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„Nichts nachgewiesen, nicht angehört …“

28. Dezember 2004

aus junge Welt, 18.12.2004

jW dokumentiert Auszüge aus einem Brief an die Böll-Stiftung

siehe dazu auch folgenden Artikel:
Förderdespotie bei Böll – Kurzer Prozeß wegen Kritik an Israel

* Am 18. November 2004 wandten sich Prof. Dr. Werner Ruf und Prof. Dr. Mohssen Massarrat wegen des Ausschlusses des ägyptischen Stipendiaten Mostafa Elhady aus der Promotionsförderung an die Heinrich-Böll-Stiftung und das HBS-Studienwerk sowie mehrere grüne Mandatsträger, darunter die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth:

Mit Ihrem Brief an uns und Ihrer Antwort an die HBS-Stipendiaten vom 22.10.2004 samt beigelegter Vorgeschichte der HBS-Entscheidung haben Sie in keiner Weise unsere Befürchtung ausgeräumt, daß bezüglich des Herrn Elhady möglicherweise eine falsche Entscheidung getroffen wurde. Immerhin geht es bei dem Ausschluß des betroffenen Stipendiaten um eine schwerwiegende und für ihn sogar schicksalhafte Entscheidung, da diese, wie uns mitgeteilt worden ist, auch eine Ausweisung aus Deutschland, und damit den Abbruch der begonnenen Promotion zur Folge haben würde.

In den uns zugesandten Schriften ist der Vorwurf von „wiederholten antisemitischen Äußerungen“, der Grund für Ihre Ausschlußentscheidung, nicht nachgewiesen. Statt eines Nachweises durch unzweifelhafte antisemitische Zitate, die einwandfrei auf eine antisemitische Haltung des Herrn Elhady schließen ließen, sprechen Sie in Ihrem Schreiben an uns pauschal von „antijüdischen und gewaltverherrlichenden“, in Ihrem Schreiben an die StipendiatInnen und der zugehörigen Anlage mehrfach von „antiisraelischen und antijüdischen“ Äußerungen.

Dies erweckt den Eindruck, daß hier Kritik an der Politik der derzeitigen israelischen Regierung – wie insbesondere an den illegalen gezielten Tötungen – gleichgesetzt wird mit „antijüdisch“, was letztlich antisemitische Agitation unterstellt. Vielleicht dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß israelische Friedensgruppen Material zu Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee sammeln mit dem Ziel, diese dem internationalen Strafgerichtshof zuzustellen. Diesen Gruppen kann wohl kaum „antijüdische und anti-israelische Agitation“, geschweige denn Antisemitismus unterstellt werden.

Am wenigsten glaubwürdig erscheint uns, sehr geehrter Herr Fücks, sehr geehrte Frau Siebert (siehe Hintergrund – d.R.), Ihr Hauptvorwurf, Elhady hätte in einem Seminar der Kölner Universität zu „Antisemitismus in Deutschland und Europa“ den Holocaust relativiert. (…) Dabei haben Sie offensichtlich keinen Wert darauf gelegt, Elhady selbst in dieser doch sehr heiklen Angelegenheit anzuhören, genauso wenig wie weitere Zeugen, die er Ihnen für das, was er in besagtem Seminar wirklich gesagt hat, benannt hat. In einer uns vorliegenden ausführlichen Stellungnahme beteuert und belegt Herr Elhady detailliert, daß er zu keinem Zeitpunkt antisemitische Äußerungen vorgebracht, noch zu Gewalt aufgerufen bzw. sie verharmlost hat. (…) Haben Sie, sehr geehrter Herr Fücks, sehr geehrte Frau Siebert, Herrn Elhady je zu einer solchen – bei Vorwürfen in einem Rechtsstaat eigentlich unverzichtbaren – schriftlichen Stellungnahme aufgefordert? Dies ist nach unserem Kenntnisstand nicht geschehen.

Wir können Empfindlichkeiten von Studentinnen und Studenten muslimischer und/oder arabischer Herkunft wie die von Mostafa Elhady durchaus verstehen: Die schon seit Jahren latente, seit 9/11 zum Teil hysterische Behandlung des Themas Islam und Muslime führt in der Tat zur Entstehung eines Kollektivverdachts gegenüber Angehörigen dieser Völker und Religion und zu einem unterschiedlichen Diskurs über Menschenrechtsverletzungen, begangen etwa durch die israelische Arme oder durch die Unrechtsregime im arabisch-islamischen Raum. Die Menschenrechte sind jedoch universell. Wird das Gleichheitsprinzip in Frage gestellt, so verlieren sie ihre eigene Legitimationsgrundlage. Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen: Trotz dieser unserer Meinung wollen wir mit unserer Stellungnahme in keiner Weise eine möglicherweise inakzeptable Haltung von Herrn Elhady vorab rechtfertigen. Vielmehr treten wir für eine unzweifelhafte Feststellung ein, was Herr Elhady tatsächlich gesagt hat. Nur so können unseres Erachtens die Vorwürfe gegen Herrn Elhady bestätigt bzw. korrigiert und die entstandenen Zweifel über eine mögliche Fehlentscheidung durch die HBS-Leitung aus der Welt geschafft werden.

Daher unterstützen wir weiterhin nachdrücklich den Vorschlag der StipendiatInnengruppe, die Vorwürfe unter fairen Bedingungen elementarer Rechtsstaatlichkeit, das heißt unter Berücksichtigung aller Fakten, Stellungnahmen und Zeugenaussagen, zu überprüfen – was nach unserer Auffassung bisher nicht geschehen ist – und erklären uns bereit, an einer öffentlichen Anhörung teilzunehmen.

Wir sind der Meinung, daß es sich hier um einen einzigartigen Vorgang handelt, der auch im Interesse der Stiftung mit absoluter Transparenz zu behandeln ist. (…)

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