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Lula zwischen Porto Alegre und Davos

29. Januar 2005

Weltsozialforum der Widersprüche

Auf den ersten Blick scheint hier in Porto Alegre, im privilegierten Süden des südamerikanischen Riesenstaates, alles eitel Wonne zu sein. Die überwiegend brasilianschen Besucher feiern wenige Tage vor Beginn des Karnevals ihr linkes Kulturfest, das sich wie ein Mischung aus Woodstock und UZ-Pressefest ausnimmt. Währenddessen kämpfen die europäischen Kader der Antiglobalisierungsbewegung in einer unübersehbaren Zahl von Workshops verbissen um Positionen und verweisen die jugendliche brasilianische Basis auf die Rolle von Statisten.

Aber auch Bevölkerung der farblosen Stadt, die dennoch über eine halbe Million Einwohner zählt, scheint zufrieden. Für sie ist das alljährliche Festival eine willkommende zusätzliche Einnahmquelle. Darum hat auch die Stadtverwaltung, die erst kürzlich in die Hände der Rechten übergegangen ist, ihre Unterstützung nicht aufgekündigt.Und selbst die Ärmsten der Armen aus den Slums, die auch die linke Regierung nicht beseitigen konnte, finden auf ihren Betteltouren und kleinkriminellen Aktivitäten überreiche Beute.

Der Machtwechsel in Porto Alegre, das für Jahre als die Musterstadt der partizipativen Demokratie galt, zeigt einen allgemeinen Stimmungswandel in Brasilien an. Vom Taxifahrer über den Barkeeper bis hin zum Betreuer in den allgegenwärtigen Internetshops, alle äussern sich abfällig über die Regierung Lula. „Ich habe meine Stimme verschenkt. Lula hat alle seine Versprechungen gebrochen.“

Es ist vor allem das Ausbleiben der so notwendigen und versprochenen Agrarreform, die die breite Masse erzürnt. Paradoxer Weise sind es nun die Grossgrundbesitzer, die sehnlich auf die grosszügigen Entschädigungen warten, die die Reformvorlage vorsieht. Doch das vom IWF ausdrücklich gelobte Budget macht die Mobilisierung der notwendigen Mittel unmöglich und so bleibt im grossen und ganzen alles beim alten. Hinzu kommt die geplante Reform der höheren Bildung, die Privatisierungen sowie Studiengebühren auch für die staatlichen Universitäten vorsieht. So wurde der schwerbewachte Präsident Lula dann auch bei der Eröffung des WSF mit lautstarken Protesten der radikalen Linken begrüsst. Der massive Einsatz der Sicherheitskräfte konnte indes Verzögerung hintanhalten, durfte Lula doch seinen Flug zum internationalen Treffen der Finanzwelt in Davos nicht verpassen, gegen welches das WSF einst entstanden war.

Weiterer Ausdruck dieser Widersprüche ist die Entsendung brasilianischer Soldaten nach Haiti – auf ausdrücklichen Wunsch der Vereinigten Staaten. Nicht zufällig wird dieses Thema von den Organisatoren weitgehend totgeschwiegen und nur von einigen wenigen Stimmen aus der radikalen Linken aufgegriffen.

Ganz anders steht es hinsichtlich der Besatzung des Irak, die eines der dominanten Themen dieses WSF darstellt. Auf der einen Seite stösst man nicht nur unter den brasilianischen Teilnehmer, sondern auch auf der Strasse auf eine allgegenwärtige antiamerikanische Stimmung, gegen die die verzweifelten Warnungen der anglosächsischen Philantropen hoffnungslos verhallen. Überall wird der irakische und palästinensische Widerstand frenetisch bejubelt, weit über die engen Kreise der antiimperialistischen Linken hinaus. So fühlt man sich an einen Zirkus erinnert, wo sich in der Arena die Basis austoben darf. Auf der anderen Seite scheint sich die brasiliansisch-europäische Führung gänzlich von dieser Stimmung emanzipiert zu haben. Als bei der Auftaktdemonstration plötzlich am 26.1. ein Kontingent von „Juden für den Frieden“ mit Transparenten wie „Die Palästinenser sind Geisel ihres eigenen Terrors“ auftauchte, verhallten die arabischen Proteste ungehört. Undenkbar für Europa, durften die Linkszionisten unbehelligt teilnehmen. Zwar wird von vielen Beobachtern ein Aufruf für den internationalen Aktionstag am 19./20.3. erwartet, doch dürfte er wieder die äquidistante Formel „gegen Krieg und Terror“ enthalten.

Indes hat die antiimperialistische Linke Brasiliens für den Tag der Wahlen im Irak, den 30.1. zu einem Protestzug „gegen die Besatzung, für den irakischen Widerstand“ aufgerufen, für den auch die Ikone des palästinensischen Befreiungskampfes, Leila Khaled, angekündigt wurde.

Franz Dinhobel
Potrto Alegre, Brasilien

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