Konflikt im Sudan
„Völkermord in Darfur durch arabische Reitermilizen“, „Hunderttausende Tote und Millionen Vertriebene durch arabischen Terror“, „Westen fordert humanitäre Militärintervention“ – so oder ähnlich lauten seit Monaten die Schlagzeilen der Medienmaschine. Unweigerlich fühlt man sich an die mediale Begleitmusik der Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und vor allem den Irak erinnert.
Die „Araber und Moslems“ steigen in jedem Fall als unverbesserliche Bösewichte aus, denen letztlich eine aufs Haupt gehört – um die humanitäre Katastrophe hintan zu halten, versteht sich. Alles scheint sich bestens in den amerikanischen Krieg gegen den „Terror“ zu fügen.
Ein halbes Jahrhundert Bürgerkrieg im Südsudan
Anlass genug hinter die Kulissen der offensichtlichen Medienmanipulation zu blicken und einen Versuch zu machen, in das komplizierte Geflecht eines Konflikts einzudringen, der nicht nur eine lange und wechselvolle Geschichte hat, sondern sich zumindest auf drei in einander verstrickten aber durchaus analytisch trennbaren Ebenen von lokalen, nationalen und internationalen Interessen entfaltet.
Der Konflikt um Darfur, dessen Eskalation nicht so weit zurückliegt wie jene im Süden des Landes, kann ohne den Kontext des dortigen Bürgerkrieges nicht verstanden werden. Dieser brach unmittelbar um die Unabhängigkeit des Landes 1956 aus und dauert mit einigen Unterbrechungen – die andere Entwicklungswege aufzeigen – seit damals an. Seine Wurzeln reichen tief in und sogar vor die Kolonialzeit zurück, wenn auch den Briten das zweifelhafte Verdienst zukommt, ihn politisch nutzbar gemacht zu haben.
Der moderne Sudan als Produkt des Mahdi-Aufstandes
Die Einnahme Khartums durch die Armeen des Mahdi, des islamischen Messias, 1881 stellten für die britische imperiale Herrlichkeit eine schwere Erschütterung dar. Unerhörte zwei Jahrzehnte, bis 1898, hielt sich der vom Mahdi gegründete Staat, bis London sich angesichts der aggressiven französischen Expansion in Afrika zur Rückeroberung entschloss. Trotz einer scheinbar vormodernen islamischen Ideologie legte der Mahdi-Aufstand die Grundlagen des modernen sudanesischen Nationalstaates, indem er sehr unterschiedliche, auch in Konflikt miteinander stehende soziale Formationen gegen die britischen Kolonialherren vereinigte.
Möglich wurde das, weil sich die Briten nicht nur die Stämme am Nil und im Sahel entfremdet hatten, sondern vor allem auch die modernen Klassen der arabischen Händler (Jellaba) sowie der Beamten. Ein bedeutendes Moment konstituierte das vom anglo-ägyptischen Kondominium ausgesprochene Verbot des Sklavenhandels, das sich in einen regelrechten Krieg gegen die Jellaba ausweitete. Während der Handel mit Schwarzafrikanern aus dem Süden bis in die Antike zurückreicht, stieg er durch die mit der kolonialen Durchdringung einhergehenden Eingliederung in den Weltmarkt sprunghaft an.
Auf der Basis einer an sudanesische Traditionen anknüpfenden antikolonialen islamischen Errettungsideologie konnten die sufistischen Orden, die Jellaba sowie die Stämme, die historisch unterschiedlichen staatlichen Zentren im Sahel am Nil einschließlich Ägyptens sowie des abessinischen Hochlandes angehört hatten, vereinigt werden. Während es sich durchaus um einen antikolonialen Volksaufstand handelte, so war dieser nur sehr indirekt Ausdruck eines soziales Kampf der traditionellen und der modernen Unterklassen. Denn er stärkte deren Einheit mit den Eliten, auch wenn diese in einer völlig neuen Form regierten.
