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Wen läßt Israel „büßen“?

26. Oktober 2004

junge Welt, 26.10.2004

Die israelische Armee hat ihre Militäroffensive im Gazastreifen für beendet erklärt, fährt mit ihren Angriffen aber fort. Eine vorläufige Bilanz
von Klaus Polkehn

„Mission has been effectively accomplished“, zitierte die Washington Post am 16. Oktober den Sprecher der israelischen Armee, Hauptmann Jacob Dallal. „Mission erfolgreich ausgeführt“ – vielleicht war es ein Zufall, daß die gleichen Worte seinerzeit auf einem US-Flugzeugträger auf ein Transparent geschrieben waren, vor dem US-Präsident George W. Bush das – wie er dachte – Ende des Irak-Krieges verkündete. Doch vielleicht ist die Sprache gewisser Politiker und Militärs einfach so.

Der „Mission“, die am 29. September begann, hatte man den Namen „Operation Days of Penitence“ verpaßt, was in Deutschland von den meisten Medien mit „Tage der Reue“ übersetzt wurde. Doch wer sollte was bereuen? Penitence heißt auch „Buße“, und das ist logischer: Die Palästinenser sollten „büßen“ – konkret für den Abschuß einer Kassam-Rakete auf die israelische Stadt Sderot, die zwei Kinder tötete. Vielleicht sollten sie aber auch dafür büßen, daß sie sich immer noch nicht den Besatzern und Aggressoren unterwerfen.

Panzer in Flüchtlingslagern

Ziel der 17tägigen „Mission“ waren das Flüchtlingslager Dschabalija im Norden des Gazastreifens und die beiden benachbarten Orte Beit Lahija und Beit Hanoun, gegen die 60-Tonnen-Panzer Typ „Merkava“ und AH-64-„Apache“-Hubschrauber eingesetzt wurden. Amira Hass schrieb dazu in der israelischen Tageszeitung Ha´aretz (13. Oktober): „Wer erinnert sich daran, daß acht Kinder unter siebzehn am 30. September getötet wurden, als eine Panzergranate aus einer Schule in eine überfüllte Straße abgefeuert wurde? Eine Granate aus der Entfernung von nur wenigen Metern abzufeuern, ist zur Gewohnheit geworden, legitim und ganz gefechtsmäßig, denn jene, die die Granaten abschießen, sind Israelis, geschützt in ihren Panzern, und die Ziele sind Palästinenser in ihren nackten Betonhäusern.“

17 lange Tage hindurch waren etwa 50000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten, also auch von der Versorgung mit Lebensmitteln, von Elektrizität und teilweise auch von Trinkwasser. Wie die UNO mitteilte, sind 91 Gebäude, in denen 143 Familien wohnten, zerstört worden und mehr als vierhundert beschädigt. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen seien Flüchtlinge. Der Wiederaufbau der zerstörten Häuser werde rund zwei Millionen Euro kosten.

Die dürren Statistiken sprechen von mehr als 140 Toten, davon waren dem Sprecher der israelischen Armee zufolge „80 Bewaffnete“, also mit anderen Worten: 60 unbeteiligte Zivilisten! Es wurden zehn Kinder unter 14 Jahren getötet (auch dem Sprecher der israelischen Armee zufolge). Es wird von 422 Verletzten berichtet, davon 138 Kindern. Eines der letzten Opfer der „Mission“ war die 65jährige Fatima Mohammed Hussein Asalia. Augenzeugen berichteten von schwerem Maschinengewehrfeuer gegen Wohnhäuser im Flüchtlingslager Dschabalia, als ein Geschoß Fatima in den Kopf traf. Sie war auf der Stelle tot. Sie hatte sich gerade aufs Fastenbrechen am ersten Tag des Ramadan vorbereitet.

Täglich neue Einsätze

„Mission effectively accomplished“ – das ist nur die halbe Wahrheit. Kaum hatten sich israelischen Soldaten im Norden des Gazastreifens zurückgezogen – nicht ganz, nicht auf die Ausgangspunkte ihrer „Operation“ – rückten sie erneut im Süden vor, nahmen wieder Rafah ins Visier. Bei israelischen Angriffen in Chan Junis wurden am Montag mindestens zwölf Palästinenser getötet und 50 verletzt. Täglich werden zudem Militäreinsätze von der Westbank gemeldet. Und die massive Behinderung der Olivenernte – Oliven sind für Zehntausende Palästinenser eine unverzichtbare Quelle ihres Lebensunterhalts – durch das Militär und durch von der Armee unterstützte rabiate Siedler scheint in diesem Jahr einem Höhepunkt zuzusteuern.

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