Rede von Arundhati Roy am 16. August 2004 in San Francisco
In ihrer bemerkenswerten Rede sprach Arundhati Roy über die vergangenen Wahlen in Indien und über die Wahlen in den USA im November 2004, Globalisierung, die Antikriegsbewegung und den irakischen Widerstand, das WSF, NGOs und Neoliberalismus. Wir geben diese Rede in Auszügen und in deutscher Übersetzung wieder.
Die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer breiter, der Kampf um die Rohstoffe der Welt spitzt sich zu. Wirtschaftskolonialismus in der Form offener militärischer Aggression steht wieder auf der Tagesordnung. Der Irak heute ist ein tragisches Beispiel für eine solche Vorgangsweise: Eine illegale Invasion. Eine brutale Besatzung unter dem Titel „Befreiung“. Die Gesetze werden neu geschrieben, damit sie den Firmen, die mit den Besatzern paktieren, die schamlose Aneignung des Reichtums und der Rohstoffe des Landes gestatten und nun auch noch das Possenspiel einer einheimischen „irakischen Regierung“.
Es ist absurd, den Widerstand gegen die US-amerikanische Besatzung des Irak als von Terroristen, Aufrührern oder Saddam-Hussein-Anhängern geführt zu verurteilen. Wenn die Vereinigten Staaten angegriffen und besetzt würden, wäre dann jeder, der für die Befreiung kämpft, ein Terrorist, Aufrührer oder ein Bush-Anhänger? Der irakische Widerstand kämpft in der ersten Reihe gegen das Empire. Und deshalb ist sein Kampf unser Kampf.
Wie die meisten Widerstandsbewegungen hat sich ein bunt zusammen gewürfeltes Spektrum von Gruppen zusammengefunden. Ehemalige Ba…‘thisten, Liberale, Islamisten, unzufriedene Kollaborateure, Kommunisten usw. Natürlich ist sie mit Opportunismus, lokalen Auseinandersetzungen, Demagogie und Kriminalität durchsetzt. Aber wenn wir nur reine und unverdorbene Bewegungen unterstützen würden, könnte kein Widerstand unserem Reinheitsgebot entsprechen.
Das bedeutet nicht, dass wir Widerstandsbewegungen niemals kritisieren dürfen. Viele sind nicht demokratisch, treiben einen Kult um ihre „Führer“, sind nicht transparent, haben keine klaren Vorstellungen und Ziele. Vor allem jedoch leiden sie an Schmähung, Unterdrückung und mangelnden Ressourcen.
Bevor wir einem „reinen“ irakischen Widerstand vorschreiben, wie er seinen säkularen, feministischen, demokratischen und gewaltfreien Kampf zu führen hat, sollten wir unseren Teil zum Widerstand beitragen, indem wir die USA und ihre Verbündeten dazu zwingen, aus dem Irak abzuziehen.
Nachdem die USA den Irak derart überfallen und besetzt haben, mit einer solchen militärischen Übermacht, wie könnte man da konventionell militärischen Widerstand leisten? (Selbst wenn es konventioneller Widerstand wäre, würde er terroristisch genannt werden.) Das Waffenarsenal, die konkurrenzlose Überlegenheit in der Luft und die übermächtige Feuerkraft lassen keine andere Möglichkeit als Terrorismus als Antwort zu. Was den Leuten an Reichtum und Macht fehlt, gleichen sie durch Tarnen und Täuschen aus.
Für diejenigen von uns, die auf der falschen Seite des Empire sind, wird die Erniedrigung unerträglich.
Jedes der irakischen Kinder, das die USA getötet haben, war unser Kind. Jeder der Gefangenen, den sie in Abu Ghraib gefoltert haben, war unser Genosse. Jeder ihrer Schreie war auch unserer. Als sie erniedrigt wurden, wurden wir erniedrigt. Die US-amerikanischen Soldaten, die in den Irak geschickt wurden, sind vor allem Freiwillige, die aus der Armut in den Kleinstädten und Slums rekrutiert wurden und sind wie die Iraker Opfer der gleichen grauenhaften Maschinerie, die von ihnen verlangt, für einen Sieg zu sterben, der nicht der ihre sein kann und wird.
Die Bonzen der Unternehmenswelt, die Vorstandsvorsitzenden, die Bankiers, Politiker, Richter und Generäle blicken auf uns herab und schütteln streng die Häupter: „Wir haben keine Wahl“, sagen sie. Und schicken ihre Bluthunde.
Dann kommt die Antwort, die uns das Blut in den Adern gefrieren lässt, aus den Ruinen in Afghanistan, den Trümmern im Irak und in Tschetschenien, von den Straßen des besetzten Palästina und von den Bergen Kaschmirs, von den Bergen und Ebenen Kolumbiens und den Wäldern von Andhra Pradesh und Assam: „Wir haben keine Wahl als Terrorismus.“ Terrorismus, bewaffneter Kampf, Aufstand – wie auch immer Sie es nennen wollen.
Terrorismus ist teuflisch, hässlich und unmenschlich sowohl für die, die ihn ausüben, als auch für die Opfer – so wie der Krieg. Man könnte sagen, dass der Terrorismus die Privatisierung des Krieges ist. Terroristen sind die Krieger des freien Markts. Sie glauben nicht daran, dass der Staat das Monopol auf legitime Gewaltausübung hat.
Die menschliche Gesellschaft ist an einem schrecklichen Punkt angekommen. Natürlich gibt es eine Alternative zum Terrorismus. Man nennt sie „Gerechtigkeit“. Es ist Zeit zu erkennen, dass kein noch so großes Arsenal an Kernwaffen, Breitband-Überlegenheit, Daisy Cutters oder Inszenierungen von Regierungsräten und Loya Jirgas den Frieden zum Preis der Gerechtigkeit erkaufen können.
Das Streben nach Hegemonie und Vorherrschaft einiger weniger stößt immer mehr auf das Streben nach Menschenwürde und Gerechtigkeit der anderen. Welche Form der Kampf annimmt, ob er wunderschön oder blutrünstig wird, hängt von uns ab.
Dieser Ausschnitt aus der Rede wurde von der Redaktion übersetzt.
Quelle und gesamte Fassung: www.alternatives.ca