Die ungleiche Beziehung mit dem Süden
Die Sahelzone war in ihrer gesamten Ost-West-Erstreckung durch den Transsahara-Handel in den letzten Jahrhunderten zunehmend islamisiert und in geringerem Umfang arabisiert worden. Im Sudan trennten allerdings die naturräumlichen Gegebenheiten den tiefen Süden durch eine regelrechte Barriere (arabisch Sudd), ein gewaltiges, durch regelmäßige Überschwemmungen für dauerhafte Besiedlung ungeeignetes Sumpfgebiet vom Norden ab. Erst durch die Sklavenjagd im 19. Jahrhundert kam es zu einigen arabischen Handelstützpunkten, die aber zu keiner nennenswerten Assimilierung der sozialen Umgebung führten.
Das Problem der Sklaverei beschäftigt die sudanesische Gesellschaft bis heute. Es gibt zweifellos nach wie vor eine chauvinistische Haltung gegenüber der schwarzen, nicht islamischen Bevölkerung aus dem Süden, die in der sozialen Pyramide des Nordens die unterste Stellung einnimmt. Es gibt sogar Berichte von noch heute vorkommenden Versklavungen und der Übergang zu modernen kapitalistischen Unterdrückungsbeziehungen ist fließend.
Dennoch ist es nicht angebracht, die Sklaverei pauschal gegen die islamisch-arabische Komponente der sudanesischen Gesellschaft in Anschlag zu bringen, so wie es der Westen und insbesondere einige Vertreter der „Black Community“ der USA tun – während die USA selbst es ablehnen ihre diesbezügliche Schuld einzugestehen und dementsprechende Reparationszahlungen zu leisten, wie es verschiedentlich von afrikanischen Stimmen gefordert wurde.
Die Institution der Sklaverei prägte ebenso viele der schwarzafrikanischen Stammesgesellschaften. Überhaupt sehen Stammesverfassungen in allen Teilen der Welt die Versklavung der gefangen genommenen Gegner vor. Darum konnte es auch zu keinem geschlossenen Widerstand gegen die Sklavenhändler und ihre aus privilegierten Sklaven zusammengesetzten Armeen kommen.
Vielfach wird dem dominanten arabisch-islamischen Sudan Rassismus gegenüber Schwarzen vorgeworfen. In gewissen Aspekten mag das stimmen, doch der Islam verbietet die Versklavung von Anhängern der drei monotheistischen Religionen und die Freilassung von Sklaven gilt als religiöse Wohltat. Die Annahme des Islam stellt einen Weg aus der Sklaverei dar. So sind über Jahrhunderte die ehemaligen schwarzen Sklaven in die arabisch-islamische Gesellschaft assimiliert worden, so dass diese letztendlich von ihrer Hautfarbe her selbst schwarz wurde. Das steht ganz im Gegensatz beispielsweise zur US-Gesellschaft, wo trotz der Aufhebung der Sklaverei die Schwarzen eine nach wie vor rassistisch unterdrückte Kaste bilden. Im Sudan sollte im Gegensatz dazu eher von Kulturchauvinismus als von Rassismus gesprochen werden, wobei die Phänomene ineinander übergehen.
Die Briten nahmen die arabisch-islamische Expansion nach Süden jedenfalls als Konkurrenz und Gefahr für ihre kolonialen Interessen wahr. Während sie nach der bitteren Erfahrung der Mahdiyya, des Mahdi-Staates, für den Norden „indirect rule“ vorsahen, formulierten sie eine gänzlich separate und sogar entgegengesetzte „Southern Policy“. Den kollaborierenden Eliten des Nordens konnten und wollten sie die arabisch-islamische Kultur nicht nehmen, der Süden sollte indes ihrem Einfluss systematisch entzogen werden, was sich in den „closed districts“ ausdrückte. Dementsprechend förderten sie die Christianisierung und führten als Verwaltungs- und Bildungssprache Englisch ein. Es gab selbst Überlegungen den Südsudan den ostafrikanischen Kolonien anzugliedern. Ökonomisch wurde der Norden typisch kolonialkapitalistisch strukturiert, beispielsweise durch große Baumwollplantagen, während der Süden wegen seiner Unzugänglichkeit kaum in die kapitalistische Arbeitsteilung integriert wurde und folglich nach kapitalistischen Kriterien unterentwickelt blieb.
