Site-Logo
Site Navigation

Soldaten in der Altstadt von Nablus

11. Dezember 2004

von Hanan No-Shi

Ich sass gerade mit Sameh gemütlich Tee trinkend zusammen, liess die letzte Woche Revue passieren, als er einen Anruf bekam, es seien Jeeps in etlichen Strassen und Gassen der Altstadt. Wir machten uns sofort auf den Weg, kontaktierten noch die anderen drei aus unserer Gruppe, die sich gerade in Balata aufhielten. Dann hörten wir telefonisch von einem durch die Jeeps verursachteten Autounfall und wollten nachsehen, ob die Krankenwagen Zufahrt zu den Verletzten bekommen hatten. Dies war zum Glück der Fall, es hatte nach Vollbremsung eines Fahrers einen Auffahrunfall gegeben, dabei war ein Auto sich überschlagend von der Strasse abgekommen; alle Beteiligten konnten aber sofort ins Krankenhaus gebracht werden.

Auf dem Weg zu dem Geschehniss gingen wir durch die ausgestorbenen Altstadtgassen, mussten an mehreren Jeeps vorbei, manche von ihnen halb leer (schlechtes Zeichen, deutet dies doch meist auf Häuserbesetzungen hin). Als wir in der einen schmalen Strasse zwei der Jeeps passierten, trafen wir auf drei junge Männer in einem Hauseingang, von denen der eine nach Hause gehen wollte, aber zu ängstlich war, an den beiden Jeeps vorbei seinen Weg zu nehmen. Wir boten ihm an, ihn zu begleiten, kehrten nun also zu dritt wieder um. Das kam den Soldaten im ersten Jeep dann doch verdächtig vor, der Beifahrer öffnete die Tür und bellte die beiden an, ihre Jacken, Pullover etc. zu lüften, sich zu drehen, dann verlangten sie Sameh`s Ausweis und fragten, was unser Verhalten zu bedeuten hätte. Als er erklärte, dass wir den Jungen ein Stück begleiten wollten, da er Angst vor den Soldaten hatte, wurde er zurückgefragt, ob er selbst denn keine Angst hätte? Wie froh war ich, als er ihnen antwortete, warum er Angst haben solle, er sei schliesslich vollkommen clean, habe nichts zu verbergen. Nach kurzem unfreundlichen Hin und Her gingen wir schliesslich weiter, brachten den jungen Mann nach Hause, kehrten wieder um. (Diese ganze Situation fand ich ziemlich übel und entwürdigend und war für mich so klassisch stellvertretend für die ganze Besatzungssituation und für das unglaubliche Macht-Ungleichgewicht, welches hier herrscht). Wieder an dem gleichen Jeep vorbei, öffnete sich diesmal die Hintertür, wieder wurden wir hinbeordert, was wir hier täten, wie auffällig wir seien etc,etc. Sameh erklärte, dass er schon dem commander eine Erklärung abgeliefert hatte, sie sollten sich besser absprechen. Im Endeffekt liessen sie uns tatsächlich gehen. Dann, drei Minuten später, wir gingen die leere Marktgasse entlang, kam ein Jeep von hinten auf uns zugefahren, drängte uns an die Seite. Wir blieben stehen, hauptsächlich deshalb, weil in dem Moment ein Steinegewitter auf das Fahrzeug niederging und wir nicht so gern von ihnen getroffen werden wollten. Natürlich blieb der Jeep direkt neben uns stehen, zum Glück kamen aber die Steine von schräg über uns, so dass wir nicht wirklich in Gefahr waren. Die Wand hinter uns, den Jeep 2 Meter vor uns, öffnete nach 2 Minuten der Fahrer die Tür, brüllte etwas auf Hebräisch, wir antworteten auf Englisch. Sameh machte einen Schritt auf den Fahrer zu, um mit ihm besser kommunizieren zu können. Was der nun eigentlich von uns wollte, wurde uns nie wirklich klar, da in dem Moment palästinensische Fighter vom Dach gegenüber die Gunst der Stunde und der geöffneten Autotür nutzen wollten und anfingen, auf das Fahrzeug zu schiessen. „Freundlicherweise“ meinte der Fahrer noch „Be careful“ zu uns und hielt uns an, uns an der Mauer entlang zurückzuziehen! Dies taten wir. In den Gassen trafen wir auf Männer jeden Alters, zum Teil bewaffnet, zum Teil Steine sammelnd, man tauschte schnell aus, wo die Soldaten überall seien, schon bald bekamen wir die Meldung, dass sie etliche Häuser besetzt hatten.

Nach fünf Minuten trafen wir die drei anderen, begleitet von drei palästinensischen „medical volunteers“ setzten wir unseren Weg fort, inzwischen war es 22 Uhr. Mit Hilfe der einmaligen Kommunikation begaben wir uns in den nächsten anderthalb Stunden immer dahin, wo Jeeps auf den Strassen oder Soldaten in Häusern waren, machten lautstark auf uns aufmerksam, waren einfach für sie sichtbar präsent, versuchten in eines der Häuser, in dem sich Scharfschützen verschanzt hatten und von dem wir wussten, dass eine alte Frau in dem Gebäude wohnt, zu gelangen, was aber nicht erfolgreich war. (Im Endeffekt hörten wir zum Glück, dass die Frau an dem Abend nicht zu Hause war). Irgendwann gegen Viertel nach 11 wurde dann mitgeteilt, dass die meisten Jeeps sich zurückgezogen hätten, aber ca. 10 Häuser besetzt seien. Wir entschieden uns notgedrungen, unser Tun abzubrechen, hauptsächlich da die palästinensischen Sanitäter sich zurückziehen wollten, da sie sicher waren, dass wir nicht erfolgreich intervenieren könnten, da die Soldaten in den Häusern uns eh keinen Zugang zu den Familien verschaffen würden. Dazu kam, dass von uns 4 drei „unarrestable“ waren, so dass wir eh nicht die hartnäckigsten Aktionen hätten starten können, um uns Zutritt zu den Familien in den Häusern zu verschaffen. Wäre unsere Gruppe hier richtig gross, hätte die Situation anders ausgesehen, aber dies ist nun mal leider nicht der Fall.

So präsentiert sich hier die nach Frieden strebende einzige Demokratie im Nahen Osten…

Heute morgen bin ich aufgewacht durch das Weinen von Umm Hussein. Sie und ihr Mann hatten die Sondererlaubnis bekommen, am morgigen Mittwoch ihren 21-jährigen Sohn, welcher für die nächsten 22 Jahre in Haft sein wird, das erste Mal seit 1,5 Jahren zu besuchen, ein Privileg, welches den Bewohnern von Nablus routinemässig verwehrt wird. Am frühen Morgen hatten sie jedoch die Nachricht bekommen, dass die Erlaubniss zurückgezogen worden war…

7.Dezember 2004

Thema
Archiv