Zum Auschwitz-Gedenktag
ein Kommentar von Werner Pirker
Die Welt gedenkt des 60. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers
Auschwitz durch die Rote Armee. Daß es sowjetische Soldaten waren, die den
Überlebenden die Tore in die Freiheit geöffnet haben, bleibt von den
Gedenkrednern meist unerwähnt. Als wäre es eine unglückliche historische
Fügung, daß es nicht Angehörige der Westalliierten waren, die das größte
Menschheitsverbrechen an seinem zentralen Tatort gestoppt haben. Das paßt
nicht in das Geschichtsbild vom „Jahrhundert des Totalitarismus“, das mit
dem Fall der Berliner Mauer sein Ende gefunden habe.
Die sich heute in Deutschland so selbstverständlich als „Antifaschisten“
gerieren, stehen in der Kontinuität jener westdeutschen Republik, die aus
der Niederlage des Faschismus und nicht aus dem Sieg über den Faschismus
entstanden war. Erst als diese Republik den Osten Deutschlands ihrem
Hoheitsgebiet unterstellt hatte, rechnete sie sich zu den Siegern. Zu den
Siegern über den Kommunismus. Nicht wenige empfanden das auch als Revanche
für die 1945 erlittene Niederlage.
Inzwischen gilt das als politisch unkorrekt. Als hätte der Antifaschismus
den Antikommunismus als bürgerliche Legitimationstheorie abgelöst, ist die
Ächtung des „Nationalsozialismus“ zum allgegenwärtigen Ritual geworden. Dazu gehört auch der gängig gewordene Verweis des ideologischen Beamtenapparates auf die Schuld „der Deutschen“ – und nicht bloß einer verbrecherischen Clique, wie es früher hieß. Es waren aber nicht „die Deutschen“, die – bei aller Mittäterschaft – den Judenmord und andere kolossale Naziverbrechen im Kollektiv zu verantworten haben, sondern die monopolkapitalistischen Eliten des „Dritten Reiches“. Und das war mehr als bloß eine Clique. Es ist der liberale „Antifaschismus“, der die Großkonzerne von ihrer Verantwortung entlastet und sie – als sollte der Naziideologie nachträglich auch noch recht gegeben werden – der „Volksgemeinschaft“ überträgt.
So können die neuen alten Eliten dann auch noch mit dem besten
antifaschistischen Gewissen der Gesellschaft ihren asozialen und zunehmend
undemokratisch werdenden Diskurs aufzwingen. Sozialabbau als Strafe für den Holocaust?
Ein Antifaschismus, der sich der sozialen Aufklärung entledigt hat und die
kapitalistischen Voraussetzungen des Faschismus nicht mehr benennt, ist
Post-Antifaschismus. Er entrückt den Faschismus als klassenloses Wesen in
metaphysische Sphären und beschönigt die neoliberale Realität. Er bewegt
sich in der Kontinuitätslinie des „Antitotalitarismus“, dessen ursächliche
Hauptstoßrichtung der Antikommunismus ist. Eine solche
Vergangenheitsbewältigung haben die Millionen Opfer des Naziterrors nicht
verdient.
Quelle: Junge Welt
28.01.2005