Als die Kolonialisten 1956 abzogen, war abzusehen, dass die entscheidenden Positionen im Staatsapparat von den arabisch-islamischen Eliten ausgefüllt werden würden; denn während die Briten im Norden einen neokolonialen Staat hinterlassen hatten, gab es im Süden kaum einen Ansatz dafür. So erschien der britische Abzug vielfach als Übergabe des Südens an den Norden. Dagegen rebellierte die südliche Garnison und gab so den Startschuss für den Bürgerkrieg.
Erst nachdem im Zuge der linken und antiimperialistischen Mobilisierungen 1969 General Nimeiri mit Unterstützung der Kommunisten gegen die traditionellen, die Jellaba vertretenden und auf die Sufi-Orden gestützten Parteien putschte, konnte es zu einer politischen Lösung kommen. 1972 handelte er im Abkommen von Addis Abeba mit der Guerilla eine Autonomie aus, die trotz zahlreicher verbleibender Reibereien zum Frieden führte.
Doch nachdem Nimeiri die Kommunisten unterdrückt, sich wieder der Händler- und Kapitalistenklasse der Jellaba angenähert und die Hoffnungen der Volksmassen auf sozialen Fortschritt enttäuscht hatte, wandte er sich auch außenpolitisch von der UdSSR ab und den USA sowie ihren Verbündeten in Nahost, nämlich Ägypten und Saudi-Arabien, zu. Um sich an der Macht zu halten, setzte er auf die Islamisierung, was 1983 in der Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, für das ganze Land einschließlich des Südens gipfelte.
Diese De-facto-Außerkraftsetzung der Autonomie von 1972 entzündete den Bürgerkrieg erneut. Die Sudanesische Volksbefreiungsarmee/-bewegung (SPLA/M) John Garangs konnte auf die Unterstützung der DERG-Regierung Äthiopiens und damit indirekt der UdSSR zählen, während Nimeiri und seine Nachfolger in Khartum auf die Hilfe der USA bauten. So war es auch der US-Ölmulti Chevron, der mit der Entwicklung der Ölvorkommen beauftragt wurde.
Während die konservative Nationale Islamische Front (NIF) von Präsident Bashir und Chefideologe Turabi 1989 putschte, veränderte sich durch den Zusammenbruch der Sowjetunion das internationale Umfeld so grundlegend, dass es zu einem richtiggehenden Frontenwechsel kam. 1991 unterstützte die NIF-Regierung den Irak gegen den Feldzug der Heiligen Allianz und schlug damit die Tür zum Westen zu. Von da an wurde sie als „sicherer Hafen“ für Terroristen kategorisiert und zählte zu den zu isolierenden Schurkenstaaten. In Äthiopien kam auf der anderen Seite ein proamerikanisches Regime an die Macht, das die Unterstützung für die als links geltenden südsudanesischen Rebellen einstellte.
Das ermöglichte den Regierungstruppen eine erfolgreiche Offensive gegen die SPLA. Dabei kam ihnen auch eine Spaltung der Rebellen entgegen, die sich vordergründig um die Frage der Sezession drehte. Garang und seine Torit-Fraktion beharrten auf der Forderung nach einer Autonomie im Rahmen eines demokratisch-säkularen Sudan, während die Nasir-Fraktion für die Sezession eintrat. Den eigentliche Hintergrund der Spaltung stellte jedoch das Problem zwischen den verschiedenen sich herausbildenden südsudanesischen Ethnien dar. Während Garang die Dinka, die zahlenmäßig stärkste Gruppe repräsentiert, stützen sich seine Opponenten auf die Volksgruppen der Nuer und Shilluk. Im innersüdlichen Bürgerkrieg konnte die Nasir-Gruppe ebenso auf die Unterstützung Khartums zählen.
