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Palästina: Interview mit dem Generalsekretär der PFLP über die Wahlen

20. Januar 2005

zur Verfügung gestellt von Antifa-AG der Uni Hannover

Aktuelle Stellungnahmen der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) zu bekommen – insbesondere solche in europäischen Sprachen – ist seit einem Jahr äußerst schwierig. Grund dafür ist vor allem die massive Repression der israelischen Besatzungsmacht gegen alle aktiven Widerstandsgruppen, die insbesondere in der Westbank die Organisationsstrukturen stark in Mitleidenschaft gezogen hat. Imad Abdel Aziz (Schuldirektor in Nablus und seit langem PFLP-Kader) sprach in einem Bericht der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.1.2005 in diesem Zusammenhang sogar von einem „vertikalen Zusammenbruch der fortschrittlichen Organisationen“. Intakte PFLP-Leitungsstrukturen scheint es derzeit nur im Gaza-Streifen zu geben. Um so erfreulicher ist es, dass die französische Solidaritätsgesellschaft „Association France-Palestine-Solidarità©“ am 31.12.2004 ein Interview mit dem nahe Jericho unter britischer und US-amerikanischer Oberaufsicht illegal inhaftierten PFLP-Generalsekretär Ahmed Saadat führte. Hauptthema dieses Interviews ist die Wahl eines neuen Präsidenten der Autonomiebehörde.
Zwei Unkorrektheiten bzw. Unklarheiten im Vorspann der Interviewer müssen allerdings richtig gestellt werden. Zum einen wurde Saadat im Unterschied zu den drei anderen inhaftierten PFLP-Mitgliedern nie verurteilt, ja noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben, sondern im Gegenteil vom Höchsten Palästinensischen Gerichtshof seine Freilassung angeordnet. Daher wird nun behauptet, er befände sich „in Schutzhaft“. Und zum anderen war Abu Ali Mustafa, der im Jahre 2002 von der israelischen Armee mittels einer Rakete in seinem Büro in Ramallah gezielt ermordet wurde, nicht irgendein Mitglied der PFLP-Führung, sondern Ahmed Saadats Vorgänger als Generalsekretär.
Anzumerken ist auch, dass unser Text auf der italienischen Übersetzung des Interviews im „Notiziario del Campo Antimperialista“ vom 15.1.2005 beruht, was allerdings zu keinen bedeutenden Abweichungen vom Urtext geführt haben dürfte, da alle Aussagen sehr einfach und deutlich gehalten und Französisch und Italienisch bekanntlich verwandte Sprachen sind. Wer allerdings einen Blick darauf werfen möchte: Die am 5.1.2005 veröffentlichte französische Originalversion findet sich unter http://www.france-palestine.org/article926.html

Ahmed Saadat (Generalsekretär der PFLP) ist in einem palästinensischen Gefängnis nahe Jericho inhaftiert – zusammen mit drei Mitgliedern des Kommandos, das im Oktober 2001 (als Antwort auf den von den Israelis verübten Mord an Abu Ali Mustafa, einem der Führungsmitglieder der PFLP) den ultra-reaktionären Tourismusminister Zeevi hinrichtete. Genauso wie der Prozess, der, um Sharons Forderungen zu erfüllen, in der belagerten Muqata in Ramallah stattfand, sind die Bedingungen, unter denen die Gefangenen gegenwärtig leben, grotesk. Ihre Gefängniswärter sind Palästinenser, bewachen sie aber nur von den Dächern aus und ihre Gespräche werden ständig von den britischen und amerikanischen Soldaten in mit Mikrophonen und Störsendern übersäten Räumen abgehört. Diese ganze Aufmerksamkeit fände nur zu seinem „Schutz“ statt. Eines der Mitglieder des Kommandos, das im April 2002 zu einem Jahr Haft verurteilt wurde, bleibt weiterhin inhaftiert – „zu seinem Besten“ natürlich – während es vor 8 Monaten hätte freigelassen werden müssen.

Einige Tage bevor die PFLP ihre Unterstützung für die Kandidatur von Mustafa Barghuti bei den Präsidentschaftswahlen verkündete, führten wir dieses Interview mit Saadat und seinen Genossen im Gefängnis.

Der Höchste Palästinensische Gerichtshof hat vor vielen Monaten Ihre Freilassung angeordnet. Warum befinden Sie sich noch immer im Gefängnis ?

„Es ist nicht das erste Mal, dass eine Entscheidung des Gerichtes nicht umgesetzt wird. Es existieren Dutzende von Entscheidungen, die niemals vollzogen wurden. Ein Teil der …‚Sicherheits´-Verpflichtungen der Palästinensischen Autonomiebehörde besteht darin, dem amerikanischen und israelischen Diktat nachzugeben. Das ist der Grund, warum wir hier weiterhin als Geiseln festgehalten werden – als Beweis für den guten Willen der Palästinensischen Autonomiebehörde.“

Die Amerikaner und die Israelis beschrieben Yasser Arafat als ein „Hindernis“ auf dem Weg zum Frieden. Ändert sich etwas durch seinen Tod ?

„Zuallererst muss man definieren, was ein Hindernis ist. Für Israel ist jedes Mitglied der palästinensischen Führung, das nicht alle seine Forderungen akzeptiert, bereits ein Hindernis. Wenn Abu Mazen und die kommende Regierung die Grundrechte der Palästinenser verteidigen, werden auch sie als Hindernisse betrachtet. Sicher ist, dass Olmert (der israelische Handelsminister) soeben erklärt hat, es sei unmöglich mit Abu Mazen ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, da er die Forderung nach dem Rückkehrrecht der Flüchtlinge unterstütze.“

Die PFLP stellt keinen eigenen Kandidaten zu den Wahlen am 9.Januar auf, während die PPP und die DFLP über eigene Kandidaten verfügen. Wäre es nicht möglich, dass die Linke einen gemeinsamen Kandidaten präsentiert ?

