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Erneuter offener Brief an ZARA und das Forum gegen Antisemitismus

29. Juli 2004

Stellungnahme der AIK zu den Reaktionen auf den offenen Brief von 28.5.2004

Sehr geehrte Damen und Herren vom Verein ZARA und vom Forum gegen Antisemitismus,

wir bedanken uns für Ihre Antwortschreiben auf den offenen Brief der AIK von 28.5.2004 hinsichtlich des Beitrages des Forums gegen Antisemitismus im Rassismusbericht 2003. Diese Antworten sind für uns aber sehr unbefriedigend ausgefallen, weshalb wir uns erneut mit einem offenen Brief an Sie wenden.

a) zum Antwortbrief von ZARA:

Zur Frage des Existenzrechtes Israels: Das gleichberechtigte Existenzrecht der jüdischen Bevölkerung im Nahen Osten steht für uns außer Zweifel. Die einzig mögliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes liegt daher für uns in einem gemeinsamen, demokratischen Staat, in dem der jüdischen und der arabischen Bevölkerung gleiche Rechte zukommen. Dazu ist allerdings ein völliger Bruch mit der zionistischen Ideologie notwendig, welche die Grundlage des existierenden Staates Israel bildet, einer Ideologie, die die Vertreibung Hunderttausender PalästinenserInnen aus ihrer Heimat und die rassistische Unterdrückung der in Palästina verbliebenen AraberInnen hervorgebracht hat. Die Ereignisse, aufgrund deren viele europäische Juden und Jüdinnen nach Palästina (und wesentlich mehr in andere Länder) ausgewandert bzw. geflohen sind, haben wir keineswegs vergessen, und wir stehen diesen Ereignissen und den ihnen zugrunde liegenden Ideologien um nichts weniger ablehnend gegenüber als der Verein ZARA oder das Forum gegen Antisemitismus. Die gegenüber der arabischen Bevölkerung Palästinas angewendete israelische Diskriminierungs- und Vertreibungspolitik, die von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der zionistischen Theorie und Praxis war, kann damit aber in keiner Weise gerechtfertigt werden. Um also klar und deutlich zu antworten: Ein Staat, dessen Grundlagen Apartheidpolitik und Vertreibung der ansässigen Bevölkerung bilden, hat in unseren Augen kein Existenzrecht – und ein solcher Staat war und ist Israel von seiner Gründung an bis heute. Einer Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, antirassistisch aktiv zu sein, sollte diese Argumentation begreiflich sein.

Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Drohbriefe an jüdische Personen und/oder Einrichtungen ergangen sind und wollten diesen Eindruck mit unserem ersten offenen Brief an die am Rassismusbericht 2003 beteiligten Organisationen auch nicht erwecken. Nachdem der Beitrag des Forums gegen Antisemitismus allerdings, sei es bewusst oder unbewusst, derart missverständlich gestaltet worden war, dass daraus herausgelesen werden kann, die AIK sei ein Beispiel für solche Vorgänge, wollten wir darauf hinweisen, dass wir keine Kenntnis von derartigen Briefen haben. Wir lehnen sie ganz klar ab, wollen aber nicht an ihrer Existenz zweifeln und hoffen, dass dieser Punkt damit klargestellt ist.

