von Hanan No-Shi
Vorgestern (3.11.) stand wieder einmal das monatliche Meeting vom ISM in Ramallah auf dem Programm, zu dem wir – die drei palästinensischen Koordinatoren und drei Internationale – um 8 Uhr in der Altstadt von Nablus aufbrachen. Nach Ramallah sind es ca. 50 Kilometer, es kann sich jeder ausrechnen, wie lange man normalerweise für diese Strecke braucht.
Tatsache ist, dass wir 11 Stunden brauchten, um in Ramallah anzukommen.
Als kleine Hintergrundinformation ist vorab wichtig zu wissen, das seit drei Tagen etwas in und um Nablus im Gange ist. Das hat zum einen mit dem 16-jährigen Mann aus dem Askarcamp in Nablus zu tun, der sich vor ein paar Tagen in Tel Aviv in die Luft gesprengt hat, woraufhin am Montag die Armee dort auftauchte, im Laufe des Nachmittags einen 12-jährigen Jungen erschoss, am Abend dann in die Altstadt von Nablus eindrang, wo als Frauen verkleidete Mitglieder der israelischen special forces drei gesuchte Personen töteten, als sie aus der Moschee kamen, einen vierten Mann verletzten, so dass er später starb, ausserdem zwei andere gesuchte Personen schwer verletzten, so dass diese im Krankenhaus behandelt werden mussten. Aus dem sie am nächsten Tag flohen, bevor sich ihre Ahnung bestätigte, dass die Israelis mit einem Grossaufgebot ins Krankenhaus eindringen würden, um nach ihnen zu suchen.
Zum anderen planen die Militärs höchstwahrscheinlich eine neue Invasion in Nablus, jede Nacht sind spie-planes und Hubschrauber am Himmel, jede Nacht dringen Jeeps in die Altstadt und die camps ein, ausserdem war die ganze Stadt die letzten 2,5 Tage komplett abgeriegelt, die checkpoints so gut wie geschlossen, alle Zufahrtsstrassen mit Militärfahrzeugen gespickt.
Unter diesen Voraussetzungen machten wir uns also am Mittwoch um 8 Uhr morgens auf den Weg. An der Taxistation in Nablus angekommen, hiess es, es sei so gut wie unmöglich, aus der Stadt rauszukommen, es gäbe eigentlich nur eine Strasse, die man probieren könne. Wir nahmen also das erste Taxi, und fuhren in Richtung aus der Stadt heraus, dann nach Westen den einen die Stadt umgebenden Berg hoch, durch dorfähnliche Gegend. Nach ca. 15 Minuten machte der Fahrer plötzlich hinter einer Kurve eine Vollbremsung, es standen ca. 100 Meter vor uns 4 Soldaten auf der Strasse. Das war fast das erste Mal, dass ich hier in Nablus Soldaten zu Fuss unterwegs sah, ein Zeichen, wie sicher sie sich fühlten. Der Fahrer machte hektisch kehrt und brauste davon.
In einiger Entfernung warteten wir, machten dann nach 10 Minuten einen zweiten Versuch auf einer nahe gelegenen anderen Strasse, doch auch hier tauchten bald 2 Militärfahrzeuge auf, also zurück… Wir fuhren den Berg wieder runter, unten wartete ein Traktor mit Anhänger auf uns. Wir 6 und fünf andere ältere Männer, die auf dem Weg nach Mekka waren, kletterten auf dem Anhänger und machten es uns auf dem dürftig mit Planen ausgelegten Boden bequem. Für 60 Minuten unter heisser Sonne ging es nun am Boden kauernd – man wollte ja nicht zu sichtbar sein für die Ferngläser der Soldaten – Sand- Stein- und Geröllwege rauf und runter, unter Olivenbäumen hindurch, über Roadblockreste hinweg, mal rutschend, mal ausscherend, mal hüpfend und springend, aber immer begleitet von dem rauchenden telefonierenden, singenden, auf seinem Sitz hin und her balancierenden einfach grossartigen jungen Fahrer, der die Gegend kannte wie seine Hosentasche. Er fuhr uns im Endeffekt praktisch den Berg rauf, dann ein Stück durch Dörfer nach Norden, dann den Berg wieder runter, nicht ohne zuvor eine andere Strecke probiert zu haben, auf dem wieder mitten in der Pampa ein Jeep auftauchte und uns zum Umkehren zwang.
Mit dieser Tour umgingen wir unten im Tal einen checkpoint, durch den wir sicherlich nicht rausgelassen worden wären.
