hotel hat dreißig Zimmer und die Familie renovierte es unlängst um umgerechnet 300.000 Euro. Nun wird es von der israelischen Armee als Basis missbraucht.
Quellen: Aheret/Aher, Jerusalem Times

Intifada in Zahlen
28. September 2000 bis 1. März 2004

2.859 getötete PalästinenserInnen, davon
527 Kinder unter 18 Jahren (19%)
1.728 durch scharfe Munition
308 Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, davon
152 „unabsichtlich“ getroffene Passanten und
35 Kinder

>41.000 verletzte PalästinenserInnen, davon
7.000 Kinder, davon 2.500 am Schulweg
16.000 Schwerverletzte

25 Ärzte, Krankenpfleger und Rettungsfahrer im Dienst getötet
425 verletzt
121 Rettungsautos angegriffen und beschädigt
36 Rettungsautos völlig zerstört
85 Tote aufgrund von aufgehaltenen Rettungsautos

12 Journalisten von der Armee getötet
295 verletzt
5 palästinensische Journalisten in israelischer Administrativhaft (Gefängnisstrafe ohne Gerichtsverfahren)

6.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, davon
1.700 in Administrativhaft
350 palästinensische Kinder in israelischen Gefängnissen, davon
30 in Administrativhaft

Unzählige Fälle von Folter und Verweigerung medizinischer Versorgung in israelischen Gefängnissen
Quellen: B´Tselem, Palestinian Center for Human Rights, UNO-Menschenrechtskommission, Palästinensischer Roter Halbmond, LAW Society, al-Haq, BBC, Unicef

Kontroverses Denkmal in Melbourne
Zionistische Organisationen in Australien protestierten gegen ein Denkmal, das die israelische Politik kritisiert.
Vor einer Mauer mit dem Bild einer israelischen Flagge ist ein Text angebracht: „Seit der Gründung des Staates Israel 1948 wurden 200.000 Palästinenser getötet, 5.000.000 wurden zu Flüchtlingen, 21.000 Quadratkilometer Land wurden annektiert, 385 Dörfer und Städte wurden zerstört, 300 Milliarden Dollar wurden für das Militär ausgegeben, über 100 Massenvernichtungswaffen wurden hergestellt, 65 Uno-Resolutionen wurden ignoriert.“
Ted Lapkin, Vertreter einer zionistischen Gruppe, sagte, das Denkmal fördere anti-israelische Ansichten.
Quelle: Ha´aretz

Auswirkungen der Mauer auf Jerusalem
Der Bau der Apartheidmauer hat auch auf die PalästinenserInnen, die in Ostjerusalem leben, erhebliche Auswirkungen. Israel eroberte Ostjerusalem 1967 und annektierte das Gebiet. In den letzten Jahrzehnten entzog das Regime vielen die Berechtigung, sich in ihrer Heimatstadt aufzuhalten. Derzeit leben nach Angaben der israelischen Regierung 60.000 bis 90.000 PalästinenserInnen mit israelischen Personalausweisen in den Teilen von Ostjerusalem, die nach dem Mauerbau vom Rest der Stadt abgeschnitten werden.
Die Mauer in Ostjerusalem ist fast fertig gestellt. Sie verläuft durch dicht verbautes Gebiet. Acht Meter hohe Betonelemente werden in die engen Gassen gestellt, Hunderte Häuser enteignet und zerstört. Der Verlauf wurde so gewählt, dass israelische Siedlungen innerhalb der Mauer, palästinensische Stadteile aber möglichst außerhalb der Mauer zu liegen kommen.
Rund 5.000 Schulkinder werden täglich versuchen müssen die Mauer zu überwinden, um zur Schule zu gelangen. 750.000 Einwohner von Jerusalem werden durch die Mauer ohne Zugang zu Spitälern leben. Hunderttausende werden von ihren Arbeitsplätzen abgeschnitten.
Quelle: Ha´aretz

Georg Kreisel

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