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Friedensaktivisten während Invasion in Nablus verhaftet

24. September 2004


Am 21. August um ca. vier 4 Uhr Nachmittags betraten vier internationale Friedensaktivisten (Aaron/USA, Tom/England, Uwe/Deutschland und ich, Franz/Österreich) von ISM (International Solidarity Movement) und ein palästinensischer Sanitäter ein Haus im Flüchtlingslager Balata in der Nähe von Nablus. Es war der fünfte Tag der Militärinvasion namens „Cleaning the trash“ (ein Name sagt alles). Soldaten besetzten ein Apartment. Die Familie war in einem anderem Raum im gleichen Apartment. Wir wollten diese Familie mit Wasser, Essen und Medikamenten versorgen. (Laut Menschenrecht hat jeder Zivilist während Militäroperationen das Recht auf medizinische Versorgung).Wir versuchten vorher, mit den Soldaten durch Rufe („Unarmed Internationals and Medical Relief. We want to see the family. We are not interested in you.“) Kontakt aufzunehmen. Sie antworteten nicht. Während wir reingingen und zum Apartment raufgingen, wiederholten wir die Rufe. Als wir im Halbstock vor der Wohnung waren, stürmten zwei Soldaten raus, mit Gewehren auf uns gerichtet. Uwe war zu diesen Zeitpunkt nicht bei uns. Wir wurden geschnappt, in die Wohnung, in den Raum, wo die Familie saß, geschmissen. Wir mussten unsere Taschen und Hosensäcke entleeren, Handys und Pässe wurden konfisziert. Unsere Hände wurden mit Kabelbinder hinter den Rücken gefesselt. Wir konnten nicht miteinander reden. Die Soldaten verhielten sich sehr aggressiv. (O-Ton: „If you don´t shut up, we will bash your face against the wall until it´s flat“).
Nach ein paar Minuten wurde Uwe in den Raum geschmissen. Er konnte runtergehen, andere informieren, ging dann wieder rauf und wurde genauso festgenommen. Die Soldaten schlugen ihn. Die Situation im Raum war beschissen: Die Frauen weinten, die Kinder waren geschockt. Dann wurde uns ein Shirt über den Kopf gestülpt. Es war unglaublich heiß, ich hatte Probleme zu atmen. Ich war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Nur dank des Familienvaters, der mir Wasser gab, blieb ich halbwach. Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand dauerte. Kurz bevor die Soldaten das Haus verließen, wurde das Shirt entfernt. Wir wurden in das Wohnzimmer gebracht. (Dort waren die Soldaten, ich glaube sie haben das als eine Art Scharfschützennest missbraucht), dann wieder in den anderen Raum gebracht. Zu diesen Zeitpunkt war es mir möglich, mit den Kindern mittels Gestik kleine Späße zu treiben. Als die Soldaten das Haus verließen, wurden Uwe, Tom und ich in die Mitte genommen. Aaron (er hatte das Glück, den Pass nicht bei sich zu haben) und der Sanitäter blieben bei der Familie zurück. Vor dem Hauseingang warfen die Soldaten Soundgranaten und Rauchbomben. Der Hauseingang liegt in einer für Autos zu enge Gasse. Auf der Hauptstraße wartete ein Militärjeep auf uns. Wir wurden hineingedrängt. Erneut wurde ein T-Shirt über unseren Kopf gestülpt.Nach ein paar Minuten hielt der Jeep. Wir Gefangenen mussten raus in einen anderen Jeep. Als ich als letzter rauskroch, kickten einige Soldaten mit ihren Füßen nach mir. Wir wurden auf eine Militärbasis gebracht. Nachdem wir den Jeep verlassen hatten, mussten wir uns in einer Reihe aufstellen. Durch das T-Shirt konnte ich nur die Silhouette der Soldaten erkennen. Ich hörte, wie sie an ihren Gewehren rummachten. Ein paar Soldaten machten Späße. Einer steckte mir ein gebrauchtes Taschentuch in die Hose. Dann wurden wir – immer noch mit verbundenen Augen und Arme hinter dem Rücken gefesselt – in das Innere der Basis geführt. Eine kleine Steinmauer war unser Gefängnis für die nächsten Stunden. Das T-Shirt wurde mit einer „professionellen“ Augenbinde gewechselt. Wie Schwerverbrecher saßen wir auf der Mauer. Nach einiger Bettelei durften wir aufs Klo gehen. Für kurze Zeit ohne Kabelbinder. Nach noch längere Bettelei konnten wir rauchen. Dafür wurden unsere Hände vor uns gefesselt. Dies blieb auch nach der Zigarette so. Anfangs waren die Soldaten äußerst unfreundlich. Speziell Uwe wurde als Nazi beschimpft. Ein Soldat spielte auf der Gitarre und sang verarschend: „Stop killing Balata Children“. Später wurden sie freundlicher. Gegen 11 Uhr nachts kam die Polizei. Endlich wurden Kabelbinder und Augenbinde entfernt. Wir wurden in die Polizeistation in Ariel, eine große Siedlung im Westjordanland, gebracht. Dort erfuhren wir was uns vorgeworfen wurde: Behinderung von Soldaten in ihrer Pflicht und Gefährdung von Soldatenleben! Beide Vorwürfe sind totaler Blödsinn. Die Soldaten sind bewaffnet, wir nicht. Sie gefährden andere und unser Leben. Auch behinderten wir die Soldaten nicht. Es wäre ihnen jederzeit möglich gewesen uns fortzujagen. Sie haben uns in unsrer Pflicht behindert, Menschenrechte anzuwenden. Wir wurden befragt (Aussageverweigerung). Gegen drei Uhr wurden wir in unsere Zelle gebracht.Tom, Uwe und ich konnten uns eine Zelle teilen. Zwischen sechs und halb sieben wurden wir wieder geweckt. Frühstück: Das erste Essen, seitdem wir festgenommen worden waren. Es bestand aus einer Tasse Tee, zwei Stück Toastbrot und etwas Käse. Dann wurden wir zum Ben-Gurion-Flughafen ins Abschiebe-Zentrum gebracht. Unser Recht auf einen Telefonanruf wurde ständig missachtet. Erst gegen elf Uhr mittags konnten wir mit unsererAnwältin reden. Eine Stunde später waren wir frei. Der Grund für unsere Freilassung war nicht, weil sie einsahen, dass sie im Unrecht waren, auch nicht, weil wir beschissen behandelt wurden, sondern weil es einen Formfehler gab: Soldaten in Palästina dürfen „nur“ Palästinenser festnehmen, Internationale dürfen nur von der Polizei festgenommen werden.Bei der ganzen Geschichte darf nicht vergessen werden, dass uns gerade in der Haft der Status als Internationaler half. Ein Palästinenser wäre nie so glimpflich davon gekommen.

Franz Bortenschlager

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