Nach ca. einer Stunde, nun hinter dem Vorort Beit Iba und vor dem Dörfchen Der Scharaf, stiegen wir wieder in Taxi. Doch diese Fahrt war nach 5 Minuten ersteinmal beendet, hinter dem Dorf war ein sogenannter flying checkpoint errichtet worden, von dem wohl alle mehr oder weniger überrascht waren, zumindest der Taxifahrer. Diese checkpoints bestehen aus nichts ausser zwei am Strassenrand stehenden Jeeps oder grösseren Militärfahrzeugen und einer Handvoll Soldaten, die sich wichtig tun können.
Kurzum – wir wurden also angehalten, die Pässe wurden kontrolliert, wir drei Ausländer bekamen sie wieder, durften weiterfahren. Taten wir natürlich nicht. Die ID`s der drei Palästinenser behielten sie erst einmal. Sie behielten sie für die nächsten 60 Minuten, in denen sie uns anhielten, im Taxi zu warten. In der nächsten Stunde hielten sie auf diese Art noch ca. 25 weitere palästinensische Männer fest, auf unbestimmte Zeit “ detained“. Nach ca. 45 Minuten rief ich Hamoket an, eine palästinensisch-israelische Menschenrechtsorganisation, die sich solchen Kollektivbestrafungen und Checkpoint-Problemen annimmt. Die nahmen dann auch Kontakt zum örtlichen commander auf, und nach 10 Minuten bekamen alle ihre ID`s zurück und konnten weiterfahren – oder wurden zurückgeschickt. So wie unsere drei. Sie holten also ihre Pässe von dem Soldaten ab, bekamen die Order, zurück nach Nablus zu fahren, kamen dann zum Taxi zurück, in dem wir sassen, sprangen hinein, blickten auf die von der Männertraube umgebenen Soldaten zurück und riefen dem Fahrer zu, dass sie zwar nicht dürften, er aber einfach Gas geben und Richtung stadtauswärts davonbrausen solle. Was dieser auch prompt tat, und tatsächlich unbemerkt von den Soldaten.
Nach ca. 15 Minuten mussten wir wieder den Fahrer wechseln, dieser sollte uns nun endgültig nach Ramallah fahren. Wir wussten von checkpoints zwischen der Stelle wo wir waren und Ramallah und sprachen mit dem Fahrer. Er möge diese doch bitte umfahren, was ja möglich sei. Er meinte aber, man könne es ja wenigstens mal probieren, notfalls würden wir halt umkehren und ihn dann umfahren.
Es kam, wie es kommen musste, wir wurden am checkpoint Zatara gestoppt, die Pässe wurden kontrolliert, wohin, woher, warum. 5 von uns bekamen die Pässe zurueck, aber dann bekamen wir die nächste Stufe des Apartheidssystems hier zu spüren. Einer unserer Koordinatoren, Mohammad, ist aus Balata, dem Flüchtlingslager in Nablus, was auch so in seinem Pass steht. Er braucht deswegen eine spezielle Erlaubnis, um Nablus auf regulärem Weg zu verlassen, die er nicht hat, weil er sie nicht will. Darauf machten ihn die Soldaten aufmerksam, er erzählte ihnen, dass er das wisse, das er eine bräuche, er aber schon so oft probiert hätte, eine zu bekommen, dies ihm aber verweigert wurde.
Damit waren die natürlich gar nicht zufrieden. Was nun folgte waren 3,5 Stunden „Detainment“. Ich wartete mit ihm, der Rest der Gruppe 200 Meter hinter dem checkpoint. In dieser Zeit versuchte ich zweimal- am Anfang, und nach Schichtwechsel – mit den Soldaten zu verhandeln, redete mir den Mund ziemlich fusselig, verlangte den commander, sprach auch mit ihm, musste mir solche Sachen anhören wie Warnung, Bestrafung, Lektion für ihn usw., war im Endeffekt nicht erfolgreich. Von Anfangs 6 oder 7 angedrohten Stunden Wartezeit reduzierten sie diese dann aber auf 3,5.
Das meeting in Ramallah ging exakt drei Minuten vor Mohammads Freilassung zu Ende, es war ausserdem die Zeit des Fastenbrechens, was die ganze Sache noch frustrierender machte.
Kurzum, Mohammed wurde also freigelassen, durfte aber nicht den Weg nach Ramallah fortsetzen.
Wir stiegen also wieder diesseits des checkpoints ins nächste Taxi, der Fahrer meinte, er kenne einen Weg ganz weit aussen herum nach Ramallah, auf dem keine checkpoints wären. Wir vertrauten ihm und begannen, uns entspannt zurückzulehnen. Dann im nächsten Dorf die erste Rechtskurve und was war da? Ein flying checkpoint in 150 Metern Entfernung…
Wir mussten uns dann recht intensiven Befragungen unterziehen, hatten aber eine ganz nette story für die Soldaten parat, wurden letzendlich – jetzt nur noch zu viert (zwei der Koordinatoren hatten den Heimweg nach Nablus bereits wieder angetreten. Anm.d.Red.)- durchgelassen.