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Kommentar zu den Europa-Wahlen

24. Juni 2004

1. Erstes Ergebnis der Europa Wahlen in Österreich ist die noch einmal gefallene Wahlbeteiligung. Diese ist freilich nicht in erster Linie Zeichen einer grundsätzlichen Opposition gegenüber dem EU-Projekt der Militarisierung und des Sozialabbaus, wohl aber ein Zeichen für Desinteresse und Misstrauen. Es bestätigt einmal mehr, dass das Europa der herrschenden Eliten von breiten Teilen der Bevölkerung (den Unterklassen zuvorderst), mit Skepsis aufgenommen wird. Die Wahlabstinenz ist kein offener und aktiver Widerstand, drückt aber sehr wohl passive Ablehnung aus: Diejenigen die aus dem politischen System zunehmend herausgedrängt werden, versagen ihm in der Folge auch die Legitimation per Stimmzettel. Ein günstiges Zeichen: Tatsächlich ist jede Stimme für das Brüsseler Scheinparlament eine zuviel. (Die Bezeichnung Parlament ist verfehlt, weil darunter normalerweise eine gesetzgebende Versammlung verstanden wird. Das Europaparlament dient aber einzig der Inszenierung einer angeblichen „europäischen“ Demokratie und hat kaum reale Befugnisse.)

2. Ein weiteres Ergebnis ist der fortgeschrittene Zusammenbruch der FPÖ, ohne dass deswegen der Populismus in Österreich begraben wäre – in Gestalt des (vorsichtig) linkspopulistischen Hans-Peter Martin hat er sogar ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Dabei konnte die Liste Martin vor allem ehemalige FPÖ-Wähler anziehen. Diese Verschiebung von der FPÖ zu Hans-Peter Martin, , zeigt einmal mehr den Charakter des größten Teils der ehemaligen FPÖ-Wähler, erzählt einiges über das Wesen des Populismus. Ohne Kaltenegger mit Martin vergleichen zu wollen: auch der Grazer KPÖ ist es gelungen zahlreiche FPÖ-Stimmen zu gewinnen.
Der Populismus ist grundsätzlich kein Phänomen, dass einfach der historischen Rechten oder der historischen Linken zugeordnet werden könnte, sondern transversal zu diesen Formationen steht und von einer tiefen Ambivalenz gekennzeichnet ist. Bei der FPÖ und ihrer Klientel (zumindest wenn man die Deutschnationalen beiseite lässt) beobachten wir die Verteidigung der nationalen Souveränität und Identität gegen die Globalisierung, diffusen Widerstand gegen soziale Angriffe, aber auch Rassismus, mit dem die eigene Position gegen jene verteidigt werden soll, die noch tiefer stehen, sowie klassisch rechtsliberale „law and order“ Rhetorik. Zorn gegen „Bonzen und Privilegien“, der einerseits Protest gegen die herrschenden Eliten transportiert, auf der anderen Seite aber auch ein Element des autoritären Angriffs auf die repräsentative Demokratie enthält. (Dieses zweite Gegensatzpaar des Populismus wird übrigens auch von Hans-Peter Martin idealtypisch vertreten). Immer enthält der Populismus (gleich welcher Prägung) Elemente des sozialen Protestes der Unterklassen. Auch in diesem FPÖ Wahlkampf kombinierten sich inhaltlich völlig richtige Plakate gegen die europäische Beteiligung an der Besatzung des Iraks mit „Vaterlandsverräter“ Geschrei.
An der Macht vergrößert sich die natürliche Instabilität des Populismus noch weiter. Es ist kein Wunder, dass die FPÖ durch die Regierungsbeteiligung zerrieben wird, während die ÖVP insgesamt davon profitiert hat. In jedem Fall verkörpert der Populismus ein Element der Instabilität, während sich die historische Linke und die historische Rechte zu zwei Polen einer liberalen Einheitspartei gewandelt haben.
In diesem Zusammenhang ist es übrigens ein völliger Irrglaube, dass Mölzer, Stadler, Strache und die Gudenus-Sippe den populistischen Charakter der FPÖ wiederbeleben könnten. Im Gegenteil: Ihr Projekt würde die FPÖ von transversalen Populismus in eine rechtsradikale und deutschnationale Sekte rückverwandeln. Mit diesem widerlichen Blödsinn ist in Österreich seit den 60er Jahren keine Politik mehr zu machen, allerhöchstens kann man das Bedürfnis nach Identität einer aussterbenden Klientel befriedigen – was in dieser Form von Mölzer sogar zugegeben wird: Das „3. Lager“ möchte er bewahren. Es geht um Identität, nicht um Politik.

3. Das Dritte Element der Wahlanalyse ist die insgesamt dennoch hohe Stabilität des politischen Systems. Die ÖVP hat sich dauerhaft von ihrem Tiefststand Ende der 90er Jahre entfernt (was damals schon zur Hoffnung Anlass gab diese Partei möge gänzlich verschwinden). Die Grünen etablieren sich zunehmend als „verantwortungsbewusste“ Liberale, was dazu fügt, dass sie zunehmend die früher der ÖVP zuneigenden städtischen Mittelschichten (oder deren Kinder) aufsaugen. Das wirkt freilich auf die Partei zurück, von der Alternativen Liste der 80er ist nichts mehr übrig. Die Grünen werden zur zweiten eindeutig bürgerlichen Partei des Landes, eine poppigere ÖVP, in gewissem Sinne die glaubhaftern Liberalen, weil sie nicht das Erbe von Klientelismus (Bauernbund, Beamte……) und Wertkonservatismus herumschleppen. Die schwarz-grüne Koalition der Döblinger Eltern mit ihren in den Alsergrund umgezogenen Kindern wird immer wahrscheinlicher.

4. Abschließend: Die „Linke“ unter Walter Baier und Leo Gabriel ist unterhalb der Wahrnehmbarkeitsgrenze geblieben, uns ist sie vor allem nach der Wahl durch die wütend pro-europäischen Deklarationen ihres Spitzenkandidaten aufgefallen (der offenbar die EU in einen Superstaat verwandeln möchte, und das Projekt der neoliberalen europäischen Integration für durchgehend unterstützenswert hält.) Nachdem der Wahlkampf durch völlige Beliebigkeit gekennzeichnet war (zum Irak sprach die FPÖ eine viel klarere Sprache), hat das Wahlergebnis gezeigt das die Stimmen für die „Linke“ einfach den Wohngebieten linksliberaler Studenten folgten. Sozialer Protest ist so nicht zum Ausdruck gekommen.

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