Zur Angelegenheit des offenen Briefes an die IKG: Die AIK ist von jeher bemüht, auf den Unterschied zwischen dem Judentum und dem Staat Israel bzw. dem Zionismus hinzuweisen und kämpft, wie schon in unserem ersten Brief erwähnt, dagegen an, dass Juden und Jüdinnen in aller Welt für Israels Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Die Gleichsetzung Judentum = Israel wird sowohl von arabisch/moslemischer Seite als auch von zionistischer Seite in den letzten Jahren verstärkt betrieben. Organisationen wie die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ kämpfen unter der Devise „Nicht in unserem Namen!“ gegen diese Gleichsetzung an und setzen sich für ein friedliches Zusammenleben von AraberInnen und JüdInnen und gegen den Missbrauch des Judentums durch den Zionismus ein. Wer den antijüdischen Übergriffen in Europa effizient entgegenwirken will, muss angesichts der israelischen Politik vehement darauf hinweisen, dass diese eben KEINE allgemein jüdische Angelegenheit ist. Nicht umsonst sieht die in vielen europäischen Ländern gegründete „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“ eine ihrer Hauptaufgaben darin, der Politik mehrerer offizieller jüdischer Gemeinden in Europa – darunter die IKG – entgegenzuwirken. Letztere bewirken mit ihrer weitgehend kritiklosen Unterstützung der israelischen Politik bei vielen Menschen den Eindruck, als wären das Judentum und der Staat Israel eine Einheit. Selbstverständlich sehen wir dadurch keine antijüdischen Übergriffe in Europa als entschuldigt oder gar gerechtfertigt an. Wir werden aber auch weiterhin darauf hinweisen, dass die Haltung der IKG in dieser Sache eindeutig kontraproduktiv ist. Hieraus zu konstruieren, wir würden Täter und Opfer vertauschen, zeugt von einiger Mutwilligkeit.
Zweifellos hat das Forum gegen Antisemitismus keinen Exklusivanspruch auf die von ZARA erwähnte Perspektive „aus jüdischer Sicht“. An dieser Stelle seien auch diverse thoratreue Juden und Jüdinnen in aller Welt erwähnt, darunter viele Rabbiner und Oberrabiner, die auf einem Kongress in Wien erst kürzlich ihre Ablehnung des Zionismus und seiner Praktiken zum Ausdruck gebracht haben.

Ebenso wie der Begriff „die Juden“ ganz eindeutig pauschalisierend ist und fälschlicherweise ein homogenes Denken und Handeln aller jüdischen Menschen impliziert, trifft dies auch auf den Begriff „die Moslems“ zu, der im Bericht des FgA zweimal in negativem Zusammenhang und in der Realität europaweit wachsender antimoslemischer Ressentiments verwendet wird. Dass ZARA nicht in der Lage ist, sich von dieser Formulierung zu distanzieren, erfüllt uns mit Befremden.

b) zur Antwort des Forums gegen Antisemitismus (FgA):

Die folgenden Punkte enthalten jeweils die Antwort auf die entsprechend numerierten Passagen des FgA-Briefes.

