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Schwarzer Kanal

29. Juni 2004

Von Werner Pirker

Die Rechthaber

Das ist das Schöne an der „political correctness“: Man braucht nicht nachzudenken und hat doch immer recht. Wer seine Ansichten von der Position der eigenen moralischen Überlegenheit aus vorzutragen vermag, wobei diese Überlegenheit als quasi gegeben vorausgesetzt wird und so jeder kritischen Reflexion entzogen ist, darf sich zu den Rechthabern zählen. So sind die Gepflogenheiten am Stammtisch der intellektuellen Mittelschichten. Der neue Meinungskonformismus tritt als „kritisches Bewußtsein“, besser: als überkritisches Bewußtsein in Erscheinung. Denn der öde, gedankenlose Diskurs reproduziert sich einzig durch die ständige Übertreibung: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der/die politische Korrekteste im ganzen Land? Es gewinnt, wer das Rad der Empörung am schnellsten in Schwung zu bringen vermag.
Selbstredend vollzieht sich sich die Meinungsbildung im Cafe Critique in ständiger Abgrenzung zum gemeinen Gerede in den Wirtshäusern. Denn das politisch Korrekte ist dem Populismus grundsätzlich abgeneigt. Entäußerungen des Massenbewußtseins werden ausschließlich als „völkisches Rülpsen“ wahrgenommen. Kaum daß sich in Deutschland in Folge der Kriegspolitik der USA in der einfachen Bevölkerung eine breite Anti-Kriegsstimmung bemerkbar gemacht hatte, waren auch schon die Denunzianten des „primitiven Antiamerikanismus“ der Massen zu Stelle. Und wo sich „Volksgenossen“ antiamerikanisch äußern, lauere der Antisemitismus um die Ecke, wissen die Rechthaber. Wenn der Volksmund dann auch noch die Bilder von erschossenen Demonstranten und zermalmten Häusern im Gaza-Streifen kommentiert, sehen sich die Blockwarte der korrekten Gesinnung endgültig bestätigt.
Am weitesten hinter die Toleranzgrenze des Erlaubten verbannt aber sehen sich die antiimperialistischen Kritiker der israelischen Gewaltpolitik. Sie werden eines „hysterischen Antizionismus“ geziehen, wenn nicht der Volksverhetzung bezichtigt. Denn nichts rüttelt mehr am Tabu eines postmodernen, der antikapitalistischen Aufklärung entsorgten „Antifaschismus“ als die Charakterisierung des Wesensgehalts des jüdischen Nahost-Staates als rassistisch. Zionismus ist Rassismus, lautete der Kernsatz einer von der UNO 1975, als die einfachen Völker noch ein größeres Gewicht in der Weltpolitik hatten, beschlossen und 1991, als es damit zu Ende war, wieder aufgehobenen Resolution. Mit dem UNO-Seminar zum Antisemitismus, auf dem dieses Dokument von UN-Generalsekretär Kofi Annan noch einmal verurteilt wurde, sei ein düstere Kapitel beendet worden, frohlockt Ingolf Bossenz in einem Kommentar für das Neue Deutschland . Wie die Anti-Zionismus-Resolution der UNO gehört auch ein dem Antiimperialismus verpflichtetes ND der Vergangenheit an.
Linker Gesellschaftskritik, die heute ebenso hartnäckig wie erfolglos um das Rassismus-Thema kreist, sollte es doch ein Selbstverständliches sein, im Imperialismus ein rassistisches Gewaltverhältnis (und umgekehrt) zu erkennen und den Staat Israel in seinem Funktionszusammenhang als Bastion des „weißen Mannes“ in der arabischen Welt entsprechend einschätzen zu können. Doch hier setzt der „Antirassismus“ plötzlich aus. Obwohl der israelische Siedlerkolonialismus sich in seiner Genesis von anderen Unterwerfungsprojekten nur darin unterschied, daß er die Unterworfenen nicht einmal als Eingeborene wahrzunehmen bereit war – „Gebt das Land ohne Volk dem Volk ohne Land“. Der ND -Kommentator erwähnt einleitend selbst, daß 65 Prozent der jüdischen Israelis heute noch die Auffassung vertreten, man sollte die arabische Minderheit aus dem Land hinauskomplimentieren. Dennoch schreibt Bossenz unverdrossen: „Dem sich selbst durch den Zionismus legitimierenden Staat Israel zu attestieren, er sei zwangsläufig rassistisch, definierte ihn als Paris der internationalen Gemeinschaft“. Das würde auch vergessen machen, daß der Rassismus, der die größten Opfer gefordert habe, der Antisemitismus gewesen sei. Darf deshalb das Apartheid-Regime, das Israel nicht erst seit Scharon über die besetzten Gebiete verhängt hat, nicht mehr als rassistisch bezeichnet werden? Gerade in Erinnerung an den Holocaust sollte das getan werden.
Sicher: zur aufgeregten Rechthaberei ist das ND zu tröge. Aber Nachdenklichkeit scheint dort auch nicht gefragt zu sein.

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