„Wir stellen vor allem deshalb keinen Kandidaten auf, weil wir es ablehnen, der Palästinensischen Autonomiebehörde, einem Produkt der Osloer Abkommen, eine Bürgschaft auszustellen. Die Tatsache, unter Besatzung an Wahlen teilzunehmen, ist unakzeptabel. Mehr noch meinen wir allerdings, dass diese Wahlen umfassend sein sollten, mit der Erneuerung aller Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde, dem Legislativen Rat, den Gemeinderäten…… Die zeitliche Distanz zwischen den Präsidentschaftswahlen und den Parlamentswahlen lässt uns daran zweifeln, dass dies ein Schritt in Richtung Demokratie ist. Diese Wahlen sollten auch ein Mittel des Kampfes gegen die Besatzung sein, einer der Mechanismen, um das Recht auf Selbstbestimmung zu erreichen. Israel und die USA maßen sich an, uns einen demokratischen Wandel aufzuzwingen, der ihren Notwendigkeiten entspricht und verweigern uns das Recht auf Selbstbestimmung.
Trotz allem haben wir eine gemeinsame linke Kandidatur versucht. Wir haben Treffen mit anderen Gruppen abgehalten: Mit der Palästinensischen Volkspartei (PPP, der ehemaligen palästinensischen KP und ehemaligen Partei von Mustafa Barghuti, Anm. d. ital. Ü.), mit der DFLP (Demokratische Front für die Befreiung Palästinas) und sogar mit der FIDA , die die Genfer Abkommen zum Teil unterstützt.

Wir haben Diskussionen geführt, um einen Programmentwurf auszuarbeiten, eine Konzentration auf die vordringlichen Fragen, die über den Personalfragen stehen. Wir wollten ein Programm erarbeiten, das wirklich links ist. Wir hatten Diskrepanzen mit der DFLP, die die …‚Road Map´ in ihr Programm aufgenommen hat und mit der PPP, die in Sachen Rückkehrrecht die Prinzipien der …‚arabischen Initiative´ akzeptiert – ein Konzept, das die Prinzipien des Rückkehrrechtes verrät, indem es Abänderungen daran vornimmt und Israel die Macht zugesteht, die Rückkehr der Flüchtlinge zu akzeptieren oder nicht. Trotz dieser Zwistigkeiten haben wir die Debatten fortgesetzt und am Ende, zu unserer Überraschung die Feststellung gemacht, dass die PPP und die DFLP bereits ihre eigenen Kandidaten nominiert hatten: Bassam Al Salhi für die PPP und Taysir Khaled für die DFLP.“

Die PFLP hat daher beschlossen, bei diesen Wahlen die Kandidatur von Mustafa Barghuti zu unterstützen. Meint Ihr, dass das wirklich ein linker Kandidat ist ?

„Wir hätten einen eindeutig antikapitalistischen Kandidaten vorgezogen, denn es stimmt, dass Mustafa Barghuti kein Revolutionär ist. Er war uns gegenüber jedoch ehrlich und hat die wesentlichen Punkte unseres Programms akzeptiert, wie das Rückkehrrecht und die Unterstützung jeder Widerstandsform des palästinensischen Volkes. Mustafa Barghuti ist als Präsident des PMRC (der wichtigsten palästinensischen medizinischen NGO ) auf nationaler und internationaler Ebene ein Symbol. Seine Position war vielleicht nicht immer sehr klar, aber unser Ziel besteht darin, ihm zu helfen, sie zu entwickeln. Wenn uns das nicht gelingt, verlieren wir nichts, weil wir unsere eigene politische Position, unser eigenes Programm haben.“

Wenn Marwan Baghuti letztlich doch angetreten wäre, hättet Ihr dann seine Kandidatur unterstützt ?

„Marwan Barghuti ist ein Führungsmitglied der Fatah, wurde von der Fatah ausgebildet und wird immer in Übereinstimmung mit der Linie seiner Partei handeln. Natürlich unterscheiden wir zwischen Abu Mazen und ihm, aber am Ende repräsentieren die Beiden dieselbe Ideologie und dasselbe Programm im Dienste der palästinensischen Bourgeoisie.“

Glaubt Ihr, dass die 2-Staaten-Lösung durchführbar ist ?

„Die 2-Staaten-Lösung ist ein Ausgangspunkt, der das notwendige Klima für eine friedliche Lösung schaffen kann. Natürlich darf der Kampf für einen einzigen demokratischen Staat ohne irgendeine Art von ethnischer oder religiöser Diskriminierung niemals aufhören, weil das die einzig mögliche Form ist, um die Probleme zu lösen: das Problem der Palästinenser des Jahres 1948 und das des Rückkehrrechtes. In diesem Kampf ist die internationale Solidarität und die Einheit derjenigen nötig, die an unserer Seite kämpfen. Als Palästinenser und als PFLP sind wir stolz auf alle Solidaritätsdemonstrationen mit uns und mit dem palästinensischen Volk.“

Das Interview führten Mireille Terrin und Chris Den Hond von der „Association France-Palestine Solidarità©“.

Vorbemerkung, Übersetzung aus dem Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover

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