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Die Schlacht von Najaf

24. September 2004

US-Marionettenregime angeschlagen

Drei Wochen hielten die von Muqtada al-Sadr geleiteten Kämpfer der Mahdi-Armee der Belagerung durch die US-Marineinfanterie im vergangenen August stand. Schließlich mussten sich die militärisch weit überlegenen Besatzer unverrichteter Dinge zurückziehen, während die Mahdi-Armee de facto nur einem vorläufigen Waffenstillstand zustimmte. Politisch läuft der abgesagte Showdown in Najaf auf einen außerordentlichen Sieg Muqtadas und des Widerstandes hinaus, die die von den USA eingesetzte Regierung nicht auf die Beine kommen lassen.
Von der Offensive, die in die Defensive führte
Bereits im April 2004 hatten die US-Besatzer vergeblich versucht, die zwei Zentren der Resistance, nämlich die Hochburg des sunnitischen Widerstands Falluja auf der einen Seite und die Mahdi-Armee des schiitischen Widerstands auf der anderen Seite, militärisch zu vernichten. Der Doppelschlag sollte der Ende Juni ins Amt zu hievenden Übergangsregierung Raum schaffen, um die Reuigen und Belehrten einzubinden und so einem Marionettenregime eine soziale Basis und Stabilität zu verleihen.
Um diesem Geburtsfehler der irakischen Regierung abzuhelfen, entschieden sich die US-Besatzer nur einen Monat nach der Inszenierung des „Machttransfers“ einen abermaligen Angriff auf die Kräfte von Muqtada al-Sadr zu unternehmen. (Dabei musste auch dem letzten Zweifler klar werden, wie weit es mit der gerade eben übertragenen Souveränität des Irak her ist.) Da Muqtada genauso wenig wie der sunnitische Widerstand bereit war die Regierung anzuerkennen, stellte er für die Besatzer ein nicht zu duldendes alternatives Machtzentrum dar, das es schnellst möglich zu beseitigen galt. Daher werden auch Falluja und andere Zentren des Widerstands nach wie vor regelmäßig bombardiert.
Unter einem rein militärischen Blickwinkel gesehen, stellt die Mahdi-Armee einen weit schwächeren Gegner dar als der sich aus der ehemaligen Armee speisende Widerstand im sunnitischen Dreieck. Tatsächlich handelt es sich um kaum ausgebildete und nur sehr leicht bewaffnete Milizen, die sich aus der Jugend der städtischen Armenvierteln rekrutieren. Trotz eines extrem hohen Blutzolles verteidigten sich die Kämpfer Muqtadas mit höchstem Einsatz und Zähigkeit. Berichten zufolge legte die US-Armee mit Bombardements aus Flugzeugen, Hubschraubern sowie schwerer Artillerie die Altstadt von Najaf in Schutt und Asche, so dass sich die Verteidiger zunehmend in die Ali-Moschee – das höchste schiitische Heiligtum – zurückziehen mussten.
Die symbolische Bedeutung der Belagerung des Schreins kann gar nicht überschätzt werden. Die Ali-Moschee stand stellvertretend für das ganze irakische Volk, ja für die Muslime der ganzen Welt und insbesondere natürlich der schiitischen. Keine Regierung, die einen Rest von Unterstützung in den Volksmassen zu behalten versucht, konnte einen Sturm unterstützen oder im Dienste der Besatzer durchführen. Das Kabinett Allawi hingegen drohte vollmundig mit der Vernichtung der Widerstandskämpfer mittels gewaltsamer Einnahme der heiligen Stätte. Damit stellte sie zum wiederholten Male ihre totale Abhängigkeit von den Besatzern zur Schau.
Knapp vor dem Angriff hatten die USA die höchste religiöse Autorität der irakischen Schiiten, Ayatollah Ali al-Sistani, nach London ausgeflogen – angeblich aus gesundheitlichen Gründen, nachdem dieser die Stadt mehrere Jahrzehnte nicht verlassen hatte. Scheinbar sollte er buchstäblich aus dem Schussfeld genommen und ihm die schwierige Positionsnahme erspart werden. So schwieg er in London beharrlich, während seine Anhänger sein dringendes Eingreifen zum Schutz des Heiligtums und der Stadt erwarteten.
Als Muqtada schließlich nach mehr als drei Wochen noch immer nicht kapituliert hatte und auch nichts auf eine baldige Aufgabe hindeutete, indes ein Sturm den Besatzern und ihren Handlangern als politisch unmöglich erscheinen musste, blieb ihnen nichts anderes übrig, als al-Sistani wieder ins Spiel zu bringen. Dieser rief zu einem Marsch auf Najaf auf, dem mehrere Zehntausend Menschen Folge leisteten. Den Besatzern, die al-Sistani politisch bedeutungsvollen militärischen Begleitschutz auf seinem Weg von Basra nach Najaf zuteil werden ließen, schwebte ein Kompromiss vor, der zumindest zur Entwaffnung der Mahdi-Armee hätte führen sollen.