Durch die vielversprechenden Ölfunde im Süden gewann der Konflikt zusätzlich an Brisanz. Khartum wollte die alleinige Kontrolle über Ausbeutung, Transport und Verarbeitung des Rohöls, während die SPLA einen Teil des Kuchens für den Süden forderte. Khartum plante eine Pipeline nach Port Sudan am Roten Meer sowie eine Raffinerie beim Verladehafen. Die SPLA hingegen forderte die Verarbeitung in der Nähe der Ölfelder und die Anbindung an den Weltmarkt über die Südroute nach Mombasa, Kenia, am indischen Ozean. So griff die Guerilla die Explorationsstätten immer wieder an, was den Beginn der Ölförderung jahre-, wenn nicht jahrzehntelang verzögerte.
Ähnlichen Zündstoff bietet der Konflikt um das Wasser des Nils, von dem nicht nur der Nordsudan, sondern auch ganz Ägypten abhängig ist. Um die Wassermengen zu erhöhen plante man ein gewaltiges Entwässerungsprojekt, das den Sudd praktisch zum Verschwinden bringen und so die Verdunstung hinanhalten sollte. Der Jonglei-Kanal könnte allerdings nicht nur unabsehbare ökologische Folgen haben, sondern würde auch die Lebensgrundlage von Millionen von sesshaften, teil- und vollnomadisierenden Anwohnern zerstören, die die Region von der Größe Britanniens in einem komplizierten und ausgeklügelten symbiotischen Geflecht nutzen. Bereits eine kleine Störung, die einer Volksgruppe die Ressourcen entzieht, kann eine Kettenreaktion von Konflikten hervorrufen, die zu bürgerkriegsartigen Verhältnissen führen kann, wie sie heute im Darfur, am Bahr al-…‘Arab und in den Nuba-Bergen bestehen. Durch die Angriffe der SPLA konnte der Kanal allerdings bis heute nicht fertig gestellt werden.
Nomaden gegen Sesshafte – traditioneller Sahel-Konflikt
Während die Entwicklung des Bürgerkriegs im Süden mit der kapitalistischen Durchdringung einhergeht, hat der Konflikt im Sahel einschließlich Darfurs vorkapitalistische Wurzeln, der heute antagonistische Formen annimmt.
Weite Teile des an die Sahara grenzenden Sahels bieten keine ausreichenden Voraussetzungen für sesshaften Regenfeldbau, sondern können mit unterschiedlicher Intensität nur von nomadisierenden, den jahreszeitlich bedingten Schwankungen der Weidekapazitäten folgenden Viehzüchtern genutzt werden. Diese gingen mit den weiter südlich oder in begünstigten Inseln (im Sudan zum Beispiel der Jebel Marra des Darfur und die Nuba-Berge, die in einer semiariden Umgebung über ausreichend Niederschläge für Regenfeldbau verfügen) lebenden sesshaften Ackerbauern eine sozioökonomische Symbiose ein, die jedoch in Notlagen unweigerlich auch Konflikte mit sich brachte. Längere Trockenperioden führten immer wieder dazu, dass die durch ihre Lebensweise gezwungenermaßen kriegerischen Nomaden zu den Wasser- und Bodenressourcen der Ackerbauern oder Halbnomaden drängten und sie diesen streitig machten.
Im Allgemeinen lässt sich die traditionelle Stoßzone entlang des westlichen Zuflusses des Nils, dem Bahr al-Ghazal und dem Bahr al-…‘Arab, ziehen. Da die Nomaden stärker islamisiert und arabisiert sind als die Ackerbauern, erscheint der Konflikt oft als vermeintlich ethnischer zwischen Schwarzafrikanern auf der einen Seite und islamischen Arabern auf der anderen Seite. Tatsächlich handelt es sich aber um einen im Kern sozioökonomischen Konflikt, der wie in Darfur auch zwischen Moslems und an den Rändern des Sudds auch zwischen schwarzafrikanischen Stämmen ausgetragen werden kann.
