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Palästina im Film

4. Januar 2005

Arna´s Children

Palästina/Israel/NL 2003 (84 Min.)
Regie: Juliano Mer-Khamis

Im Flüchtlingslager von Jenin entsteht zu Beginn der ersten Intifada inmitten von Zerstörung und Gewalt ein wunderbares Projekt: ein Kindertheater. Die Schauspieler/innen sind neun- und zehnjährige Kinder, die in ihrem Theater ihre Gefühle ausleben können – ihren Zorn auf die israelischen Soldaten und Panzer, die ihre Häuser zerstören, ihre Traurigkeit, aber auch ihren Stolz und ihre Opposition gegen die Besatzung. Und sie dürfen von einem anderen, einem besseren Leben träumen – davon, dass sie die Sonne in ihr Leben holen. Der Traum Ashrafs, eines der Kinder, ist es, einmal der „palästinensische Romeo“ zu werden. Alle arbeiten begeistert an ihrem Theater, eine Insel der Kindheit im grausamen Leben unter der Besatzung.

Ermöglicht wurde ihnen dies durch Arna Mer, einer Israelin, die die Sache der Palästinenser zu ihrem Kampf machte. Da sie fließend arabisch sprach und so selbstverständlich am Leben in Jenin teilnahm, gewann sie schnell das volle Vertrauen der Kinder. Für diese Arbeit (im Rahmen des Projekts „Care and Learning“) wurde sie 1993 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Am Vorabend ihres Todes besuchte sie – obwohl schon sehr schwach und gebrechlich – ihre nun schon großen Kinder und Freunde im Lager und verabschiedete sich.

Begleitet wurde Arna Mer während ihrer Arbeit von ihrem Sohn Juliano. Er filmte die Kinder als Mitglieder der Theatergruppe, als Kinder mit ihrer Lebenslust, ihren Träumen und Hoffnungen. Juliano Mer-Khamis kehrte zehn Jahre später, nach dem Tod seiner Mutter, nach Jenin zurück. Das ehemalige Theater war ein Trümmerhaufen – so wie viele der Träume.

Wir begegnen nur wenigen der Kinder der ehemaligen Theatergruppe als junge Männer wieder. Die meisten von ihnen sind tot – von israelischen Soldaten erschossen oder als Selbstmordattentäter umgekommen. Ashraf, den „palästinensischen Romeo“ mit seinen Träumen, sehen wir noch einmal auf einer Videoaufnahme kurz vor seiner Aktion. Er erklärt, dass der Tod besser ist als das Leben in der Hölle unter der Besatzung. Die anderen wurden im Massaker der israelischen Armee im Flüchtlingslager im Jahr 2002 erschossen.
Juliano Mer-Khamis kann bei seinem zweiten Besuch die Kämpfer im Lager ein kurzes Stück begleiten und demaskiert mit seinen Filmausschnitten die israelische Lüge des „notwendigen Kampfes gegen die Terroristen“, die für jede Offensive gegen die Zivilbevölkerung herhalten muss. Die jungen Männer sind keine Monster, keine „Söhne des Todes“, die Terror verbreiten. Sie sind jedoch, mit leichten Waffen ausgerüstet, bereit zur Verteidigung – einer völlig legitimen Verteidigung – der Bewohner und Häuser von Jenin. Sie warten, jederzeit bereit gegen die angreifenden schweren Panzer mit Kalaschnikows und Pistolen vorzugehen. Wir sehen junge Männer voller Leben und Würde. Um diese Würde zu bewahren, gehen sie gegen die Besatzer vor – wissend, dass es auch ihren Tod bedeuten kann.
Der Film ist ein beeindruckendes Zeugnis ihres Mutes und ihres Kampfes um ein menschenwürdiges Leben – als Kinder und als Erwachsene.

