„Das sinnlose Erschießen von Kindern muss aufhören. Wir wissen, dass das Morden von Kindern weiter gehen wird, wenn die internationale Öffentlichkeit ihre Stimme nicht dagegen erhebt.“
Diese Nachricht erreichte uns aus dem Balata-Flüchtlingslager bei Nablus am 12. August 2004. Seit ungefähr einem Jahr ist Nablus im Westjordanland das Zentrum des Terrors der Besatzungsmacht. Abriegelungen, Ausgangssperren, Verhaftungen, Zerstörungen, Erschießungen und die Präsenz der Panzer, Jeeps und Scharfschützen in den Straßen gehören zur täglichen Realität. Die Meldungen über Kinder, die erschossen oder angeschossen wurden, häufen sich in letzter Zeit, wobei nicht klar ist, ob es nur mehr Zeugen gibt oder ob die israelischen Soldaten immer weniger Hemmungen haben, ausgerechnet Kinder zu erschießen.
Die Kinder und Jugendlichen, die seit dem 17. Juli 2004 in Balata und Nablus erschossen wurden:
…• Husam Abu Zaitun, 17 Jahre
…• Salim Alkusa, 16 Jahre, Bauchschuss, stirbt zwei Stunden später am 10. August 2004
…• Sami Abu Mustafa, 15 Jahre, Kopfschuss, 10. August 2004
…• Bashar Zwiek, 16 Jahre, Gummigeschosse ins Gesicht, blind
…• Mohammed Hurani, 15 Jahre, am 11. August von Scharfschützen erschossen
…• Yasir Tantawy, 20 Jahre, erschossen
…• Khaled Al-Osta, 10 Jahre, getötet durch einen Kopfschuss am 17. August 2004
Alle diese Erschießungen hatten Augenzeugen: Keines der Opfer hatte irgendeine Art von Waffe und die Soldaten konnten klar sehen, auf wen sie schossen. Warum die Kinder und Jugendlichen? Sie sind es, die die Soldaten, die sicher in ihren gepanzerten Fahrzeugen sitzen und Macht demonstrieren, am leichtesten provozieren können. Die Soldaten erscheinen ohne ersichtlichen Grund, parken provokant oder fahren so lange durch die Straßen und werfen wahllos Tränengas oder Soundgranaten, bis die Jugendlichen vielleicht beginnen Steine zu werfen und geschossen werden kann. In manchen Situationen bedarf es nicht einmal der Steine.
Die Soldaten besetzen palästinensische Häuser, die sie für ihre Operationen als passend erachten um zum Beispiel günstige Scharfschützenpositionen zu haben. Das bedeutet Terror für die Familien und keine Möglichkeit, das Haus zu verlassen um notwendige Lebensmittel oder Medikamente zu besorgen. Als das Haus der Familie Walwil in der Nacht zum 12. August besetzt wurde, hatte die Frau, die im sechsten Monat schwanger war, eine Totgeburt. Sechs Monate zuvor verlor die Familie einen Sohn – von Soldaten erschossen.
Da der israelischen Armee Augenzeugen unangenehm sind, wurden hier vier internationale Aktivisten verhaftet, die der Familie Lebensmittel und Medikamente brachten.
Am 23. August wurde das Flüchtlingslager Askar überfallen. Türen wurden willkürlich zertrümmert – wie so vieles willkürlich erscheint und anscheinend nur der Demütigung und der Verbreitung von Angst und Terror dient. Allen Männern zwischen 16 und 40 Jahren wurde „nahegelegt“, sich in der Schule einzufinden. Wer auf der Straße erwischt würde, würde erschossen. Bei dieser Aktion wurden, wie bei all den anderen, Häuser und Wohnungen demoliert, Menschen verwundet und getötet.
Ein Auszug aus der Realität in Nablus – ein kleiner Auszug aus dem Leben unter der Besatzung Israels, der Augenzeugen hatte und deshalb die Öffentlichkeit erreicht. Er sollte reichen, dass man die gängige Definition von „Terror“ und „Terroristen“ auf den Kopf stellt, begreift, wer die Terroristen sind und die ideologische Mauer durchbricht, die die israelischen Kriegsverbrechen noch immer deckt.
Elisabeth Lindner-Riegler