Es gab allerdings ebenso einen traditionellen Schlichtungsmechanismus, der die Opfer in akzeptablen Grenzen hielt. Die zahlreichen historischen Sahelstaaten, die Mahdiyya aber auch die britische Kolonialmacht spielten allesamt eine Schlichterrolle. Doch mehrere Faktoren führten dazu, dass es für Kompromisse keinen Spielraum mehr gibt und die Konflikte sich in blutige Bürgerkriege verwandeln:
Erstens werden die Dürreperioden immer länger und trockener und die Wüste stößt jährlich um einige Kilometer gen Süden vor. In welchem Ausmaß die Desertifikation auf menschliches Eingreifen zurückzuführen ist, kann nicht genau bemessen werden. Dass der menschliche Raubbau aber wesentlich Mitschuld trägt, ist unbestreitbar. So hat die zunehmende Kommerzialisierung der Wirtschaftsbeziehungen zu einer Vergrößerung der Herden geführt, die auch durch die Bohrung von Tiefbrunnen ermöglicht wurden. Letztendlich führte die Überweidung vielfach zur gänzlichen Zerstörung von gewaltigen Weideflächen.
Zweitens und noch viel bedeutungsvoller ist die mechanisierte Kultivierung von Handelsfrüchten („cash crops“) in nicht bewässerbaren Zonen. Dieser Trend folgt dem Diktat des Internationalen Währungsfonds. Dabei werden Flächen, die zuvor in zum Teil kollektiver Nutzung lokaler Stämme waren, ohne dass sie über einen Rechtstitel verfügten, vom Staat meist an Jellaba vergeben, die über Kapital verfügen oder Zugang zu Krediten haben. Die ursprüngliche Bevölkerung wird vertrieben oder ihr wird – bei der Nutzung als Weide – der Zugang verweigert. Schnell sind die Böden ausgelaugt oder erodiert und müssen aufgegeben werden. Zurück bleiben abgeholzte, unbrauchbare und verwüstete Zonen. Dabei handelt es sich um Millionen von Hektar, also einem signifikanten Anteil der bebaubaren Fläche des Sudans.
Drittens bewaffnete die Khartumer Regierung viele nomadische Stämme, in einem zusammenfassenden Begriff als Baggara bezeichnet, mit Schnellfeuerwaffen, um sie gegen die die Guerilla unterstützenden oder im Bereich der Ölförderung lebenden Volksgruppen einzusetzen. Dabei nehmen die traditionellen Auseinandersetzungen, die oft an Rituale grenzten, schnell einen extrem blutigen Charakter an. Die vielzitierten Janjawid können als ein solches Beispiel gelten.
Dabei kann aber keineswegs von einer völligen Kontrolle oder gar Steuerung der Milizen durch die Regierungstruppen ausgegangen werden. Historisch gesehen gab es zwischen Jellaba und Baggara immer wieder heftige Auseinandersetzungen. So beteiligten sich letztere beispielsweise am britischen Feldzug gegen die Jellaba. Die Forderung nach der Entwaffnung der Milizen durch die Regierungskräfte muss daher fast als Ding der Unmöglichkeit erscheinen, denn das Tragen von Waffen wird als zentraler Bestandteil des Ehrenkodex verstanden – sie käme also fast der Eröffnung eines neuen bewaffneten Konflikts gleich.
Ethnische Säuberungen?
In der westlichen Darstellung wird der sudanesische Bürgerkrieg zu einem glatt dualen Konflikt zwischen dem unterdrückenden arabisch-islamischen Norden und dem unterdrückten schwarzafrikanischen, christlichen Süden, den es zu unterstützen gilt – dass Darfur islamisch ist, fällt da nicht weiter ins Gewicht. Die ethnischen Säuberungen, die von den zum globalen Hauptfeind der westlichen Zivilisation erklärten islamischen Arabern ausgehen würden, müssten mit allen Mitteln beendet werden.