Ford Transit
Palästina/NL 2002 (80 Min.)
Regie: Hany Abu-Assad

Wir verbringen achtzig Minuten mit dem Fahrer eines Sammeltaxis, Rajai, und den verschiedenen Fahrgästen, die er zwischen Jerusalem und Ramallah befördert. Der weiße Ford Transit – früher ein Militärfahrzeug der israelischen Armee – ist Alltag des Lebens im Westjordanland, gerade so wie die Checkpoints. Während die Checkpoints ein normales Fortbewegen verunmöglichen, wird mit den Sammeltaxis, den weißen Ford Transits, der Versuch unternommen, die Mobilität doch noch zu gewährleisten. Die Dokumentation, gedreht auf den wenigen Kilometern zwischen Jerusalem und Ramallah, dauert über eine Stunde und ist keine Sekunde langweilig, weil sie die unendlich schwierige Realität der Fortbewegung im besetzten Westjordanland widerspiegelt: Man weiß nie, wann man wo ankommt, ob die Checkpoints offen sind, ob man kilometerlange Umwege in Kauf nehmen muss, um doch noch weiter zu kommen oder anzukommen. Die Fahrgäste in Rajais Taxi erzählen wie schwierig das Leben ist, wenn man zum Beispiel zur Arbeit fährt und nicht weiß, ob es eine halbe Stunde oder drei Stunden dauert. Ein eigenes Auto, wenn man eines hat, ist nicht mehr zu gebrauchen, weil das Durchkommen bei den Checkpoints zu Fuß immer noch schneller geht. Prominente Fahrgäste wie der palästinensische Knesset-Abgeordnete Azmi Bschara diskutieren über die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Besatzungsmacht, andere kommentieren die US-Außenpolitik, die für Palästina tödlich ist. Und Rajai selber meistert Schwierigkeiten mit Erfindungsreichtum, der notwendig ist um zu überleben.

Mahssomim (Checkpoint)
Israel 2003 (80 Min.)
Regie: Yoav Shamir

“ …Und wenn die Araber kommen, inszenieren wir halt unser Spiel.“ Worin besteht dieses „Spiel“? Variantenreich wird den Palästinensern an den Checkpoints, die das gesamte Westjordanland zu einem Gefängnis machen, das Passieren verweigert oder nach erniedrigenden Befragungen und schikanöser Warterei doch noch erlaubt. Der Film ist die Dokumentation eines israelischen Soldaten an den Checkpoints. Er filmte nicht mit versteckter Kamera sondern mit Wissen der Beteiligten. Aus diesem Grund sehen wir wohl auch keine der Situationen, wo die Soldaten mit Tränengas oder „Sound Bombs“ gegen Ansammlungen von Palästinensern an den Checkpoints vorgehen, die oft genug so lange geschlossen bleiben, dass es zu Menschenansammlungen kommt. Wir sehen auch nicht die Checkpoints wie zum Beispiel einer vor Nablus, wo junge Männer bis dreißig Jahren prinzipiell fünf bis sechs Stunden warten müssen, weil sie als junge Männer potentielle „Terroristen“ sein könnten. Die Dokumentation beschränkt sich auf den ganz alltäglichen Alltag – und der ist schlimm genug. Eine Familie steht im strömenden Regen, weil ein Kind ins Krankenhaus nach Nablus muss. Der Vater will die Familie begleiten. Nach einem langen erniedrigenden Verhör wird es ihm letztlich doch verweigert. Grund dafür muss keiner angegeben werden. Wenn es nass und kalt ist, scheint es den Soldaten besonders wichtig zu sein, das Durchkommen möglichst lange zu verzögern. Man sieht es ihnen an, dass sie sich vor der Kamera um eine korrekte Durchführung ihrer Dienstaufgaben bemühen. Das macht die Dokumentation so sehenswert, denn sie zeigt, dass die ständigen Erniedrigungen an den Checkpoints nicht etwa Entgleisungen oder dem Sadismus Einzelner zuzuschreiben sind, sondern dass sie Teil des Systems sind, das ein normales Leben für die ganz normale Bevölkerung in den besetzten Gebieten unmöglich machen soll. Ein Soldat bringt es auf den Punkt. Er sagt in die Kamera hinein: „Wir hier sind Menschen, die da drüben Tiere. Und die ganze Welt soll es wissen.“

Elisabeth Lindner-Riegler

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