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Belagerungszustand in Istanbul

29. Juni 2004

Bericht von den Mobilisierungen gegen den Nato-Gipfel

Am Tag vor Beginn des Nato-Gipfels in der Türkei organisierte ein breites Bündnis linker und einiger islamischer Kräfte eine große Protestdemonstration. Rund fünfzigtausend Menschen gingen auf die Straßen obwohl die Behörden alles Mögliche getan hatten um die Mobilisierung zu unterbinden.

Die Slogans waren „Bush go home“, „Nieder mit dem US-Imperialismus“, „Die Türkei wird euer Grab sein“, und auch „Freiheit für Palästina und Irak“.

Die Nato-Konferenz wird im europäischen Teil der 15-Millionen-Stadt stattfinden, doch Demonstrationen wurden nur im asiatischen Teil – Dutzende Kilometer entfernt – gestattet. Alle Hauptstraßen und die Brücke über den Bosporus wurden abgeriegelt und auch der Fährverkehr wurde eingestellt damit die Menschen nicht zum Ort der Demonstration gelangen konnten. Der öffentliche Busverkehr wurde auf ein Minimum reduziert und Dutzende Busse, die von Demonstranten aus Wohnvierteln organisiert waren, wurden daran gehindert, loszufahren.

Den ganzen Tag flogen Militärhubschrauber über die Stadt, die mit massiver Polizeipräsenz mit Panzern und anderen Fahrzeugen überzogen war – alles in allem ein inoffizieller Ausnahmezustand in Verletzung demokratischer Grundrechte, obwohl die Demonstration selbst nicht angegriffen wurde und friedlich zu Ende ging.

Zwei Bündnisse

Nach dem Krieg und der Besatzung des Irak durch die USA und ihre Verbündeten spaltete sich die Antikriegsbewegung in der Türkei in zwei Teile: einen radikaleren, antiimperialistischen und einen pazifistisch-zivilgesellschaftlichen. Die Gewerkschaftsführer unterstützten die gemäßigten, doch einige wichtige Grundorganisationen schlossen sich den radikaleren Kräften an.

In den Wochen vor der Demonstration bestand das linke Bündnis darauf, eine Demonstration im europäischen Teil der Stadt – in der Nähe des Gipfels – zu organisieren. Doch nur einige Tage vor der Demonstration gaben einige der Organisatoren dem politischen Druck nach und schlossen sich den gemäßigteren Kräften an. Eine Kettenreaktion war die Folge und schließlich wurde die ganze Demonstration auf die andere Seite des Bosporus verlegt.

Am Tag der Eröffnung des Gipfeltreffens riefen die linken Organisationen zu Massendemonstrationen in der abgeriegelten Zone um den Veranstaltungsort auf. Schon heute wurde ein Park in einem Wohnviertel in der Nähe des Konferenzgebäudes von Hunderten AktivistInnen verschiedener Organisationen besetzt. Die Polizei am Boden nicht ein, doch ein Hubschrauber kreiste unablässig über den Protestierenden.

Während der Konferenz sind Zusammenstöße zu erwarten.

Verhaftungen und Folter

Am 1. April 2004 hatte die türkische Polizei die linke Bewegung und vor allem die Kräfte, welche die Mobilisierung gegen den Nato-Gipfel vorbereiteten, angegriffen. Das Erklärte Ziel war die Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC).

Diese Operation erstreckte sich bis in einige europäische Staaten und richtete sich auch gegen die Antiimperialistische Koordination (AIK). Drei führende AktivistInnen der AIK in Italien wurden verhaftet und wegen ihrer Verteidigung der Kampfs gegen die türkische Militär-Oligarchie des Terrorismus` beschuldigt.

Seit dem 1. April 2004 wurden rund neunzig AktivistInnen von demokratischen Organisationen wie z.B. Tayad (eine Organisation von Angehörigen politischer Gefangener), fortschrittliche JournalistInnen und selbst AnwältInnen verhaftet. Die gezielten Angriffe wurden in den letzten Tagen verstärkt. Die meisten der Verhafteten werden beschuldigt, AktivistInnen, Mitglieder und UnterstützerInnen der verbotenen DHKC zu sein. Da keine ernst zu nehmenden Beweise vorgelegt werden, handelt es sich um eine offene Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung – obwohl die AKP-Regierung behauptet, dieses Recht wieder eingeführt zu haben. Im Gegenteil: Sie schaffen neue politische Gefangene en masse.

Es gab mehrere Fälle von Folter, bei denen mehrere Organisationen, welche die Mobilisierung gegen den Nato-Gipfel anführten, betroffen waren. Der prominenteste Fall ist die österreichische Staatsbürgerin Elisabeth Brunner, eine Aktivistin der International League of Peoples` Struggle (ILPS), die mit brennenden Zigaretten misshandelt wurde.

Internationale Delegationen

Hunderte Menschen aus Europa – vor allem aus Griechenland – nahmen an den Protesten teil, darunter eine Delegation der Antiimperialistischen Koordination.

Istanbul, 27. Juni 2004

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