Tatsächlich ist ethnische und nationale Identität im Sudan sehr viel komplexer und vielschichtiger und enthält im Kern eine sozioökonomische Funktion im Rahmen der traditionellen subsaharischen Arbeitsteilung, genauso wie die Konflikte auf Probleme und Störungen in dieser Arbeitsteilung zurückgehen.(1)
So waren auch in Darfur bis vor wenigen Jahrzehnten ethnische Zugehörigkeiten noch durchlässig. Arabische Stämme, die im Jebel Marra sesshaft wurden, transformierten sich zu Mitgliedern von als nichtarabisch geltenden Stämmen, obwohl sie weiterhin arabisch sprachen. Umgekehrt gibt es Nomaden, die nicht arabisch sprechen, sich aber dennoch als Araber verstehen. Es muss von mehreren Zugehörigkeitsebenen ausgegangen werden, die der Begriff der Ethnie nicht adäquat zu fassen in der Lage ist, obwohl seine Bedeutung als Resultat des Konflikts zunimmt.
So hat der Bürgerkrieg im Süden keineswegs zur Herausbildung einer südsudanesischen Nation geführt, sondern von ethnischen Großgruppen, wie den Dinka, Nuer oder Shilluk, die jeweils untereinander zwar sprachliche Ähnlichkeiten aufweisen, aber in sozioökonomische Entitäten – üblicherweise als Stämme bezeichnet – zersplittert sind, welche ehemals das zentrale Identitätsmoment bildeten. Besonders augenfällig ist die Diskrepanz zwischen der durch den Konflikt geschaffenen Ethnie und der ehemals identitätsstiftenden sozioökonomischen Entität bei den Nuba. Die Nuba-Berge sind ein Rückzugsgebiet schwarzafrikanischer Stämme, die jedoch jeweils mit arabischen Baggara-Stämmen eine (ungleiche) soziale Symbiose eingingen. Untereinander hatten die schwarzafrikanischen Stämme auch durch die topografischen Gegebenheiten kaum Austausch. Entsprechend gibt es auch keine gemeinsame Sprache und oft gehören die Sprachen sogar verschiedenen Familien an, so dass sie untereinander unverständlich sind. Trotzdem war eine Folge des Krieges die Herausbildung einer Nuba-Identität.
Vergleichbar ist dieses Phänomen mit den Auswirkungen des Krieges in Afghanistan. Auch hier gab es ein vielfältiges Geflecht an Identitätsebenen. Zwar gab es die afghanische Form des Persischen, Dari, als Staats- und Bildungssprache, von einer tadschikischen Ethnie konnte aber keine Rede sein, zu zersplittert und unterschiedlich waren die Sprecher dieser Sprache, die außer dieser nichts miteinander verband. Heute hingegen ist die ethnische Entität Tadschiken ein Faktor erstrangiger Bedeutung im Land am Hindukusch. Ähnliches gilt für andere Volksgruppen.
Wandel der US-Sudanpolitik
Die 90er Jahre waren seitens der USA von einer Konfrontationspolitik geprägt, die 1998 in der Bombardierung einer angeblichen Fabrik für chemische Waffen bei Khartum gipfelte. Später mussten selbst die USA einräumen, dass es sich um einen pharmazeutischen Betrieb gehandelt hatte. Obwohl sich Khartum weitgehend den Forderungen der USA unterwarf, Bin Laden, der damals noch nicht als unumstrittener Champion des Bösen figurierte, auswies und auch die Auflagen des IWF befolgte, blieb Washington hart und betrachtete den Sudan als Terrorstaat. Das lag ganz auf der Linie von Clintons Menschenrechtsimperialismus.
1999 gelang es Khartum erstmals nach zwanzig Jahren verzweifelter Versuche größere Mengen Rohöl zu exportieren. Die Förderkonzessionen gingen in erster Linie an chinesische Unternehmen, die auch den Bau der lange geplanten Pipeline ans Rote Meer unterstützten. Die angloamerikanischen Medien läuteten die Alarmglocken. Wenn die Berichte über tausende chinesische Soldaten zwar stark übertrieben erscheinen, so bleibt kein Zweifel über das massive chinesische Engagement. Die Aussicht, dass China die strategische Kontrolle über einen potentiell mittelgroßen Erdölexporteur, noch dazu weit außerhalb der unmittelbaren chinesischen Einflusssphäre erlangen könnte, musste in Washington zumindest Besorgnis erregen.