Doch der Marsch konnte unter den gegebenen Umständen gar nicht anders als eine gegen die Besatzer gerichtete Dynamik zu entfalten. So waren mindestens ebenso viele Konterfeis Sistanis wie Sadrs auszumachen. Und obwohl die US-treue irakische Armee ein Massaker mit mehreren Dutzend Toten anrichtete, gelang es ihr nicht die massive Teilnahme der angewachsenen Anhängerschaft Muqtadas zu unterbinden. In Najaf angekommen, war der Marsch zu einem regelrechten Entsatz für die Verteidiger der Moschee geworden – von einer unparteiischen Kompromisslösung war jedenfalls nichts mehr zu spüren. Zehntausende strömten in den Schrein und ermöglichten es so den Mahdi-Kämpfern zum Teil sogar ihre Waffen behaltend das Schlachtfeld ungeschlagen und in Würde zu verlassen.
Kompromiss?
Der unter Vermittlung Sistanis mit der US-Besatzungsmacht ausgehandelte Kompromiss sah im Wesentlichen auf der einen Seite den Rückzug der US- und irakischen Truppen aus Najaf, auf der anderen Seite die Entwaffnung der Mahdi-Armee vor. Die realen Kräfteverhältnisse bei der Beendigung der Belagerung erlaubten es den Aggressoren jedoch nicht, diese Entwaffnung zu kontrollieren geschweige denn sie selbst vorzunehmen. So läuft der Kompromiss de facto auf einen Waffenstillstand hinaus. Und obwohl Muqtada zur Einstellung der Kampfhandlungen aufrief, dauern die Gefechte vielerorts an. In Bagdad fordert die Miliz weiterhin vehement den Abzug der Besatzer aus dem Armenviertel als Voraussetzung einer Waffenruhe.
Die westliche Presse stellte das friedliche Ende der Belagerung als Erfolg Sistanis dar, der die Kontrolle über den Schrein wieder übernommen hat. Auf dem Feld der Religion mag seine Autorität unangetastet bleiben. Politisch indes zwangen ihn die Volksmassen Muqtada al-Sadr zu entsetzen, was den Einfluss des letzteren noch weiter stärkt. Es ist mittlerweile nicht zu übersehen, dass Muqtadas Bewegung zur führenden politischen Kraft unter den Schiiten und auch zur wichtigsten politischen Kraft des Widerstands aufgestiegen ist.
Trotz so mancher Zweideutigkeit in den Aussagen Muqtadas hinsichtlich der Teilnahme am politischen Prozess, die ihm eine Hintertür zu einem substantiellen Kompromiss mit den Besatzern offen halten oder aber dieses nur suggerieren soll – die Ambiguität scheint gewollt und charakterisierte Muqtada von Anbeginn –, hat der Widerstand einen weiteren Erfolg errungen und geht konsolidiert aus der Schlacht von Najaf hervor.
Regierung in der Ecke
Die Kollaborationsregierung hingegen hat sich politisch völlig isoliert und delegitimiert. Selbst viele ihrer Funktionäre haben sich vom Vorgehen gegen Najaf distanziert.
Die heutige irakische Regierung steht um nichts besser da als der Übergangsrat, den sie mit dem Ziel ablösen sollte, dem proamerikanischen Regime eine breitere Basis zu geben. Tatsächlich stellt sich aber die Lage für die Besatzer viel ungünstiger als zuvor dar, da „Machttransfers“ nicht beliebig oft inszenierbar sind und der Widerstand seine Lebensfähigkeit und Zähigkeit unter Beweis gestellt hat. Er erscheint mittlerweile als militärisch nicht unterdrückbar.
Die einzige noch offene Option einem genehmen Regime Legitimität zu verleihen, bleiben allgemeine Wahlen. Diese würden von gewichtigen Kräften wie Sistani unterstützt werden. Indes werden die Unwägbarkeiten immer größer, je mehr sich der Widerstand konsolidiert.
Die Hoffnungen der Besatzer den Irak so unter Kontrolle zu bekommen, dass Wahlen, die diesem Begriff nicht spotten, ein ihnen genehmes Ergebnis zeitigen könnten, sind zerstoben. Da das Marionettenregime keinerlei Verankerung und Glaubwürdigkeit besitzt, wird ihr die Ausarbeitung einer vorläufigen Verfassung, die zumindest von wichtigen Teilen der Elite unterstützt werden müsste, kaum gelingen. Hinzu kommt, dass unter den Bedingungen des Widerstands die Registrierung der Wähler flächendeckend gar nicht und sonst auch nur unter aller größten Schwierigkeiten durchführbar sein würde. Schon jetzt sprechen westliche Medien davon, dass in einigen Regionen wie beispielsweise Falluja nicht gewählt werden wird.
All dies schmälert den Wert von Wahlen zur Stabilisierung der US-Besatzung – und je länger die USA zuwarten, desto ungünstiger könnte für sie die Lage werden. Selbst die amerikanischen Neokonservativen forderten möglichst rasche Wahlen. Denn auch sie gehen davon aus, dass die Zeit gegen ihr Imperium spielt.
Politische Alternative
Bisher schien das Hauptproblem des irakischen Widerstands das Fehlen einer politischen Front, die alle Kräfte des Widerstands bündeln und eine Alternative, eine embryonale Gegenregierung darstellen könnte. Jedoch haben sowohl die Verteidigung Fallujas im April als auch die Najafs im August Solidarität aus dem ganzen Land erfahren. Die verschiedenen Führungen des Widerstands sprachen sich nicht nur gegenseitige Unterstützung aus, sondern ließen auch Taten folgen. So erscheinen heute die Bedingungen zur Bildung der notwendigen Front günstiger denn je zuvor.

Willi Langthaler
September 2004

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