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Österreicherin in Istanbul verhaftet!

11. Februar 2005

von Aug und Ohr Gegeninformationsinitiative

Die dreißigjährige Österreicherin Sandra Bakutz ist am 10. 2. 2005 am Atatürk-Flughafen in Istanbul verhaftet worden. Sie war Mitglied einer internationalen Delegation, die in die Türkei gekommen war, um als Beobachterin an einem Verfahren gegen linke Oppositionelle teilzunehmen.

Es handelt sich um einen politischen Schauprozeß gegen AktivistInnen und SympathisantInnen der außerparlamentarischen Linken der Türkei. Eine Reihe von internationalen Beobachtern, darunter die deutschen Rechtsanwälte Pöll und Walleck, nahmen bereits im vergangenen Jahr an der ersten Verhandlungsrunde teil, die vom 25. 10. bis zum 5. 11. dauerte.

Ihrer Einschätzung nach kann von einem fairen Verfahren nicht die Rede sein. Die Anklage stützt sich auf aller Wahrscheinlichkeit nach gefälschte Polizei-Disketten, auf denen eine Reihe von politischen AktivistInnen mit vollem Namen und Pseudonym aufgelistet sind – im eklatanten Widerspruch zu der in der Türkei mehr als anderswo gebotenen extremen Vorsicht bei internen politischen Mitteilungen.

Die Disketten sind das einzige Beweismittel. Beweismittel, die in der Türkei konfisziert werden, müssen aber versiegelt und sofort dem Gericht überstellt werden. Diese Disketten waren jedoch einen Monat lang nicht versiegelt und wurden während dieser Zeit regelwidrig geöffnet. Man konnte feststellen, dass sie vertauscht worden waren. Die Öffnung der Materialien wurde vom Gericht bestätigt.

Außerdem wurden den Richtern und Rechtsanwältinnen vom Gericht nicht die Originale zur Einsicht vorgelegt, sondern bloß Kopien. Wegen Nichtvorhandensein der Beweismittel wurde daher ein Antrag auf Freilassung der insgesamt 42 Angeklagten gestellt; es wurden schließlich 19 von ihnen freigelassen.

23 Personen blieben nach der ersten Verhandlungsrunde nach wie vor in Haft. Die Folgeverhandlung wurde für den Zeitraum vom 8. bis 12. Februar festgesetzt.

Das Verfahren war von zahlreichen formalen und administrativen Mängeln geprägt. Am allerärgsten machte sich der Raummangel und damit die schlechte Luft bemerkbar, die zum Ohnmachtsanfall eines Exekutivorgans führte.

Der Gerichtsaal hatte keine Fenster. Für die Prozessbeobachter wurde nicht ausreichend Platz zur Verfügung gestellt, deren Einspruch blieb unbeachtet. Angehörige wurden nicht zu den Verhandlungen gelassen. Aus Angst vor Repressalien wehrten sich sowohl die türkischen Anwälte als auch die Angehörigen nicht gegen den Platzmangel. Die Berichte über Folterungen – alle Angeklagten berichteten, daß sie gefoltert worden waren – wurden vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen.

Mit all diesen Tatsachen vertraut, wollte Sandra Bakutz als Beobachterin am Folgetermin teilnehmen und über die neue Verhandlungsrunde berichten.

Das Verfahren in der Türkei ist Teil einer großen, mehrere europäische Länder ebenso wie die Türkei umfassenden politischen Kampagne, die am 1. April des vergangenen Jahres begann und bei der unter anderem drei AktivistInnen der italienischen Organisation Campo Antimperialista und zwei in Italien lebende politische AktivistInnen aus der Türkei verhaftet worden waren. Während die Italienerinnen freikamen, sind die türkischen AktivistInnen in Italien nach wie vor in Haft.

Am Beispiel dieses euro-türkischen Großmanövers kann deutlich die Zusammenarbeit der deutschen, italienischen und türkischen Geheimdienste nachgezeichnet werden, insbesondere auch die Zusammenarbeit der italienischen mit der türkischen Polizei. Italienische Polizisten leisten den türkischen Polizisten auf türkischem Territorium Assistenzdienste bei der Verfolgung der radikalen türkischen Linken.

Die Gesamtzahl aller seit dem 1. April 2004 in der Türkei Inhaftierten umfaßt 64 Personen. Zu Beginn der Verhandlungen in Istanbul, am 25. 10. 2004, waren 42 Menschen in Haft, davon 21 schon seit 7 Monaten, also seit dem 1. April.

Diese Verhandlungsrunde, die vom 8. bis zum 12. Februar stattfinden sollte, wurde nochmals verschoben, auf den 16. Mai. Eine solche Praxis ist in der Türkei gang und gäbe.

Sandra Bakutz ist Internetjournalistin und Menschenrechtsaktivistin und beschäftigt sich unter anderem mit Verfahrensmängeln und rechtsstaatlichen Defiziten in der türkischen Rechtssprechung. Kürzlich hat sie über Anti-EU-Aktivitäten türkischer Jugendlicher berichtet. Ihre Beiträge erscheinen unter anderem in der Berliner Tageszeitung Junge Welt.

Die türkische Regierung ist darauf bedacht, dass ihr Image als demokratische Musterschülerin durch eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Zustände nicht infrage gestellt wird.

Für einen Anschluß der Türkei an die EU sprechen bekanntermaßen sowohl wirtschaftliche wie militärische Motive, und dies auf beiden Seiten. Dagegen aufzukommen ist schwer. Ein Teil der außerparlamentarischen Linken in der Türkei stellt sich gegen den EU-Beitritt. Die türkischen Behörden versuchen, zu verhindern, dass die wirklichen Zustände im Lande in Europa bekannt werden und dass dadurch ihr angestrebter EU-Beitritt Verzögerungen erfährt.

Das mag zum Teil erklären, warum politische AktivistInnen, die das allerorten praktizierte Recht, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, in Anspruch nehmen wollen, vom Ort ihrer Ankunft weg in ein Gefängnis einer Halbdiktatur verschleppt und mit dem Stempel „Terrorist“ versehen werden.

Aug und Ohr
Gegeninformationsinitiative

Euro-türkischer Terror. 02 Apr 2004
http://at.indymedia.org/newswire/display_any/41350

Euro-türkischer Terror! 2. Teil 14 Apr 2004
http://at.indymedia.org/newswire/display/42010/index.php

Athen mobilisiert gegen die Terror-EU 08 Apr 2004
http://at.indymedia.org/newswire/display/41713/index.php

Versammlung gegen Staatsterror: Kurdischer Aktivist soll von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert werden! 05 Apr 2004
http://at.indymedia.org/newswire/display/41541/index.php

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