Auch den USA dürfte es nicht entgangen sein, dass sich mit den steigenden Erdöleinnahmen Khartums das Blatt im sudanesischen Bürgerkrieg für die Regierung wendet, auch wenn es scheint, dass sie den Süden mittelfristig nicht befrieden können werden. Daher setzt Washington statt auf Eskalation eher auf ein Abkommen. So könnten die Beziehungen zu Khartum vorsichtig normalisiert und ein Fuß in den Erdölsektor gesetzt werden, während die Interessen des Südens als Rute im Fester verbleiben. Eine Arbeitsgruppe in der Nähe der US-Administration drückt das so aus: „Wenn der Süden nun – mit entsprechender internationaler Unterstützung – in ernsthafte Verhandlungen eintritt, befindet er sich in einer besseren Position seine politischen und ökonomischen Interessen zu sichern, als wenn er diesen Schritt auf Jahre hinausschiebt.“(2)
Als Hindernis für diese Linie erweist sich die US-Präventivkriegsdoktrin, die dazu tendiert alle Konflikte über einen Kamm zu scheren. Die jüngste mediale und diplomatische Eskalation um Darfur kann als Ausdruck dessen interpretiert werden. Eine „kollaterale“ Funktion ist sicher von Palästina und Irak abzulenken und die Araber nicht als Unterdrückte, sondern als Unterdrücker darzustellen. Andererseits könnte die Eröffnung einer neuen Front im Darfur auch als zusätzliches Druckmittel gegenüber der NIF-Regierung dienen, die ihrerseits nach einem Ende der Isolation und einem Ausgleich mit Washington strebt.
Hinzu kommt, dass die verschiedenen Rebellengruppen und insbesondere die SPLA John Garangs keine reinen Marionetten des Westen darstellen, sondern durchaus Eigeninteressen vertreten, die nicht immer und direkt den Vorstellungen und Planungen des State Department und des Pentagon folgen.
Erst im vergangenen Juli, als Darfur schon in aller Munde war, gab das deutsche Unternehmen Thormählen Schweißtechnik AG bekannt, von John Garang den Auftrag zum Bau und Betrieb einer 4 100 km langen Bahnstrecke vom Südsudan in die kenianische Hafenstadt Mombasa erhalten zu haben.3 Sollte es verwirklichbar sein – was unter den heutigen Umständen keineswegs als gegeben angenommen werden kann – ist es nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ein dicker Fisch. Laut treffenden Kommentaren der kenianischen Presse wird die Eisenbahnlinie „die politische und geographische Landschaft des Kontinents verändern“.4
Jedenfalls hat sowohl die Darfur-Kampagne als auch diese Ankündigung die Kräfteverhältnisse wieder etwas zuungunsten von Khartum verschoben. Eine schnelle Einigung ist nicht abzusehen, ein militärisches Eingreifen der USA allerdings ebenfalls nicht. Aus Washingtons Sicht ist ein so massiver Schritt gar nicht nötig, da es über genügend wirkungsvolle Druckmittel zur Durchsetzung seiner Interessen verfügt.
Antiimperialistische und sozialrevolutionäre Positionierung
Da es sich um einen vielschichtigen Konflikt handelt, bedarf es auch einer differenzierten Stellungnahme. Klar ist, dass sich die gegenwärtige Kampagne in den globalen Präventivkrieg gegen den arabisch-islamischen Widerstand einreiht. Jede imperialistische militärische Intervention, und sei sie auch noch so humanitär getarnt, muss abgelehnt und bekämpft werden. Das gilt ebenso für die Organisation Afrikanischer Staaten, in denen proimperialistische Regimes wie das nigerianische oder das südafrikanische das Sagen haben. Ebenso wenig können wirtschaftliche oder sonstige Sanktionen hingenommen werden.
