Al-Mahsum
Checkpoint
Seit 1991 überziehen die Checkpoints der israelischen Besatzungsmacht die besetzten Gebiete als Instrumente der Macht und Kontrolle über die Palästinenser, der täglichen Schikane und Demütigung und oft auch als Orte des Todes. Es ist nicht so, dass dies in Israel nicht bekannt wäre. Für israelische und ausländische Friedensaktivisten ist die Anwesenheit bei den Checkpoints Teil ihrer Arbeit, um Übergriffe der Soldaten zu verhindern oder zumindest zu dokumentieren. Die israelische Öffentlichkeit erfährt von Palästinensern, die sterben, weil Ambulanzen nicht durchkommen. Sie erfährt von Männern, die erschossen werden, weil sie an Checkpoints durchwollen, die für Männer bis dreißig Jahren gesperrt sind. Die israelische Öffentlichkeit bleibt weitgehend unberührt.
Als sie jedoch die Bilder von Wissam Tayem, einem palästinensischen Musiker, erreichen, ist sie erschüttert. Wissam Tayem war auf dem Weg zum Musikunterricht in der Nähe von Nablus, als ihm von Soldaten am Checkpoint befohlen wurde, doch „etwas Trauriges zu spielen“. Er spielte, während sich die Soldaten über ihn lustig machten.
Die Videoaufnahmen führten zu heftigen Reaktionen in Israel. Aber es ging nicht um Wissam Tayem als Opfer. Was an der Demütigung des Palästinensers so tief irritierte, war, dass sie den Blickwinkel auf das jüdische Leiden der Vergangenheit und die Konsequenzen daraus verändern könnte. Uri Orbach im „Army Radio“ fand den Vorfall schockierend, weil er in beunruhigender Weise die Erinnerungen an jüdische Musiker weckte, die die Hintergrundmusik zum Massenmord an den Juden spielen mussten. Orbach erinnerte an das Vernichtungslager Majdanek.
Yoram Kaniuk, der selbst ein Buch über einen jüdischen Geiger geschrieben hat, der gezwungen worden war für einen Kommandanten im Konzentrationslager zu spielen, forderte die Bestrafung der verantwortlichen Soldaten „nicht wegen der Erniedrigung der Araber sondern weil der Holocaust entehrt wurde.“ Weiters schrieb er: „Dieser Vorfall ist herausragend unter all den schrecklichen Dingen, die an den Straßensperren passieren. Er ist es deshalb, weil er die Möglichkeit der Existenz Israels als jüdischer Staat negiert. Wenn die Militärs diese Soldaten nicht vor ein Militärgericht stellen, dann haben wir das moralische Recht verspielt, von uns selber als von dem Staat zu sprechen, der aus dem Holocaust hervorgegangen ist. …Wenn wir zulassen, dass jüdische Soldaten einen arabischen Geiger an einer Straßensperre missbrauchen, dann sind wir am tiefsten moralischen Punkt angekommen. Die Berechtigung für unsere Existenz in dieser arabischen Region war und ist unser Leiden, sind die jüdischen Geiger in den Konzentrationslagern.“
Quelle: The Guardian, 29.11.2004
Elisabeth Lindner-Riegler