1) Wir nehmen zur Kenntnis, dass das FgA klargestellt hat, dass die Conclusio des FgA-Beitrages zum ZARA – Bericht 2003 nicht als Teil des Paragraphen über die AIK zu verstehen ist.
2) Unsere Unterstützung der vom FgA erwähnten Demonstration zeugt davon, dass wir den Inhalt der Demonstration, nämlich den Protest gegen das israelische Vorgehen, unterstützen, und keineswegs von einer positiven Einstellung zu Ibrahim Alloush. Wir haben Alloushs Versuche, den Holocaust zu relativieren, oft genug öffentlich verurteilt, sodass es auch dem FgA möglich sein sollte, dies zur Kenntnis zu nehmen. Bei welcher Gelegenheit wir uns beim Volksstimmefest 2003 mit Alloush solidarisiert haben sollen, ist uns ein Rätsel, und wir ersuchen das FgA, uns in dieser Frage aufzuklären. Tatsache ist, dass wir im Juni 2003 Alloushs Entlassung als Professor an einer jordanischen Universität kritisiert haben. Diese erfolgte aufgrund von Alloushs Position zum Irakkrieg und stand in keinerlei Zusammenhang mit seinem Holocaustrevisionismus, was von uns ebenfalls oft genug betont wurde.
3) Wir nehmen für uns in Anspruch, über unsere eigenen Positionen besser Bescheid zu wissen als die „Ökoli“. Im Fall des israelisch-palästinensischen Konfliktes lautet diese, wie seit Jahren in unseren Publikationen nachgelesen werden kann, „gemeinsamer, demokratischer Staat“, und nicht „arabisches Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer“. Auch hier würden wir es begrüßen, wenn das FgA das zur Kenntnis nehmen und uns künftig nichts anderes unterstellen würde.
4) Das FgA hat in seinem Bericht nicht den Begriff „Moslems“, sondern „DIE Moslems“ verwendet. Siehe dazu weiter oben (letzter Absatz des an ZARA gerichteten Teiles). Eine Entschuldigung sollte hier nicht an die AIK ergehen, sondern an die moslemische Bevölkerung Europas, der hier – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – pauschal steigende Gewaltbereitschaft nachgesagt wird. Selbstverständlich durchkämmen wir nicht permanent sämtliche Medien, dementsprechend können wir nicht jedes Mal Protest einlegen, wenn solche Pauschalisierungen vorkommen. Von einem Bericht, dessen VerfasserInnen für sich in Anspruch nehmen, dem Rassismus entgegenwirken zu wollen, sollte aber doch ein solches Mindestmaß an antirassistischem Bewusstsein erwartet werden können, dass derartige Formulierungen unterbleiben.
5) Die PFLP wird keineswegs „von allen offiziellen Seiten“ als terroristisch eingestuft (genauso wenig wie Fatah und DFLP), sondern lediglich von den USA und der in der Angelegenheit der „Terrorliste“ auf US-Druck und im Kontext des US-geführten „war on terrorism“ agierenden EU-Kommission. Dass ausgerechnet ein Staat, der permanent völkerrechtswidrige Kriege führt (und dabei Massenvernichtungswaffen einsetzt), die Befugnis haben soll, sich in Fragen des Terrors als Richter zu gerieren, ist wohl äußerst zweifelhaft. Der Kampf der PFLP richtet sich gegen die Besatzung und ist auch als solcher von der UNO legitimiert.
6) Da sowohl der amerikanisch-britische Überfall auf den Irak als auch das Folterlager in Guantanamo gegen jegliches Völkerrecht verstoßen, fragen wir uns, was Sie mit den entsprechenden Hinweisen in Punkt 6 ihres Schreibens bezwecken. Wir sehen es des weiteren als Recht der PFLP, Verhandlungen abzulehnen, bei denen von vornherein nicht einmal ein Abzug Israels aus dem Westjordanland zur Debatte steht, geschweige denn ein Rückkehrrecht für die Hunderttausenden Vertriebenen oder gar eine rechtliche und faktische Gleichstellung der arabischen EinwohnerInnen Israels. Tourismusminister Zeevi hat vor seiner Ermordung sogar die Ausweisung aller PalästinenserInnen aus Palästina, also eine gewaltsame Vertreibung weiterer Millionen Menschen, gefordert. Die PFLP hat in ihren Komuniques darauf hingewiesen, dass die Tötung Zeevis in Vergeltung der völkerrechtswidrigen, außergerichtlichen Tötung des Generalsekretärs der PFLP, Abu Ali Mustafa, durch die israelische Armee erfolgt ist. Die Verantwortung für die Tat der PFLP liegt also einmal mehr bei der israelischen Besatzungspolitik.
Selbstverständlich bedauern wir Blutvergießen und die Tötung von Menschen. Als antirassistisch und demokratisch gesinnte Organisation, die sich der Solidarität mit den unterdrückten Völkern der „Dritten Welt“ verpflichtet fühlt, ist es allerdings unsere vorrangige Pflicht, auf die Ursachen hinzuweisen, die zu Gewalt führen, und ohne deren Behebung keine dauerhafte Gewaltlosigkeit möglich ist. Diesem demokratischen Grundgedanken entspricht auch das vom internationalen Völkerrecht festgeschriebe Recht auf bewaffneten Widerstand gegen militärische Besatzung. Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass Ihnen, die Sie sich als AntirassistInnen bezeichnen, dieser demokratische Grundgedanke nicht zugänglich zu sein scheint.
7) Der Bericht des FgA war so gestaltet, dass die AIK als Beispiel für die kurz davor erwähnten „regelmäßigen personellen und finanziellen Transfers, geleitet von Personen, die jederzeit gewalttätige Aktionen zu setzen imstande sind“ verstanden werden kann. Wir fordern diesbezüglich nochmals mit allem Nachdruck eine Klarstellung seitens des FgA. Sowohl der vom FgA als Terrorist bezeichnete Mann als auch Leila Khaled sind Angehörige der PFLP Siehe dazu Punkt 6 sowie den ersten offenen Brief der AIK (28.5.) an die am ZARA-Bericht beteiligten Organisationen

Mit freundlichen Grüßen,

für die AIK:
Gunnar Bernhard, Margarita Langthaler, Irina Vana, Kurt Kann

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