Doch es handelt sich bei der islamischen Regierung in Khartum keineswegs um ein organisch antiimperialistisches Regime. Vielmehr trachtete es stets danach die Auflagen des IWF so weit als möglich zu erfüllen. Am Oberlauf des Nils herrscht der politische Ausdruck der traditionellen handelskapitalistischen Klasse der Jellaba, deren Konflikte mit den USA der islamistischen Ideologie und ihren Konsequenzen geschuldet sind, derer sie jedoch bedarf um sich die Unterstützung in breiteren Schichten der Bevölkerung zu sichern. Wa…shing…tons Aggression gegen den arabisch-islamischen Widerstand, die eben auch als Krieg der Kulturen geführt wird, entfaltet ihre eigene Dynamik und ihre eigenen Widersprüche. So haben die USA die herrschende Gruppe des Sudan von sich abgestoßen, obwohl hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Grundpositionen aus imperialistischer Sicht kein Anlass dazu bestanden hätte.
Ein solcher Ausschluss zeitigt seinerseits auf die Herrschenden unweigerlich Wirkung und veranlasst sie zu Handlungen gegen die Interessen der USA – beispielsweise die enge Kooperation mit China. Im Ausmaß und in der Explosivität kann der Konflikt zwar mit jenem zwischen der irakischen Ba…‘th-Führung und den USA nicht verglichen werden, aber ein Analogiemoment lässt sich dennoch zeigen. Saddam hatte über die 80er Jahre hinweg bereits engstens mit Washington kooperiert. Zwar richtete sich sein Einmarsch in Kuwait tatsächlich gegen US-Interessen, doch wäre das Ba…‘th-Regime (in beiden Varianten mit und ohne Krieg) in das internationale imperialistische System einzubinden gewesen, ohne wesentliche Abstriche von US-Interessen machen zu müssen. Der Grund für das Embargo und den Genozid war vielmehr die geopolitische Notwendigkeit ein Exempel zu statuieren, mit dem der alleinige Weltherrschaftsanspruch der USA untermauert werden konnte.
Die linke und kommunistische Bewegung des Sudan, die eine Zeit lang zu den stärksten der Region zählte, forderte immer das Selbstbestimmungsrecht für den Süden und trat für die Autonomie ein. Nur so kann die Einheit des Sudan, die grundlegend auch eine Einheit gegen den Imperialismus impliziert, gewahrt werden. Die Unterdrückungspolitik der Jellaba-Klasse, die verbrannte Erde in den Erdölgebieten, kann nur das Gegenteil bewirken.
In lokale Konflikte müsste die Regierung vermittelnd und schlichtend eingreifen. Sie muss daran gehindert werden, sie für die Interessen der handelskapitalistischen Klasse zu missbrauchen und so die Einheit des Landes zu gefährden.
Die heute gültige Interpretation der Scharia als eiserne Diktatur der Handelsklasse sollte abgeschafft werden. Ein demokratisch-säkularer Staat sichert nicht nur die Einheit des Sudan am besten, sondern in einem solchen können auch die Interessen der breiten Volksmassen am besten verteidigt werden. Wenn sich jedoch die Mehrheit der Nordsudanesen für die Scharia aussprechen sollte, so ist das hinzunehmen, darf aber dem Süden nicht aufgezwungen werden. Dessen Autonomie ist auch im Bereich des Rechtssystems zu wahren.
Letztendlich kann der Bürgerkrieg und das Elend der breiten Masse der Sudanesen – das Land am Nil zählt zu den ärmsten Ländern der Welt – nur durch die Abschüttelung des Jochs des IWF und den Sturz des Regimes der Jellaba-Kapitalistenklasse beendet werden.
Willi Langthaler
12. September 2004
(1) siehe auch „Ethnicity from perception to cause of violent conflicts“, Mohamed Suliman, 1997
(2) U.S. Policy to end Sudan´s Civil War, Report of the CSIS Task Force on U.S.-Sudan Policy, February 2001
(3) www.thormaehlen-schweisstechnik.de/aktuell/5.out.htm
(4) Special report: Railway to Link Sudan and Kenya, The Nation, 27.6.2004